Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 4 (2014), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Matthias Uhl

 

Vadim Gennadevič Obuchov: Uran dlja Berii. Vostočnyj Turkestan v atomnom proekte Kremlja. Moskva: Veče, 2010. 365 S., Abb. = Chroniki tajnoj vojny. ISBN: 978-5-9533-4438-8.

Als im Sommer 1945 die Sowjetunion ihr Atombombenprojekt im industriellen Maßstab begann, wurde rasch deutlich, dass hierfür beträchtliche Mengen an Uran notwendig waren. Vor allem die Geschichte der Uranlagerstätten in Sachsen, Thüringen und der Tschechoslowakei, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter sowjetische Kontrolle gerieten, ist durch die exzellenten Forschungen von Rainer Karlsch und Zbyněk Zeman erschöpfend erforscht. Weitgehend unbekannt ist, dass die Sowjetunion den dringend benötigten Kernspaltstoff auch in der Region Ost-Turkestan abbaute. Der Verbindung zwischen der wechselvollen Geschichte dieser umstrittenen Region und dem sowjetischen Kernwaffenprojekt gibt das Buch des russischen Journalisten und Historikers Vadim Obuchov vor gewidmet zu sein.

Nach einer kurzen Einführung beschreibt der Autor zunächst die Geschichte des im chinesischen auch Xinjiang genannten Territoriums im frühen 20. Jahrhundert. Seit 1917 versuchte die Führung der Bolševiki Einfluss in dem Gebiet zu gewinnen, wobei die sowjetischen Kommunisten zunächst nicht die Befreiungsbewegungen der dort ansässigen Uiguren und Dongxiang unterstützen, sondernda Moskau den Schwund seines wirtschaftlichen Einflusses in der Region undGefahr für seine Grenzenfürchtetemit der chinesischen Verwaltung zusammenarbeiteten. Mitte der 1930er Jahre retteten sowjetische Truppen dem Gouverneur von Xinjiang Sheng Shicai die Macht; er geriet daraufhin vollkommen unter den Einfluss Stalins und trat 1938 sogar in die kommunistische Partei eint. Nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion setzte sich Sheng Shicai zunehmend von seinen moskautreuen Beratern ab und versuchte, mit der Kumointang zusammenzuarbeiten.

Wie Stalin daraufhin seine Politik änderte und jetztvor allem mit Hilfe seiner Geheimdienstedie eingesessenen Uiguren und Kasachen gegen die chinesische Herrschaft bis hin zur Errichtung der Republik Ost-Turkestan unterstützte, zeigen die weiteren Kapitel des Buches. Das 1945 geschaffene Gebilde sollte nach dem Willen des NKVDein von China unabhängiger, der Sowjetunion freundlich gesinnter muslimisch-demokratischer Staatsein. Mit dessen Zustimmung konnten sowjetische Geologen dann auch in Ost-Turkestan mit dem Abbau von Uranerzen für das von Berija geleitete Atombombenprojekt beginnen.

Seine Erwartungen, nach mehr als der Hälfte des Buches endlich detailliertere Informationen über den sowjetischen Uranabbau in Xinjiang zu erhalten, sieht der Leser allerdings getäuscht, da sich der Autor jetzt den politischen Ränkespielen in der Republik Ost-Turkestan widmet. Zwar flicht er hin und wieder Angaben zu den sowjetischen Bemühungen um die Atombombe ein, doch gehen diese selten über Allgemeinplätze und nur zu gut Bekanntes hinaus. Da zuverlässige Quellen augenscheinlich nur begrenzt vorhanden sind, muss Obuchov immer wiedergerade wenn es um die Urangewinnung in der Region gehtspekulieren. So hält er es beispielsweise für möglich, dass japanische und sogar deutsche Kriegsgefangene in den Minen eingesetzt wurden, kann diese Vermutung aber an keiner Stelle erhärten.

Auch nach mehr als 300 Seiten hat der Leser kaum etwas über Berijas Rolle im Atombombenprogramm Stalins oder gar über den Uranbergbau in Ost-Turkestan erfahren. Stattdessen werden ausführlich das Ende des Staates und dessen Inkorporation in die Volksrepublik China beschrieben. Lediglich am Ende seines Buches legt Obuchov dar, wie die chinesische Atomindustrie die Uranlagerstätten in Xinjiang als strategische Reserve nutzt. 1959 wurde in Urumtschi, der Hauptstadt der Region, ein Werk zur Urananreicherung errichtet, dessen Kapazität Ende der 1970er Jahre die Verarbeitung von jährlich 300.000 Tonnen Uranerz erlaubte. Derartige Zahlen hätte sich der Leser auch für Berijas Kernwaffenprojekt gewünscht, doch der Autor muss diese schuldig bleiben, da er offensichtlich über keine entsprechenden Angaben verfügt. Folglich kann er die Bedeutung des Uranabbaus in Ost-Turkestan für den Bau der sowjetischen Atombombe nicht bestimmen.

Leider zeigt das vorliegende Werk von Obuchov, wie journalistische und historische Forschung in Russland gegenwärtig mitunter betrieben wird. Mindestens die Hälfte seines insgesamt durchaus zu gefällig lesendenwenn auch am Thema vorbeigehendenBuches hat der Autor bereits 2007 in seinem WerkSchvatka šesti imperij. Bitva za Sincjanveröffentlicht. Um am Erfolg jener Publikation anknüpfen zu können, ergänzte Obuchov das neue Werk um das Problem des sowjetischen Uranabbaus in Ost-Turkestan. Obgleich das Buch den TitelUran für Berijaträgt, bleibt der Autor fast alle Informationen zu diesem Thema schuldig. Genauso ärgerlich ist, dass Obuchovwohl unter dem Druck des Verlagesauf einen wissenschaftlichen Apparat verzichten musste. Die zahlreichen und umfangreichen Quellenzitatedie, soweit sie der Geschichte Ost-Turkestans gewidmet sind, aus durchaus interessanten Dokumentensammlungen stammenbleiben deshalb ohne Belege und damit für die historische Forschung weitgehend wertlos. In diesem Fall hilft auch das umfangreiche Literaturverzeichnis nur bedingt weiter. Insgesamt haben sich der Autor und der Verlag mit dieser Publikation zu einem Etikettenschwindel entschlossen, denn ein Buch, das sich der sowjetischen Urangewinnung in der Region Ost-Turkestan widmet, muss in der Tat erst noch geschrieben werden.

Matthias Uhl, Moskau

Zitierweise: Matthias Uhl über: Vadim Gennad’evič Obuchov: Uran dlja Berii. Vostočnyj Turkestan v atomnom proekte Kremlja. Moskva: Veče, 2010. 365 S., Abb. = Chroniki tajnoj vojny. ISBN: 978-5-9533-4438-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Uhl_Obuchov_Uran_dlja_Berii.html (Datum des Seitenbesuchs)

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