Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-revews 3 (2013), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Christian Steppan

 

S. G. Nelipovič: Sojuz dvuglavych orlov. Russko-avstrijskij voennyj al’jans vtoroj četverti XVIII v. [Bündnis der Doppeladler. Die russisch-österreichische Allianz  im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts]. Moskva: Kvadriga, 2010, 408 S. = Zabytye vojny Rossii. ISBN: 978-5-91791-045-1.

Sergej Nelipovičs „Bündnis der Doppeladler“ teilt das Schicksal jener Arbeiten, die zu spät veröffentlicht wurden. 2010 in der Reihe „Russlands Vergessene Kriege“ bei Kvadriga erschienen, nimmt die Untersuchung im derzeit florierenden Genre der Diplomatiegeschichte auf den ersten Blick eine Außenseiterstellung ein. Während sich die Perspektive in den aktuellen Studien vielfach auf die diplomatischen Akteure verengt, legt Nelipovič eine klassische ereignis- und militärgeschichtliche sowie auf die großen Staatsaktionen ausgerichtete Untersuchung zu den russisch-österreichischen Beziehungen vor. Bei näherer Betrachtung wird der Autor jedoch vom Außenseiter zum Pionier. So liefert er mit seinem Werk eine erste zusammenhängende Untersuchung der für das Verhältnis der beiden Staaten wegweisenden Periode von 1725 bis 1750. Damit schafft er eine faktenreiche Wissensgrundlage, auf der neue Forschungen zu den zwischenstaatlichen Beziehungen aufbauen können.

Der Grund für diese Ausrichtung liegt wohl darin, dass es sich um die 1993 verteidigte Dissertation des Autors handelt. In der erst kurz zuvor aufgebrochenen Tradition der marxistischen Geschichtsschreibung stehend, blieb Nelipovič in Ermangelung eines neuen methodischen Werkzeugs der traditionellen Politikgeschichte verhaftet, zumal er die klassischen Quellen vielfach als Erster von der fast drei Jahrhunderte dicken Staubschicht befreien musste (Sergej Gennad’evič Nelipovič: Russko-avstrijskie sojuznye svjazi vtoroj četverti XVIII veka [17251750 gg.]. Avtoreferat dissertacii. Moskva 1992). Dabei sichtete er die umfangreichen Bestände jener russischen Archive, die für ein derartiges Forschungsvorhaben relevant sind, und schuf ein auf beachtenswerter Quellenbasis stehendes Standardwerk, das weit über die durch den Reihentitel vorgegebenen inhaltlichen Grenzen hinausgeht: Entlang der gründlich recherchierten militärischen und politischen Großereignisse im Rahmen der russisch-österreichischen Partnerschaft bietet er vor allem auch einen Einblick in das dahinter stehende decision making der Verbündeten.

Das geschieht in fünf chronologisch aufeinander folgenden Großkapiteln, die zugleich als nachvollziehbare Periodisierung des betrachteten Zeitraums erscheinen. Insgesamt versucht der Autor darin die Bedeutung des Bündnisses für die internationalen Beziehungen sowie die über weite Strecken gemeinsamen außenpolitischen Interessen der Partner herauszuarbeiten. Das zeigt Nelipovič zunächst anhand der Darstellung der Allianz als Instrument der Friedenssicherung im Europa der Jahre 1727–1732. In der detaillierten Auseinandersetzung mit den Konflikten um die polnische Thronfolge 17331735 und mit der Pforte 17351739 macht er zudem auch die immer offensichtlicher werdenden Schwächen der Zusammenarbeit aufgrund der unzureichenden Kooperation im gemeinsamen militärischen und politischen Vorgehen deutlich. Dadurch wurde das Bündnis in den 1740er Jahren auf die Probe gestellt und konnte sich nach einer aus der veränderten politischen Großwetterlage resultierenden Orientierungslosigkeit durch die Sicherung der österreichischen Großmachtstellung und die Reintegration Russlands in Europa behaupten.

In den einzelnen Kapiteln verarbeitet Nelipovič die spärlich vorhandene russisch- und deutschsprachige Forschungsliteratur und nimmt vielfach eine Neubewertung ihrer Ergebnisse vor. Besonders erfrischend ist dabei die Abkehr von der bislang vorherrschenden nationalgeschichtlichen Perspektive und das Bemühen um eine objektive Einschätzung der bilateralen Beziehungen. In manchen Abschnitten scheint jedoch die aus der Gegnerschaft der Bündnispartner zu Versailles resultierende antifranzösische Haltung der alten Werke zumindest auf die Diktion des Autors abgefärbt zu haben. Wenngleich einige gewichtige deutschsprachige Fallstudien unberücksichtigt bleiben (in diesem Zusammenhang ist etwa die für die Neubewertung des Bündnisses wegweisende Habilitationsschrift von Walter Leitsch zu nennen: Der Wandel der österreichischen Russlandpolitik 17241726, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 6 [1958], S. 3391), wird die nichtrussische Literatur doch im Allgemeinen herangezogen. Völlig unverständlich hingegen ist, dass in die 2010 erschienene Arbeit die wohl aus der Dissertation stammenden marxistischen Proforma-Zitate noch übernommen worden sind. Leserfreundlichkeit zeigt der Autor durch seine am Ende jedes Über- und Unterkapitels eingefügten Zusammenfassungen; sie bieten für die dargestellten Großereignisse angesichts der vielschichtigen internationalen Verflechtungen eine wertvolle Orientierungs- und Bewertungshilfe.

Derzeit aktuelle Forschungsfragen, welche die diplomatiegeschichtlichen Vorgänge hinter den Kulissen der großen Ereignisse in den Fokus nehmen, greift Nelipovič in seiner Arbeit nicht auf. Deshalb könnten mikroanalytisch arbeitende Historiker an einigen Stellen leicht Ungenauigkeiten festmachen und manche Ereignisse möglicherweise für nicht ausreichend tief behandelt erachten. Allerdings erhebt der Autor gar nicht den Anspruch einer dichten Beschreibung, sondern er will eine erste zusammenhängende Untersuchung der großen Ereignisse der russisch-österreichischen Defensivallianz vorlegen. Und das macht er vorbildlich. Auf einer äußerst breiten Quellenbasis gelingt es ihm tatsächlich, das Bündnis als dringende Notwendigkeit für beide Mächte (S. 374) darzustellen.

Christian Steppan, Innsbruck

Zitierweise: Christian Steppan über: S. G. Nelipovič: Sojuz dvuglavych orlov. Russko-avstrijskij voennyj al’jans vtoroj četverti XVIII v. [Bündnis der Doppeladler. Die russisch-österreichische Allianz im zweiten Viertel des 18. Jahrhunderts]. Moskva: Kvadriga, 2010, 408 S. = Zabytye vojny Rossii. ISBN: 978-5-91791-045-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Steppan_Nelipovic_Sojuz.html (Datum des Seitenbesuchs)

© 2013 by Institut für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg and Christian Steppan. All rights reserved. This work may be copied and redistributed for non-commercial educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact redaktion@ios-regensburg.de

Die digitalen Rezensionen von „Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews“ werden nach den gleichen strengen Regeln begutachtet und redigiert wie die Rezensionen, die in den Heften abgedruckt werden.

Digital book reviews published in Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. jgo.e-reviews are submitted to the same quality control and copy-editing procedure as the reviews published in print.