Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 3 (2013), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Ernst Wawra
Sarah B. Snyder: Human Rights Activism and the End of the Cold War. A Transnational History of the Helsinki Network. Cambridge 2011. X, 293 S., Abb. = Human Rights in History. ISBN: 978-1-107-00105-3.
Bei der Erforschung der Wirkungen der KSZE hat Sarah B. Snyder mit ihrer 2006 abgeschlossenen Dissertation eine ähnliche Aufmerksamkeit erreicht, wie zuletzt Daniel C. Thomas im Jahr 2001 mit „The Helsinki Effect“, denn bis zur nun vorliegenden Publikation ihrer Arbeit hat Snyder ihre Ergebnisse bereits in einer Vielzahl von Aufsätzen vorab veröffentlicht.
Sie untersucht in ihrer Abhandlung den Zusammenhang zwischen dem Einsatz für Menschenrechte und den daraus resultierenden Folgewirkungen auf den Kalten Krieg und unternimmt den Versuch, „a Transnational History of the Helsinki Network“ zu schreiben. Als erstes wendet sie sich dafür den Verhandlungen der KSZE von Dipoli 1972 über Genf bis Helsinki 1975 zu und gibt einen Einblick in die so heterogenen Interessenlagen der einzelnen Teilnehmerstaaten jenseits der Zugehörigkeit zu einem Block bzw. zur Gruppe der N+N-Staaten. Das zweite Kapitel widmet sich der Arbeitsweise und Wirkung der von Millicent Fenwick initiierten U.S. Helsinki Commission des US-amerikanischen Kongresses. Im Folgenden zeichnet Snyder die Gründung und anfängliche Arbeit der ersten Helsinki-Gruppe nach, wobei sie darstellt, wie sich nach anfänglichen Diskussionen unter der Leitung von Jurij Orlov die Moskauer Helsinki-Gruppe gründete und dabei von Beginn ihrer Tätigkeit an großen Wert auf Verbindungen ins Ausland legte. Gleichzeitig referiert sie die Verfolgung der Mitglieder und weist dabei auf die daraus entstandenen internationalen Verwicklungen hin.
Die erste Folgekonferenz in Belgrad bildet den äußeren Rahmen für das vierte Kapitel. Dafür geht Snyder zunächst in der Chronologie einen Schritt zurück – in den Wahlkampf von Jimmy Carter gegen Gerald Ford. Sie beschreibt anhand von Aussagen mehrerer Berater Carters dessen gespaltene Einstellung zur außenpolitischen Agenda. Er schwankte zwischen der Aufrechterhaltung guter Beziehungen zur Sowjetunion, um beispielsweise in Abrüstungsfragen eine weitere Annäherung zu ermöglichen, und einer Betonung der Einhaltung der Menschenrechte mit einer daraus resultierenden Verschlechterung der Beziehungen. Doch bereits im Wahlkampf habe sich Carter für letztere Möglichkeit entschieden, und so skizziert Snyder die Auswirkungen der neuen Haltung der amerikanischen Seite für die erste Folgekonferenz in Belgrad.
Daran anschließend zeigt sie den transnationalen Rahmen des Helsinki-Netzwerkes auf. Unter Rückgriff auf Erinnerungen der damals in der US Helsinki Watch und der International Helsinki Federation aktiven Mitglieder kann sie deutlich machen, welcher verschiedenen Taktiken sich die Mitglieder bedienten, um sich für die verfolgten Bürger- und Menschenrechtler in den Staaten des Warschauer Paktes, aber auch für die allgemeine Einhaltung der Bestimmungen von Helsinki einzusetzen. Zwar habe es sich meist um Symbolpolitik gehandelt, doch habe ein Großteil der Dissidenten die weitreichende Bedeutung dieses Eintretens für ihr Schicksal betont.
Unter dem Titel „Human Rights in East-West Diplomacy“ behandelt Snyder eines der zentralen und zu dieser Zeit äußerst öffentlichkeitswirksamen Themen in den diplomatischen Beziehungen zwischen den Blöcken. Den Grund dafür, dass die Frage der Einhaltung der humanitären Bestimmungen der Schlussakte von Helsinki derart prominent auf der diplomatischen Ebene diskutiert werden konnte, sieht sie richtigerweise in dem beständigen Pochen von Menschenrechtsgruppen in Ost und West auf diesen Bestimmungen von Helsinki. Gleichzeitig stellt sie dar, dass ein Weiterverhandeln im Rahmen der KSZE auch Fortschritte hinsichtlich der Abrüstungskonferenz in Europa versprach.
Welche Wirkungen sich aus der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki in den mittel- und osteuropäischen Ländern bereits ergeben hatten, zeigte sich daran, dass nach anfänglicher Ablehnung diskutiert wurde, ob in Moskau eine Konferenz zu Menschenrechten abgehalten werden sollte. In diesem siebten Kapitel erörtert Snyder den Verlauf der umfänglichen und lang anhaltenden Diskussion dieses Vorschlages, der zu Beginn des Wiener Folgetreffens von Außenminister Eduard A. Schewardnadse gemacht worden war. Anschließend stellt Snyder, ausgehend von Havels Ausspruch aus dem Jahr 1990 – „perhaps without you, our revolution would not be“ (S. 226) – dar, „how Helsinki activism influenced the transformation of Europe both directly and indirectly“ (S. 217). Dabei blendet sie jedoch in ihrer Argumentation andere Faktoren, wie beispielsweise die wirtschaftlichen Probleme oder auch das Wettrüsten, nicht aus.
In ihrem Schlusskapitel verzichtet Snyder auf einen kurzen Ausblick und fasst stattdessen ihre vorangegangen Kapitel kursorisch zusammen. Im Anhang der Arbeit findet sich neben einer ausführlichen Bibliographie, die den aktuellen Stand der Forschung und die frei zugänglichen Aktenbestände dokumentiert, ein Index.
Leider gerät in ihrer Darstellung das Bild einer transnationalen Geschichte des Helsinki-Netzwerkes zu kurz – der Rezensent ist sich jedoch sehr wohl bewusst, dass dies auf 249 Textseiten nur sehr bedingt möglich ist. Zwar bezieht Snyder auch die nichtstaatlichen Akteure in Ostmittel- und Osteuropa ein, allerdings bleibt sie zumeist der staatlichen Ebene der Staats- und Regierungschefs sowie der Delegationsmitglieder verhaftet und verliert dabei die originäre Arbeit innerhalb dieses Netzwerkes an manchen Stellen aus den Augen. Dies fällt umso mehr auf, als die Dokumente, die von den Helsinki-Gruppen erstellt worden sind, nur bedingt Eingang in die Untersuchung gefunden haben und so deren Arbeit sowie die Interaktionen innerhalb des Helsinki-Netzwerkes nicht allzu deutlich werden.
Bedenken sind ebenfalls anzumelden, wenn Snyder suggeriert, KOR oder ROPCiO seien Helsinki-Gruppen gewesen (S. 67 f), unterschieden sich diese in ihrer inhaltlichen Ausrichtung doch sehr stark von der ersten Helsinki-Gruppe in Moskau – erst 1979 trat in Polen die Helsinki Kommission unter Zbigniew Romaszewski auf den Plan.
Trotz dieser Kritikpunkte, die die Leistung Snyders nicht schmälern sollen, bleibt ein sehr positiver Gesamteindruck zurück. Über die anfänglich meist einseitig lobende Aufmerksamkeit, die Daniel C. Thomas 2001 erfuhr, ließe sich aufgrund vieler Oberflächlichkeiten und seiner nur bedingten Detailkenntnisse über die Verhältnisse in Ostmittel- und Osteuropa begründet und trefflich streiten – bei Sarah B. Snyder verhält es sich jedoch anders herum: Sie verfolgt ihre Fragestellung innerhalb eines größeren Zeitraumes und dabei gelingt es ihr überzeugend, die Rolle der Menschenrechte und des transnationalen Helsinki-Netzwerkes in die Bedingungen des Kalten Krieges einzuordnen. Im Unterschied zu Thomas negiert bzw. unterschätzt sie nicht die weiteren Faktoren, die erklären, „how and why the Cold War concluded“ (S. 1) – erinnert sei exemplarisch an die ökonomische Situation, das Wettrüsten oder auch den Gorbačev-Faktor (Archie Brown). Mit ihrer flüssig geschriebenen Arbeit lenkt Snyder den Blick der Forschung auf ein wichtiges Themengebiet und bildet einen bedeutenden Anknüpfungspunkt für zukünftige Forschung.
Zitierweise: Ernst Wawra über: Sarah B. Snyder: Human Rights Activism and the End of the Cold War. A Transnational History of the Helsinki Network. Cambridge 2011. X, 293 S., Abb. = Human Rights in History. ISBN: 978-1-107-00105-3, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Wawra_Snyder_Human_Rights.html (Datum des Seitenbesuchs)
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