Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 2 (2012), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Kurt Scharr
Lucian N. Leustean: Orthodoxy and the Cold War. Religion and Political Power in Romania, 1947–65. Houndmills, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2009. XI, 288 S., Kte., Abb. ISBN: 978-0-230-21801-7.
Die Rolle der Kirche in den Staaten des vormaligen Warschauer Paktes zwischen 1917 (für Russland / die Sowjetunion) bzw. 1944 (in den späteren Staaten des „Ostblocks“) bis zum Zerfall ihrer politischen Machtstrukturen 1989/91 gestaltet sich – zunächst einmal unabhängig von der Konfession – von Land zu Land äußerst verschieden. Die Bandbreite kirchlicher Reaktionen auf den zur Staatsdoktrin erhobenen Sozialismus reichte von offenem Widerstand über diffizile Formen der Opposition bis hin zu weitreichender Kooperation und Kollaboration. Die Grenzen dazwischen verschwammen teilweise. Die Orthodoxie als eine in ihrer historischen Grunddisposition mit dem Staat in erheblichem Maße in einem organischen Verhältnis (Symphonia) stehende und von letzterem auch weitgehend abhängige Institution erscheint dabei innerhalb autoritärer Systeme in einer besonders schwierigen Situation.
In den zwei Dezennien seit 1989 entstanden sowohl aus gesellschaftlicher wie innerkirchlicher und wissenschaftlicher Perspektive zahlreiche Diskurse und Auseinandersetzungen, die dieses oftmals spannungsgeladene Verhältnis thematisierten. Rumänien und die Rumänisch Orthodoxe Kirche (ROK) nahmen innerhalb der sozialistischen Staatenwelt Osteuropas eine Sonderstellung ein. Die nationale Idee der vereinten Fürstentümer (1859/61) und des späteren Königreiches (1878/1922) gehörte zu den Grundpfeilern rumänischer Staatlichkeit. Der ROK kam hierbei eine tragende und Identität stiftende Rolle zu bzw. diese wurde von ihr mitbeansprucht. Mit der sowjetischen Besatzung ab 1944 und der endgültigen Installierung eines sozialistischen Staates 1948 verschwand zwar zunächst die nationale Idee von der Oberfläche, zu einem wirklichen Bruch kam es jedoch nie, sodass unter der Herrschaft von Gheorghe Gheorghiu-Dej – spätestens jedoch unter Nicolae Ceauşescu – der rumänische Weg des Nationalkommunismus ideologisch (und teilweise auch personell) den Faden der Zwischenkriegszeit wieder aufnehmen konnte.
Leustean versucht in seiner hier in gedruckter Form vorliegenden Doktorarbeit die Stellung der Orthodoxie während dieser entscheidenden Periode Rumäniens, verteilt auf sieben Kapitel, herauszuarbeiten. Dabei geht der Autor außerordentlich komplexen Fragen nach, etwa: Wie konnte die Orthodoxe Kirche den Kommunismus überleben? Wie reagierte Sie auf die Installation des Kommunismus? Wie gestalteten sich die Verbindungen mit den anderen Kirchen in Rumänien und wie mit den Schwesterkirchen der Orthodoxie? (S. 3). Allein diese Fragen eröffnen eine Bandbreite an Themen, methodischen Zugängen und Schwierigkeiten, die nur schwer in einer Monographie zu bewältigen sind. Insgesamt verortet der Autor seine Arbeit in dem aus der Literatur abgeleitete Spannungsfeld der orthodoxen Kirche zwischen Kollaboration einerseits und Adaption als einer Form der Opposition andererseits (S. 4). Einer theoretischen Diskussion dieser Schwierigkeiten am Beginn der Studie enthält er sich allerdings.
Leustean stützt sich bei seiner Analyse im Wesentlichen auf Aktenbestände aus dem Securitate-Archiv in Bukarest (Consiliul Naţional pentru Studierea Arhivelor fostei Securităţi), auf diverse Kirchenschriften und Periodika sowie auf Unterlagen aus dem Archiv der Church of England (Lambert Palace Archive London). Der Zugang zum Synodalarchiv in Bukarest blieb versperrt. Leustean zieht für seine Arbeit keine Akten der vatikanischen Archive heran. Letztere wären aber gerade für die Einschätzung der Situation in Rumänien nach 1944 und besonders nach 1948 mit der zwangsweisen Auflösung bzw. Inkorporation der Unierten Kirche und der Repression gegenüber der katholischen Kirche von Bedeutung gewesen. Ebenso lässt die Literaturliste (mit der Ausnahme einer Arbeit von A. Heinen aus dem Jahr 1986) Studien aus dem deutschsprachigen Raum vermissen. Gerade in Deutschland war und ist die Beschäftigung mit Rumänien (nicht zuletzt auch auf Grund der rumänisch-deutschen Auswanderung) ein zentrales Thema (vgl. dazu die Arbeiten von H.-Ch. Maner, N. Spannenberger).
Methodisch ist Leustean durch die ihm zur Verfügung stehenden Quellen eingeschränkt. Er bietet daraus abgeleitet lediglich den Blickwinkel der zentralen Kirchen- und Parteihierarchie, womit bereits eine erhebliche Schwäche der Arbeit angedeutet wird. Der Autor stellt zwar selbst gelegentlich die enorme „Entfernung“ der Kirchenobrigkeit vom Kirchenvolk fest (etwa S. 82, 133, 163), bleibt aber eine Vertiefung dieses nur angedeuteten innerkirchlichen Konfliktpotentials schuldig. Selbst die gelegentliche Rolle einzelner Hierarchen, die versucht haben, sich dem Staat und der eigenen Kirchenobrigkeit zu widersetzen, bleibt nur düster ausgeleuchtet und konturenhaft (S. 79). Vielfach ergeben sich aus dieser Darstellung neue Fragen (etwa nach der Beziehung zum Königshaus nach 1944 oder nach der Reaktion auf die Verhaftung Iuliu Manius 1947), die offen bleiben und auch gedanklich nicht weiter verfolgt werden.
Als erhebliches Manko ist die völlige Ausblendung der Unierten Kirche(n) in Rumänien zu werten. Leustean geht weder auf die tragende Rolle der Union bei der Herausbildung des modernen rumänischen Nationsverständnis ein (Siebenbürger Schule), noch auf die daraus mit der ROK erwachsende permanente Konfliktsituation, die eben nicht nur kanonischer Natur war. Die durch den sozialistischen Staat möglich gewordene Zwangseingliederung der Union in die ROK – und das streicht Leustean heraus – begünstigte diese in einem solchen Maße, dass sie die neue politische, im Grunde genommen kirchenfeindliche Staatlichkeit zu einem guten Teil in Kauf nahm. Auch bleibt es bei Andeutungen über das Geflecht der innerkirchlichen Beziehungen des Bukarester Patriarchates mit den nach 1918 hinzugekommenen Provinzen (etwa Bukowina, Siebenbürgen, Bessarabien), obwohl sich über die Besetzungen von Bischofsstühlen oder den Zugriff auf Kirchenvermögen (Bukowiner Religionsfonds) eine lange über 1944 hinauswirkende Struktur erkennen lässt. Zeitweise gewinnt man den Eindruck, dass der Autor fast im Sinne der ROK apologetisch argumentiert und deren Haltung relativiert (S. 194). Leustean gelingt es auch nicht, mögliche Optionen für die ROK zu diskutieren. Wurden diese innerhalb der ROK nicht ins Auge gefasst? Wie hätte sich eine oppositionelle Haltung der ROK gegenüber dem sozialistischen Staat ausgewirkt? Welche Konsequenzen hätte die ROK befürchten müssen?
Zusammenfassend ermöglicht die von Leustean vorgelegte Studie zwar einen gerafften Einblick in die Komplexität der Beziehung zwischen ROK und Staat nach 1944 und deren steten Wandel – worin die ROK eine erhebliche Anpassungsfähigkeit bewies. Eine grundlegende Analyse bleibt aber aus. Selbst die schillernde zentrale Figur des Patriarchen Justinian gerät nur holzschnittartig. Dieses Manko ist einerseits der umfangreichen Fragestellung geschuldet, andererseits aber auch der Ausblendung ganzer Problembereiche (wie etwa der Union), so dass schon deswegen gedankliche Netze nicht ausgeworfen werden konnten, die auf neue Fragenkomplexe und Forschungsdesiderate zumindest hätten verweisen können, wenn schon die zu Grunde gelegten Quellen dafür nicht ausreichen. Inhaltlich zeigt Leustean klar – wie ein britischer Politiker 1948 aus Bukarest berichtete – dass die ROK zu den verlässlichsten religiösen Instrumenten des neuen Regimes zählte (S. 143). Sie bediente sich des Staates zur Machterweiterung im Kampf gegen die anderen Kirchen Rumäniens und schreckte selbst vor realpolitischen Entscheidungen gegen die Basiskirche zu Gunsten der Absicherung persönlicher Positionen von Kirchenführern nicht zurück. So gesehen bilden die Aussage des britischen Diplomaten und der Leustean verwehrte Zugang zum Synodalarchiv eine hermeneutische Klammer. Den daraus erwachsenden Fragen entzieht sich die ROK, und in weiten Teilen auch die gegenwärtige rumänische Gesellschaft, bis heute. Diese Diskussion endlich aufzunehmen, wäre allerdings ein entscheidendes Signal an die Gesellschaft, aus dem Schatten der eigenen Vergangenheit endlich herauszutreten.
Kurt Scharr, Innsbruck
Zitierweise: Kurt Scharr über: Lucian N. Leustean: Orthodoxy and the Cold War. Religion and Political Power in Romania, 1947–65. Houndmills, Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2009. XI, 288 S., Kte., Abb. ISBN: 978-0-230-21801-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Scharr_Leustean_Orthodoxy_and_the_Cold_War.html (Datum des Seitenbesuchs)
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