Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 4 (2014), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Karl von Delhaes

 

John A. Gould: The Politics of Privatization. Wealth and Power in Postcommunist Europe. Boulder, CO, London: Lynne Rienner Publishers, 2011. VIII, 246 S. ISBN: 978-1-58826-783-2.

Das Buch ist den Wechselwirkungen zwischen dem Fortgang der Privatisierung von Staats- bzw. Gesellschaftseigentum und der Entwicklung rechtsstaatlicher und demokratischer Institutionen nach dem Ende der sozialistischen Ära gewidmet. Im ersten Drittel liegt der Akzentneben einer konzisen Beschreibung des status quo anteauf der eher theoretischen Diskussion von Strategien, wie sie von westlichen Beratern, aber auch von einflussreichen Autoren aus den betroffenen Ländern selbst zu dessen Überwindung empfohlen wurden.

Dabei stellt der Politikwissenschaftler Gould im wesentlichen zwei Positionen einander gegenüber: Auf der einen Seite steht ein vor allem von Ökonomen favorisiertes Konzept, das erneoliberal, zuweilen auchradical liberal nennt und das sich im Wesentlichen an der Vertragstheorie von R. Coase und an Vorstellungen von F. A. von Hayek übergeplante“ undspontane“ Ordnungen orientiert. Es zielt vor allem auf eine möglichst rasche und vollständige Privatisierungauf welchem Wege auch immerin der Erwartung, dass die neuen Eigentümer sowohl nach einzelwirtschaftlicher Effizienz wie auch nach einer angemessenen Staats- und Rechtsordnung streben und diese auch durchsetzen würden. Die andere Position ist die vom Autor so genanntepolitical competition theory, nach der das Zustandekommen einer marktwirtschaftlichen Demokratie zunächst die Etablierung politischen Wettbewerbs voraussetzt. Hierzu zieht er eine Fülle politologischer Beiträge amerikanischer wie auch ostmitteleuropäischer Wissenschaftler heran.

Im empirischen Teil, der den Schwerpunkt des Buches bildet, behandelt der Autor ausführlich die Entwicklung in der ČSR, ihren beiden Nachfolgestaaten und der Ukraine (hier ist Y. Hetman Ko-Autor) sowie, in aller Kürze, Aserbaidschan, Georgien und Serbien. Dabei gelingt es Gould in der Tat zu zeigen, dass das radikalliberale Modell die Wirklichkeit allenfalls sehr unvollständig abbildet. Faszinierend ist die beschriebene Vielfalt der Wege, die bei entsprechenden institutionellen und politischen Defiziten das risikogewichtete materielle Interesse von Neueigentümern findet, um seine Ziele zu verwirklichen.

Die Analyse der Fallbeispiele ergibt, dass beim Fehlen einer auch nur ansatzweise organisierten Opposition in der Umbruchszeit die Trennung der Bereiche Wirtschaft und Politik –  wenn überhauptnur sehr unvollkommen gelingt. Privatisierung von Gesellschaftseigentum führt hier zur Ausbildung von Machtpositionen in beiden Sphären, die sich wechselseitig stabilisieren. Aus dieser Beobachtung wird das Postulat abgeleitet, Privatisierung nur dort durchzuführen, wo Garantie des Privateigentums, Absicherung von Verträgen in der Rechtsprechung und geeignete Haftungsregelungen bereits wenigstens rudimentär gewährleistet sind.

Aus dieser Erkenntnis leitet diepolitical competition theory eine Priorität der politisch-institutionellen Reformen gegenüber umfassender Privatisierung ab. Das wettbewerbliche Entdeckungsverfahren, das etwa von Hayek angesichts der Komplexität einer effizienten Wirtschaftsordnung für den einzig gangbaren Weg dorthin hält, wird hier für den Sonderfall der Transformation zumindest in seinen Anfängen ganz in die politische Sphäre verlagert. Freilich sind die drei Grundvoraussetzungen, die im vorigen Absatz für eine umfassende Privatisierung genannt werden, bei näherer Betrachtung HayekscheRegeln des Rechts, deren Setzung auch bei jenem Autor Grundbedingung des Entstehens einer geeigneten Ordnung sind.

Anhand der empirischen Befunde ist die Begründung dieses Ansatzes gut nachzuvollziehen. Trotz der Ergänzung um Aspekte wie die sektorale Struktur der betreffenden Volkswirtschaften, externe Anreize und Zwänge oder die universell einsetzbaren Kompetenzen (portable skills) der jeweiligen Machtelite im Übergang erreicht der Ansatz allerdings kaum prognostische Qualitäten und ist daher eher als Postulat denn als Theorie anzusehen. Ausgeblendet bleiben vor allem die je eigenen historischen Pfade und das kulturelle Erbe der einzelnen Staaten. Sie finden nur vereinzelt am Rande unter dem Stichwort Identität Erwähnung. Dies wird vor allem in der Beschreibung der unterschiedlichen Entwicklung in ČR und SR oder bei der Analyse der Oppositionsbewegung in der Ukraine als Mangel empfunden.

Obgleich Gould mit Ausnahme einiger slowakischer Quellen nur englischsprachiges Material verwendet, ist allein dessen Fülle und die Tatsache, dass die Autoren mehrheitlich aus den betroffenen Ländern stammen, Indiz für eine gewisse Ausgewogenheit und Detailgenauigkeit des Werkes. Es kann sotrotz seiner fast ausschließlichen Ausrichtung auf materielle Interessen der Akteurejedem Politikwissenschaftler oder Gegenwartshistoriker empfohlen werden, der am Transformationsprozess der vormals sozialistischen Länder interessiert ist.

Für Ökonomen mag die Lektüre eine heilsame Mahnung sein, Modelle mit vornehmlich heuristischem Wert nicht ohne weiteres zur Grundlage von Politikempfehlungen zu machen. Schon W. Eucken konstatierte angesichts des vergleichbaren Umbruchs nach dem Zweiten Weltkrieg:Die Interdependenz von Staatsordnung und Wirtschaftsordnung zwingt dazu, den Ordnungsaufbau von beiden Seiten in einem Zuge in Angriff zu nehmen.(Grundsätze der Wirtschaftspolitik, 1952, 4. Auflage. Zürich 1968, S. 338).

Karl von Delhaes, Marburg/Lahn

Zitierweise: Karl von Delhaes über: John A. Gould: The Politics of Privatization. Wealth and Power in Postcommunist Europe. Boulder, CO, London: Lynne Rienner Publishers, 2011. VIII, 246 S. ISBN: 978-1-58826-783-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/von_Delhaes_Gould_Politics_of_privatisation.html (Datum des Seitenbesuchs)

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