Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 2 (2012), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Ernst Wawra
Volkmar Billig, Birgit Dalbajewa, Gilbert Lupfer, Yulia Vashchenko (Hrsg.): Bilder-Wechsel. Sächsisch-russischer Kulturtransfer im Zeitalter der Aufklärung. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2009. 304 S., Abb. ISBN: 978-3-412-20435-8.
Die Geschichte der Stadt Dresden und Heinrich Graf von Brühl, der Namensgeber für die „Brühlschen Herrlichkeiten“, sind eng miteinander verbunden. Einen Eindruck von der ursprünglichen Anlage der Brühlschen Bauten, die bereits wenige Jahre nach ihrer Errichtung in Teilen zerstört worden sind, erhält man heute leider nur noch durch die verschiedenen historischen Stadtansichten etwa von Bernardo Bellotto, der bei seinem Onkel Giovanni A. Canal in Venedig in die Vedutenmalerei eingeführt worden war.
Doch ist das Wirken von Brühls als Premierminister nicht nur mit der Innenpolitik unter August dem Starken und dem architektonischen Umbau Dresdens verbunden, sondern auch mit dem Kulturtransfer nach Russland, genauer nach St. Petersburg. Denn nach seinem Tod 1763 trennten sich die Erben von seinen zu Lebzeiten äußert eindrucksvollen Sammlungen von Gemälden, Kupferstichen, Skulpturen, einigen Porzellanarbeiten und anderen Kostbarkeiten sowie der umfangreichen Bibliothek. Kaiserin Katharina II., die im fernen St. Petersburg von der angestrebten Veräußerung erfahren hatte, ließ über Fürst Andrej M. Belosel’skij-Belozerskij rund 600 Gemälde aufkaufen. Einige Bilder der Brühlschen Sammlungen sind heute im Staatlichen Museum der Schönen Künste „A. S. Puškin“ in Moskau sowie in der Staatlichen Eremitage in St. Petersburg zu sehen.
So nehmen dann die Sammlungen Brühls folgerichtig auch einen großen Teil des vorliegenden Bandes „Bilder-Wechsel. Sächsisch-russischer Kulturtransfer im Zeitalter der Aufklärung“ ein. Dieser ist das „Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Institutionen aus Deutschland und Russland“ (S. 7) und hat ohne Zweifel ein größeres Forschungsdesiderat geschlossen. Insgesamt elf Beiträge sowie ein Verzeichnis der Brühlschen Kupferstichsammlung haben die vier Herausgeber Volkmar Billig, Birgit Dalbajewa, Gilbert Lupfer und Yulia Vashchenko versammelt. Nach einer Einführung von Ada Raev, die einen Bogen der Beziehungen zwischen Russland und Sachsen von Peter dem Großen bis zu Katharina der Großen spannt, und einem anregenden Gespräch von Gerd Koenen mit Volkmar Billig über „Russlandbilder – Deutschlandbilder“ finden sich drei Schwerpunkte mit jeweils drei Beiträgen, die erstens den „Schätzen des Wissens“, zweitens dem Erwerb der Brühlschen Sammlungen für die Eremitage in St. Petersburg und drittens den Vermittlern zwischen Dresden und Russland nachgehen.
Dem Einfluss Sachsens auf die Einrichtung der „Kunstkamera“ oder auch von Laboratorien in der 1703 neu gegründeten Stadt St. Petersburg wird in drei Beiträgen nachgegangen. Im ersten zeigt Olga Kostjuk eine der Auswirkungen der Petrinischen Reformen, nämlich das Sammeln von Schätzen aus Europa und aus dem russländischen Reich selbst. Bereits von der Großen Gesandtschaft hatte Peter eine beträchtliche Anzahl an Kostbarkeiten ebenso wie an ‚einfachen‘ Dingen mitgebracht. Kostjuks Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Sammlungsgegenständen, die Peter in Dresden, beispielsweise aus der Werkstatt von Johann M. Dinglinger, einem der sächsischen Hofgoldschmiede, erwarb oder auch als Geschenk beispielsweise von August dem Starken erhielt. Mathias Ullmann untersucht die sächsischen Einflüsse bei der Einrichtung der Kunstkammer in St. Petersburg und zeigt damit einerseits den Einfluss Sachsens auf Peter den Großen auf und gibt andererseits Hinweise auf die heute noch in Petersburger Museen überlieferten Zeugnisse. Mit einem Beitrag über das chemische Laboratorium Michail V. Lomonosovs rundet Tatjana Moiseeva diesen Schwerpunkt ab.
Den zweiten bilden die Brühlschen Kunstsammlungen und deren teilweiser Erwerb durch Katharina II. So geben Ute Christina Koch, Alexei Larianov und Dimitri Ozerkov einen detaillierten Einblick in die breite Sammeltätigkeit von Brühls und in das Zerreißen der Sammlungen nach dessen Tod sowie in den Ankauf von Teilen davon durch Kaiserin Katharina II.
Der dritte Schwerpunkt widmet sich den Vermittlern des jeweils anderen in „Ost und West“. Der Beitrag, der sich mit der „Vermittlung russischer Kulturleistungen im Mitteldeutschen Raum“ (S. 223) beschäftigt, stammt von Erhard Hexelschneider. Darin geht er der Frage nach, wie Kultur im Allgemeinen von „Ost (Russland) nach West (Mittel- und Westeuropa)“ (S. 223) vermittelt wurde und wie sich russische Literatur durch westliche Multiplikatoren oder durch Reisetätigkeit der Autoren bekannt machte. Thomas Liebsch befasst sich wiederum mit dem „Kunst- und Kulturtransfer“ (S. 243) von „Dresden nach St. Petersburg“ (S. 243) am Beispiel Jacob von Stählins. Eine Zwischenstellung nehmen in diesem Zusammenhang die Ausführungen von Michael Schippan über Fürst Aleksandr M. Belosel’skij-Belozerskij ein, da dieser, zusammen mit seinem Bruder Andrej, der vor ihm bereits Gesandter des Kaiserhofes in Dresden gewesen war, sowohl selbst als Literat tätig geworden ist als auch andererseits Kontakte zu zeitgenössischen Künstlern wie Wolfgang Amadeus Mozart oder Johann Wolfgang von Goethe pflegte.
Hinsichtlich der Vermittlung aus Russland nach Sachsen wäre eine noch stärkere Akzentuierung auf die dezidiert russländischen Einflüsse vorstellbar gewesen, wobei man ebenfalls Schenkungen aus Russland für August den Starken in den Blick hätte nehmen können. So ist ein kleines Ungleichgewicht zugunsten des Kulturtransfers aus Sachsen entstanden.
Insgesamt bestechen die Beiträge jedoch durch ihre Aktualität, ihre Fundierung auf Archivfunde sowie ihre umfangreichen Verweise auf die bisherige Forschung. Eine große Anzahl der Artefakte, Skulpturen und Bilder, die in den einzelnen Beiträgen Besprechung finden, sind als Abbildungen in den Text integriert. Man kann den Sammelband wohl als unverzichtbar bezüglich der Sammlungen von Brühls bezeichnen, da neben deren weitgehender Rekonstruktion weiterhin die Publikation des kommentierten „Verzeichniss derer Kupferstich-Wercke, so die Gräflich-Brühlische Kupferstich-Sam[m]lung ausmachen“ von 1768 geleistet wurde. Darüber hinaus darf man auf die an verschiedenen Stellen angekündigten weiteren Ergebnisse dieses und anderer Projekte, deren Fokus nicht nur auf der Aufklärung liegt, sondern auch nach den gegenwärtigen deutsch-russischen Kulturbeziehungen fragen, gespannt sein.
Zur leichteren Benutzung wäre zumindest ein Personenregister wünschenswert gewesen. Ein wenig störend wirken die wenigen Ungenauigkeiten und Uneinheitlichkeiten – bezogen auf die Verwendung von Begriffen wie „russisch – russländisch“ oder „Zar/Zarin – Kaiser/Kaiserin“, die allerdings den Wert dieses Sammelbandes nicht schmälern.
Dass der sächsisch-russische Kulturtransfer in Form eines, nun im wörtlichen Sinne, Bilder-Wechsels in der Gegenwart wiederaufgenommen wird, stellt die Ausstellung „Die Peredwischniki. Maler des russischen Realismus“ – von Februar bis Mai 2012 – unter Beweis. So wurden 90 Werke, darunter eines der bekanntesten, „Die Wolga-Treidler“ von Il’ja E. Repin, aus dem Staatlichen Russischen Museum in St. Petersburg und aus der Staatlichen Tret’jakov-Galerie in Moskau den Chemnitzer Kunstsammlungen ausgeliehen. Ebenso ist als Abschluss des Russland-Deutschland-Jahres 2012 eine Sonderausstellung „Zwischen Orient und Okzident. Kunstschätze des Kreml von Iwan dem Schrecklichen bis Peter dem Großen“ im Residenzschloss in Dresden – ab November 2012 – geplant. Der kulturelle Austausch zwischen Sachsen und Russland hält somit bis heute an.
Zitierweise: Ernst Wawra über: Volkmar Billig, Birgit Dalbajewa, Gilbert Lupfer, Yulia Vashchenko (Hrsg.): Bilder-Wechsel. Sächsisch-russischer Kulturtransfer im Zeitalter der Aufklärung. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2009. 304 S., Abb. ISBN: 978-3-412-20435-8., http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Wawra_Billig_Bilder-Wechsel.html (Datum des Seitenbesuchs)
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