Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 2 (2012), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Dietmar Wulff
Konstantin I. Zubkov, Nikolaj S. Korepanov, Igor’ V. Poberežnikov: Territorial’no-ėkonomičeskoe upravlenie v Rossii XVIII – načala XX veka. Ural’skoe gornoe upravlenie. [Die territoriale und ökonomische Verwaltung in Russland vom 18. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Bergadministration des Ural.] Moskva: Nauka, 2008, 355 S. ISBN: 978-5-02-036738-8.
Die Autoren, allesamt Mitarbeiter des Institutes für Geschichte und Archäologie der Uraler Abteilung der Russländischen Akademie der Wissenschaften, verfolgen ehrgeizige Ziele. Sie wollen über mehr als zwei Jahrhunderte die Ausformung und das Funktionieren einer hybriden Behörde nachverfolgen, die zwar regional ausgelegt war, aber wenigstens zeitweilig einen gesamten Wirtschaftszweig des Petersburger Reiches umfasste, nämlich der Bergverwaltung des Ural. Ihre Aufmerksamkeit gilt der Wechselwirkung der verschiedenen Organisationsebenen, bürokratischen Gruppen und Individuen im Verwaltungsprozess. Des weiteren stellen sie sich der Aufgabe, den Einfluss von Verwaltungsmethoden und -kulturen auf das System zu untersuchen. Zur Bewältigung dieser umfangreichen Pläne greifen sie ausgiebig auf Konzepte und Methoden der europäischen und amerikanischen Soziologie zurück. Insbesondere Theorien der partiellen Modernisierung (Dietrich Rueschemeyer, Ronald Inglegard, Marion J. Levy) und institutionssoziologische Ansätze (Douglas North) scheinen den Autoren die Gewähr zu bieten, die Interdependenz verschiedener Subsysteme innerhalb der Bergverwaltung sowie deren organisatorische und kulturelle Einheit vollständiger erfassen zu können.
Zunächst befassen sich die Autoren mit den Umständen, die maßgeblich zur Entstehung der Bergbau- und Hüttenregion im Ural beitrugen bzw. zu ihrer Erschließung und Entwicklung beeinflussten. Erwähnung finden naturräumliche und geographische Gegebenheiten, die regionale Arbeitsteilung im Kontext der russischen Modernisierung, die infrastrukturelle Erschließung des Ural, aber auch Versuche, die Region entsprechend den Gegebenheiten oder vom Reißbrett aus zu strukturieren und zu administrieren. Die beiden konventionell angelegten Hauptkapitel setzen sich dann mit der regionalen Bergverwaltung im Ural und deren Wechselwirkung mit den zentralen Behörden im 18. Jahrhundert sowie ihre Entwicklung im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert auseinander. Dabei fällt es selbst dem aufmerksamen Leser nicht immer leicht, im Gewirr der Behörden, deren Umbenennungen, Teilungen und Neugründungen sowie bei den zahlreichen Sonderfällen den Überblick zu behalten.
Die Quintessenz der Monographie lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Den Ausgangspunkt für die Bildung der Bergbau- und Hüttenregion Ural bildete die reformerische Tätigkeit Peters I. Sie wurde durch die geographischen Voraussetzungen in starkem Maße begünstigt. Der staatliche Wille, diesen strategischen Wirtschaftszweig zu kontrollieren, und seine gewaltige Entfernung von den wirtschaftlichen und politischen Zentren des Landes sowie die unterentwickelten Verkehrsverbindungen stellten gewaltige Anforderungen an das Zusammenspiel zwischen den Behörden in St. Petersburg und im Ural. Dabei trat eine erhebliche Schwankungsbreite zutage. Genossen die ursprünglich aus der Kanzlei für Bergangelegenheiten (1720–1722) hervorgegangenen exekutiven Verwaltungsstrukturen im Ural auch dank dem Wirken so herausragender Persönlichkeiten wie V. I. Genin und V. N. Tatiščev in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts weitgehende Autonomie, so wuchs in der Folgezeit die Abhängigkeit von den zentralen Behörden. Die Bergverwaltung des Ural selbst war hierarchisch gegliedert und verfügte über eine regionale, eine zonale und eine Kreisebene. Eine Sonderfunktion übte im 18. Jahrhundert das Amt (vedomstvo) Ekaterinburg aus, dessen Behörden die zur Arbeit in den staatlichen metallurgischen Betrieben herangezogenen Bauern verwalteten. Ab 1807 dienten die neu geschaffenen Bergbezirke der effektiven Administration des Bergbaus und der Hüttenindustrien in der Region. Diese weitgehend autarken und militarisierten Strukturen förderten die subregionale Integration und bestanden bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts fort. Das von der Bergadminitration des Ural verwaltete Territorium änderte sich im Laufe der Jahrhunderte. Erfasste es in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts das riesige Gebiet von der Wolga bis zum Baikal-See, so beschränkte es sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Ural und direkt anliegende Gebiete. Immer aber überschritt es Gouvernementsgrenzen, was nicht selten zu Konflikten mit den zivilen Behörden führte. Die Autoren sind zweifellos profunde Kenner ihrer Materie, sie argumentieren auf der Höhe des Forschungsstandes und wissen im Detail viel Interessantes zu berichten. Dennoch klingen die von ihnen formulierten grundlegenden Befunde nicht wirklich neu oder gar überraschend. Eigentlich naheliegende Fragen, beispielsweise, ob diese Sonderform regionaler Verwaltung nicht dazu beigetragen haben könnte, Regionalismus im Ural zu erzeugen, bleiben ausgespart.
Die beiden Anlagen – eine Auflistung der administrativen Einheiten des Amtes Ekaterinburg innerhalb des Gouvernements Tobolsk zwischen 1720 und 1770 sowie eine Liste der diesem Amt zugeschriebenen Siedlungen und Dörfer für 1736 – wirken willkürlich ausgewählt. Auf Indizes und ein Verzeichnis der Quellen und Literatur muss der Leser ganz verzichten.
Zitierweise: Dietmar Wulff über: Konstantin I. Zubkov, Nikolaj S. Korepanov, Igor’ V. Poberežnikov, Evgenij S. Tulisov: Territorial’no-ėkonomičeskoe upravlenie v Rossii XVIII – načala XX veka. Ural’skoe gornoe upravlenie. [Die territoriale und ökonomische Verwaltung in Russland vom 18. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Bergwerksadministration des Ural.] Moskva: Nauka, 2008, 355 S. ISBN: 978-5-02-036738-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Wulff_Zubkov_Upravlenie.html (Datum des Seitenbesuchs)
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