Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Ernst Wawra

 

Olaf Mertelsmann: Central and Eastern European Media under Dictatorial Rule and in the Cold War. Frankfurt a.M. [etc.]: Lang, 2011. 232 S., Tab. = Tartu Historical Studies, 1. ISBN: 978-3-631-61103-6.

Medien unter den Bedingungen von Diktaturen und während des frühen Kalten Krieges – dies ist das Thema des hier vorliegenden Sammelbandes. Im zurückliegenden Jahrzehnt fanden mehrere Tagungen zu diesem Komplex statt, deren Ergebnisse beispielsweise von Thomas Lindenberger (Massenmedien im Kalten Krieg, 2006) oder auch von Francesca Billiani (Modes of Censorship and Translation, 2007) resümiert wurden. Der nun von Olaf Mertelsmann herausgegebene Band geht auf einen Workshop aus dem Jahr 2005 in Tartu zurück und setzt sich mit der Wirkung von Medienpolitik und Zensur auseinander. Dabei nähern sich die zwölf hinsichtlich ihrer Methodik und Qualität sehr heterogenen Beiträge ganz unterschiedlichen Medien: dem Film, Funk und Fernsehen ebenso wie ausgewählten Presseorganen sowie der Literatur. Der Untersuchungsraum erstreckt sich über ausgewählte Länder Mittel- und Osteuropas – darunter beispielsweise Bulgarien, die DDR, Estland, Polen oder die Tschechoslowakei – in der Zeit der 1930er bis 1950er Jahre.

In der „very brief introduction“ (S. 9) gewährt Mertelsmann nur einen rudimentären Einblick in das Forschungsfeld und stellt die gemeinsamen Fragen der Beiträger vor: Wie wurden Medien kontrolliert? Wie effizient war diese Kontrolle? Welche Rolle spielte dabei die Sowjetunion? Wie verliefen die Entwicklungen in den jeweiligen Ländern? Auf eine Diskussion, die die wichtigsten Werke aus diesem Bereich zusammenfasst, wird mit dem Hinweis auf die Quantität der bisherigen Forschung ebenso verzichtet wie auf eine Bibliographie im Anhang.

Da eine Einzelwürdigung aus Platzgründen nicht möglich ist, sollen im Folgenden herausragende Beiträge exemplarisch besprochen werden. Chloë Stephenson stellt ihre Ergebnisse über die Beeinflussung des italienischen (Propaganda-)Films durch den sowjetischen (Kino-)Film vor. Durch die „ideal marriage between State and cinema“ (S. 14) sollte auch in Italien die „formidable social weapon“ (S. 14) des Films Anwendung finden. Eine sinnvolle Ergänzung findet dieser Beitrag in der fundierten und quellengestützten Arbeit von Judith Devlin. Sie widmet sich den verschiedenen Stationen, die ein Film in der Sowjetunion durchlaufen musste, bis dieser schließlich von Josif Stalin akzeptiert wurde. Hiebei wird besonders der Zusammenhang von Großem Terror und den Entwicklungen innerhalb der Filmproduktion deutlich. Die Autorin zeigt anhand konkreter Dokumente und Filmausschnitte beeindruckend den Prozess auf, bis das gewünschte – also „richtige“ – Bild des „großen Führers“ auf Leinwand gebannt war. In ihrem exzellenten Beitrag zeichnet Devlin darüber hinaus die Verbindungen zu den Printmedien nach – die Einflussnahme hörte bekanntermaßen ja nicht mit der Vorführung eines Filmes auf; auch die Rezeption des Publikums sollte gesteuert werden.

Mit dem Rundfunk beschäftigen sich zwei Beiträge. Einen aufschlussreichen Einblick in ihre Forschung gibt dabei Inge Marszolek. Sie geht der scheinbaren Nichtexistenz „der Juden“ bzw. „der Judenfrage“ in den nationalsozialistischen Nichtprintmedien wie der Wochenschau oder bei Unterhaltungssendungen im Radio nach. Einen reflektierten Zugang über Interviews und andere Ego-Dokumente wählt Mertelsmann, der die Rolle ausländischer Rundfunksender in direkter Konkurrenz zu offiziellen Sendungen in Sowjetestland untersucht. Dass dort eben kein Informationsmonopol vorherrschte und damit ausländische Sender eine wichtige Rolle bei der Einordnung der von der Sowjetunion propagierten Realität einnahmen, zeigt er in seinem konzisen Beitrag auf. Am Ende seiner durchdachten Ausführungen gibt er zu bedenken, dass dennoch nicht der Fehler begangen werden sollte, aus dem Hören von ausländischen Sendern zwangsläufig ein Andersdenken oder gar Dissidenz abzuleiten.

Jürgen Wilke untersucht mithilfe eines vielversprechenden Ansatzes die Instruktionen an die Medien von der Zeit des 1. Weltkrieges über die Zeit des Nationalsozialismus bis hin zur Sowjetischen Besatzungszone bzw. der späteren DDR. Gleichzeitig werden die bestehenden Kontinuitäten, wenn auch unter geänderten Vorzeichen und Voraussetzungen, analysiert. Dabei zeichnet er nicht nur die einzelnen Stationen nach, sondern gibt unter anderem einen tiefen Einblick in die unterschiedlichen Strategien, mit denen die DDR auf die Medien einwirkte. Weiterhin gelingt es ihm auf begrenztem Raum, die Einzelmaßnahmen – Telegramme, Argumentationshinweise, etc. – vorzustellen und gleichzeitig zu kontextualisieren. Damit dokumentiert er Traditionen und Neuerungen zwischen der oktroyierten Kommunikationspolitik in der Monarchie sowie in zwei Diktaturen.

Unabhängig von der unbestreitbaren Qualität einzelner Beiträge ist an der grundsätzlichen Ausrichtung des Sammelbandes Kritik anzubringen. Es findet sich kein System in der Anordnung der Beiträge, obwohl es sich doch angeboten hätte, die einzelnen Untersuchungen konsequent nach dem behandelten Medium zu gliedern sowie einen Themenblock zum Aufbau und zur Funktionsweise der Zensur abzugrenzen. Selbiges gilt für die Auswahl der Länder, da diese ein wenig beliebig erscheint. Mag der aus dem Titel nicht hervorgehende Schwerpunkt Estland, immerhin vertreten mit drei Untersuchungen, noch dem Tagungsort des Symposiums geschuldet sein, erklärt sich die weitere Auswahl nicht von selbst. Dies wird vor allem bei den Ausführungen Roland Grafs deutlich. So interessant die Ergebnisse auch sein mögen, so wenig vermag sich Österreich in die Reihe der anderen Länder einzureihen. Vielleicht wäre es  lohnenswert gewesen, den Zeitraum auf die Vor- oder die Nachkriegszeit einzugrenzen.

Zuzustimmen ist Mertelsmann, wenn er schreibt: „Media in dictatorships should construct an ‚image of the enemy‘, transfer the propaganda of the regime, compete with alternative sources of information such as foreign radio broadcasting, deliver information, mobilise the population and, last but not least, entertain the audience (S. 9). Dass die Rolle von Medien in demokratischen Staaten nicht miteinbezogen wurde, begründet er lapidar: „this lies outside the scope of this volume“ (S. 9). Aber genau an diesem Punkt liegt eine der größeren Schwächen dieses Sammelbandes. Unter den Vorzeichen des Kalten Krieges standen die Medien auch in den scheinbar standfesten Demokratien unter einer (starken) politischen Beeinflussung – erinnert sei nur an die McCarthy-Ära in den USA. Doch unabhängig von mehr oder weniger konkreten Unfreiheiten der Presseorgane sowie staatlicher Kommunikationspolitik in den freien Ländern, würden doch gerade erst in der Gegenüberstellung die Besonderheiten und gleichzeitig die eklatanten Unterschiede klarer hervortreten. Zudem hatte sich Mertelsmann selbst folgendes Ziel gesetzt: „Adding some more grey tones to this black-and-white picture is one of the aims of this volume“ (S. 11). Doch ohne den genannten Vergleich unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges und der entstehenden bipolaren Welt, also von realem wie propagandistischem und ideologischem Krieg, bleibt dieses Bild unvollständig.

Alles in allem hinterlässt der Sammelband einen zwiespältigen Eindruck. Auf der einen Seite bieten einige Aufsätze eine anregende Lektüre, auf der anderen Seite wird jedoch auf deskriptive Weise viel Bekanntes referiert. So bleiben aufgrund des breit gewählten Ansatzes äußerst heterogene Bilder, die sich zum Teil nur schwerlich in ein Ganzes einfügen wollen.

Ernst Wawra, Göttingen

Zitierweise: Ernst Wawra über: Olaf Mertelsmann: Central and Eastern European Media under Dictatorial Rule and in the Cold War. Frankfurt a.M. [etc.]: Lang, 2011. 232 S., Tab. = Tartu Historical Studies, 1. ISBN: 978-3-631-61103-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Wawra_Mertelsmann_Central_and_Eastern_European_Media.html (Datum des Seitenbesuchs)

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