Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 2 (2012), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Martina Winkler
Natal’ja Ochotina-Lind, Peter Ulf Møller (Hg.): Vtoraja Kamčatskaja ekspedicija. Dokumenty 1734–1736: Morskie otrjady. Sbornik dokumentov. [Die zweite Kamčatka-Expedition. Dokumente 1734–1736: Flottenerkundungen. Dokumentensammlung.] Sostoviteli [Zusammengestellt von] Natal’ja Ochotina-Lind, Peter Ul’f Meller. St.-Peterburg: Nestor-Istorija, 2009. 933 S. ISBN: 978-5-9818-7315-7.
Im Rahmen der Reihe „Quellen zur Geschichte Sibiriens und Alaskas aus russischen Archiven“ erscheinen in regelmäßigen Abständen aufwendig edierte Quellenbände, die schrittweise und sehr kleinteilig die russländische Eroberung – vor allem aber Erforschung – Sibiriens, des nordpazifischen Raumes und Nordwestamerikas dokumentieren. Es handelt sich dabei um eine Gemeinschaftsarbeit der Franckeschen Stiftungen zu Halle mit dem Archiv der Russländischen Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg – durchaus ein Spiegelbild der deutsch-russländischen Kooperation im 18. Jahrhundert. Mit dem seit 2009 vorliegenden Band von Natal’ja Ochotina-Lind (Petersburg) und Peter-Ulf Møller (Kopenhagen) werden nun zwei Jahre in den Blick genommen, die weniger dramatisch bzw. gefällig erscheinen als so manche andere Periode dieser häufig dokumentierten Geschichte. 1734 war Martin Spanberg, der Leiter der ersten so genannten „pazifischen Abteilung“ (oder eben des morskij otrjad) in Ochotsk angekommen und begann mit dem Schiffbau. Vitus Bering hielt sich zu dieser Zeit noch in Tobol’sk auf. Zwischen 1734 und 1737 wurden zwei Schiffe gebaut, die dann erst 1738 in See stachen; die bekannte „Amerikareise“ Vitus Berings und Aleksej Čirikovs begann im eigentlichen Sinne erst 1740. Die Quellen aus den Jahren 1734 bis 1736 schildern somit die Vorgeschichte, besser noch: die Vorarbeit für die Expeditionen, die später so großes Aufsehen erregen sollten. Die Herausgeber erklären in ihrem Vorwort auch gleich, mit „Meeresromantik“ solle der Leser nicht rechnen. Die Quellen seien weniger von Salzwasser als von Schweiß getränkt, es handele sich hier um die „grobe Prosa“ (surovaja proza) Sibiriens. Angesichts dessen ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass die in diesem Werk edierten Texte bisher – bis auf wenige Einzelfälle – nicht in den vielen Quellenbänden zu Bering, Sibirien und Russisch-Amerika auftauchen. Es sind weder angenehm zu lesende Reiseberichte noch die beispielsweise bei Aleksej Naročnickij zahlreich abgedruckten „offiziellen“ Instruktionen und Briefe. Was aus diesen Dokumenten deutlich wird, sind die unendlich vielfältigen praktischen Probleme der gigantischen Expedition: Geld, Personal, Material, Transportmöglichkeiten, Versorgung, Infrastruktur, Krankheiten.
Diese Quellen bieten somit eine umfassende Basis für detaillierte Untersuchungen – ob sie allerdings erstmals, wie die Herausgeber andeuten, ein notwendiges Korrektiv zu einem angeblichen illusionär aufklärerischen Enthusiasmus bieten, den Dokumente aus St. Petersburg zeigen, ist zu bezweifeln. Vitus Bering und andere Teilnehmer der Expedition haben sich durchaus nicht gescheut, sich Ansprechpartner in der Hauptstadt zu suchen und diese um Hilfe bei den verschiedensten – auch praktischen – Problemen zu bitten. Solche Quellen sind bereits publiziert. Und gerade nach den in mancher Hinsicht für die Zeitgenossen enttäuschenden Resultaten der ersten Bering-Expedition (1728–1730) waren sich viele der großen Schwierigkeiten mit Transport, Versorgung und Infrastruktur durchaus bewusst. Dennoch ist der Band voll und ganz zu begrüßen; er entspricht dem aktuell großen Interesse an mikrohistorischen Dimensionen der „großen“, globalen Entdeckungen.
Die Editionsprinzipien und die Editionspraxis entsprechen den hohen Maßstäben der gesamten Reihe; die Lesbarkeit der Texte ist hier besser als in anderen Bänden, in denen die Dokumente allzu detailliert, man möchte sagen: pedantisch, kommentiert wurden. Die Herausgeber bemühen sich, möglichst nah am Original zu bleiben, kommen dem Leser aber doch mit einer vorsichtigen Modernisierung der Texte entgegen.
Die Quellen stammen aus sibirischen Archiven, vor allem aber aus dem Moskauer Archiv für alte Akten (RGADA) und dem St. Petersburger Marinearchiv (RGAVMF). Ausführliche Namens-, Orts- und Sachregister erleichtern die Arbeit mit dem Band; nützlich ist auch die ausführliche Bibliographie.
Martina Winkler, Münster
Zitierweise: Martina Winkler über: Natal’ja Ochotina-Lind, Peter Ulf Møller (Hg.): Vtoraja Kamčatskaja ekspedicija. Dokumenty 1734–1736: Morskie otrjady. Sbornik dokumentov. [Die zweite Kamčatka-Expedition. Dokumente 1734–1736: Flottenerkundungen. Dokumentensammlung.] Sostoviteli [Zusammengestellt von] Natal’ja Ochotina-Lind, Peter Ul’f Meller. St.-Peterburg: Nestor-Istorija, 2009. 933 S. ISBN: 978-5-9818-7315-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Winkler_Ochotina-Lind_Vtoraja_Kamcatskaja.html (Datum des Seitenbesuchs)
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