Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 2 (2012), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Christoph Witzenrath
Andrej A. Gordeev: Istorija kazačestva. [Geschichte des Kosakentums.] Moskva: Veče, 2007. 635 S., Abb. ISBN: 5-9533-1172-9.
Aus der Feder eines hochrangigen Offiziers der Donkosaken, der sich im ersten Weltkrieg ausgezeichnet hatte und am Ende des Bürgerkriegs mit der elitären Atamanbrigade den langen Weg in die Emigration antrat, ist dies das einmalige Unternehmen einer Geschichte der Kosaken aus der Sicht ihrer letzten Generation, geschrieben und publiziert in Paris mit geringem oder ohne Zugang zu den Archiven, gestützt auf eigene Erfahrungen, Erinnerungen und die Aussagen anderer Emigranten. Das militärische Element tritt in der Konzeption hervor und bestimmt das Bild vom historischen Verhältnis zu den Völkern der Steppen, der Gebirge und Sibiriens. Die mythische kosakische Freiheit muss von Anfang an gegen die Überfälle der Nachbarn verteidigt werden; demgegenüber treten die in der neueren Forschung betonten Austauschbeziehungen und die flexible Zusammenarbeit im permeablen Grenzland ebenso zurück wie die ökonomischen Motive, die zur Bildung von Kosakengruppen führten. Die Entstehung des slawischen Kosakentums vermutet Gordeev im gemeinsamen Dienst von Steppenvölkern unter der Bezeichnung kazak/kasach in den Armeen Batys mit ostslawischer leichter Reiterei. Bei steigender Geburtenrate reproduzieren sich diese unabhängig vom menschlichen Tribut der Rus’ und entwickeln eine eigene Identität, da die schwachen, zerstrittenen russischen Fürstentümer kein Leitbild abgeben und die Strukturen in Sarai Kontakt und Vermischung verhindern. Diese in sich widersprüchliche Darstellung einer frühen Entstehung des Kosakentums kann Gordeev nicht annähernd in den Quellen belegen, die er unkritisch verwendet. So betrachtet er osmanische Quellen, welche 1502 die Überführung von „Kosaken“ von Azov nach Konstantinopel anordneten, als Beleg für die jahrhundertelange Ansiedlung der Donkosaken in diesem Gebiet; der Begriff, der türkisch für freier Mann oder Deserteur steht, ist jedoch vielfältig anwendbar. Bezeichnend für die Schwächen dieser Interpretation ist die über Jahrhunderte fortgeschriebene Rolle der Kavallerie; nicht umsonst sind nicht nur die alten Kosakenheere nach den Flüssen benannt, in deren Niederungen sich Kosaken halten konnten, die sich auf ihre Boote stützten. Auch die Rolle asiatischer oder nomadischer Überlieferungen für die partizipatorischen Institutionen der Kosaken bleibt fraglich, da sich Vorbilder für diese in Asien wie in Europa finden, insbesondere im polnischen koło oder dem Novgoroder veče.
Trotz eigener Identität hatten die Kosaken ihre orthodoxen Wurzeln nicht vergessen und finden sich zur Schlacht auf dem Kulikovo pole schon 1380 auf Seiten der Rus’. Die Darstellung verfolgt den roten Faden der russischen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts und betont die Rolle der Kosaken in großen und kleinen Schlachten zum Ruhme der russischen Waffen; kurze biographische Darstellungen kosakischer Heldenfiguren sind in den Text eingeflochten. Mit dem Zaren wird Kazan’ erobert, die Kosaken erheben Mikhail Romanov zum Zaren, werden in das Russische Reich integriert und reiten nach dem Krieg gegen Napoleon in Paris ein. Der letzte, vierte Teil ist ganz memoiristisch den Ereignissen in Gordeevs Leben vorbehalten, der hier das Zeugnis anderer Teilnehmer seltener berücksichtigt. Die Revolution ist eine Katastrophe, die erst allmähliche Veränderungen wieder überwinden werden.
Diese in der Forschung wohlbekannte Quelle gibt Auskunft zum Selbst- und Geschichtsbild der Führungsschicht der weißgardistischen Kosaken. Ihre Neuauflage nach der Ausgabe von 1992 weist auf das fortbestehende Interesse an der wenig hinterfragten Geschichte des Kosakentums hin.
Zitierweise: Christoph Witzenrath über: Andrej A. Gordeev: Istorija kazačestva. [Geschichte des Kosakentums.] Moskva: Veče, 2007. 635 S., Abb. ISBN: 5-9533-1172-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Witzenrath_Gordeev_Istorija_Kazacestva.html (Datum des Seitenbesuchs)
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