Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 1 (2011), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Günter Prinzing
Mihailo Popović: Mara Branković: Eine Frau zwischen dem christlichen und dem islamischen Kulturkreis im 15. Jahrhundert. Mainz und Ruhpolding: Rutzen; Wiesbaden: Harrassowitz, 2010. 234 S., 24 Abb. = Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns, 45. ISBN: 978-3-938646-49-6; 978-3-447-06124-7.
Die von M. Popović vorgelegte biographische Studie über die serbische Prinzessin Mara Branković (ca. 1418–1487), die 1436 eine der gesetzlich angetrauten Frauen Sultan Murads II. wurde und nach seinem Tod 1451 im Witwenstand verblieb, wodurch sie weiterhin den Rang einer (Ex-)Sultanin bzw. Kaiserin für sich beanspruchen konnte, beruht auf seiner von J. Koder und C. Cupane-Kislinger betreuten Wiener Dissertation. Ihr Ziel war es, das Leben dieser Frau, die wegen ihres ungewöhnlichen Lebensweges wie auch wegen ihres vielfältigen politischen, kulturellen und kirchlich-religiösen Wirkens zu den bedeutendsten Frauengestalten nicht nur des spätmittelalterlichen Serbiens, sondern Südosteuropas zählt, möglichst umfassend zu erforschen und darzustellen. Das hieß, erstmals eine Synthese zu erstellen, die alle Quellen und die (ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert einsetzende) Sekundärliteratur kritisch sichtet und auswertet: Ein schwieriges, aber lohnendes Vorhaben, das Popović, um es vorwegzunehmen, ausgezeichnet bewältigt hat.
Mara Branković war die älteste Tochter des serbischen Herrschers Đurađ Branković (1373/75–1456) und seiner byzantinischen Gemahlin Eirene Kantakuzene (ca. 1400–1457). Bei ihrer Eheschließung mit Murad II. brauchte sie nicht zum Islam überzutreten, sie blieb also christlich-orthodox. Ihre Ehe mit Murad II. war kinderlos. Zwischen Mara und ihrem Stiefsohn Mehmed II. (1432–1481), dem Nachfolger Murads II., entwickelte sich in den vierziger Jahren, besonders wohl nach dem Tod seiner leiblichen Mutter Hûma-Chatun 1446, ein dauerhaft enges Vertrauensverhältnis: Dieses bildete für ihr künftiges, vergleichsweise einzigartiges Wirken auf politischer und kirchlich-religiöser Ebene zwischen den beiden Kulturkreisen, das im wesentlichen erst mit dem Jahr 1457 einsetzte, den tragenden Pfeiler. Zuvor hatte Mara Branković – nach ihrer noch 1451 erfolgten Rückkehr nach Serbien – sowohl ein Heiratsangebot Konstantins XI. Palaiologos, des (letzten) byzantinischen Kaisers, ausgeschlagen als auch 1454 das von ihrem Vater unterstützte Projekt einer Ehe mit dem tschechischen Söldnerführer Jan Jiskra von Brandeis abgelehnt. Im Mai 1457 floh sie wegen des innerfamiliären Machtkampfes um den serbischen Thron zusammen mit ihrem Bruder Grgur und ihrem Onkel Thomas Kantakuzenos ins Osmanische Reich. Dort erhielt sie von Mehmed II. einen neuen, mit Ländereien versehenen Wohnsitz, eine regelrechte Residenz in Ezeba/Ezeva (Daphni) bei Serres (Nord-Griechenland) zugewiesen und blieb an diesem (zum Balkan, aber auch nach Konstantinopel hin verkehrsgünstig an der Via Egnatia gelegenen) Ort bis an ihr Lebensende wohnen. Von hier aus betrieb Mara Branković ihre Aktivitäten: Sie konzentrierten sich bis 1475 überwiegend auf Vermittlungstätigkeiten im politisch-diplomatischen Bereich (besonders im Kräftefeld zwischen Venedig, Ragusa und Hoher Pforte), danach auf das Feld des kirchlichen Stifterwesens und der Kirchenpolitik.
Popovićs gründliche Untersuchung gliedert sich in 6 Kapitel bzw. Abschnitte, deren Kern Kapitel II und III bilden. Die Einleitung (I) informiert über „Zielsetzung und Struktur“ der Arbeit unter Einschluss des Forschungsstands (S. 9–11) und stellt die herangezogenen (post-)byzantinisch-griechischen, serbischen, osmanischen, lateinischen / italienischen (Schrift-)Quellen diverser Gattungen vor, darunter 5 noch erhaltene, von Mara Branković diktierte, serbisch verfasste Briefe an die Stadt Ragusa (S. 11–18). Hier auch hat Popović zur Begründung des von ihm gewählten methodischen Ansatzes die nützliche Skizze: „Zur Entwicklung der Frauen- und Geschlechterforschung in der Byzantinistik“ platziert (S. 18–23). Da es sich erwies, dass es für seine Studie kein theoretisch verbindliches Modell gab, beruht diese nach Popović „auf dem Zusammenspiel dreier unterschiedlicher Komponenten“ (S. 22): 1. auf dem Aufgreifen der „Ansätze der Geschlechterforschung im angelsächsischen Raum“ (S. 22), 2. auf der Erstellung eines Daten- und Faktengerüsts „zum Leben der Familie Branković“ und zur „politischen Geschichte Südosteuropas“, in das zur besseren Übersichtlichkeit „die Erkenntnisse der dritten Komponente eingebettet“ wurden (siehe die beiden chronologischen Überblicke S. 24–25 bzw. S. 99–100). Und 3. auf dem „Kernstück der Arbeit“, der Sammlung aller einschlägigen Quellen, sowie ihrer Sichtung, Einteilung und Auswertung unter dem Aspekt der Geschlechterforschung. Dabei geht es u. a. um die Fragen, seit wann Mara Branković „in das Bewußtsein und den Sichtkreis ihrer Zeitgenossen“ trat, welche Handlungsspielräume sie in den einzelnen Lebensabschnitten besaß bzw. inwieweit sie eigenständig agieren konnte, „welche Titel […] sie in den Quellen“ führte und „wie groß ihr Einfluß auf die Diplomatie und Politik des regierenden Sultans tatsächlich war.“ (S. 23).
Folglich behandelt Kapitel II „Mara Branković im traditionellen Bezugsfeld des Vaters und Ehemanns“ (S. 24–97), und zwar in den vier Teilen über 1. „Abstammung, Geburtsjahr und früheste Kindheit“ (bis 1428), 2. „Verlobung und Verheiratung mit Sultan Murad II.“ (bis 1436), wobei hier auch die einzige Bildquelle zu Mara Branković (eine Miniatur mit der Familie Branković, enthalten in einer heute im Athos-Kloster Esphigmenu aufbewahrten, aber im Kloster Žiča 1429 ausgestellten Urkunde) überzeugend neu beschrieben und gedeutet wird (S. 40–45, Abb. 5–7), 3. „Mara Branković als Gemahlin Murads II. (bis 1451)“ und 4. „Rückkehr nach Serbien und Flucht in das Osmanische Reich“ (bis 1457). In Kapitel III indes geht es um „Mara Branković als eigenständige Frau und als Vermittlerin zwischen ideologischen und politischen Lagern“ (S. 100–164, mit Abb. 22–23). Dieses Kapitel ist in drei Abschnitte unterteilt: 1. „Mara Branković als Vermittlerin im diplomatischen Verkehr des Osmanischen Reiches (1457–1475)“, wobei Popović ihre Aktivitäten als „Vertreterin ihrer Familie“ von denen abgrenzt, die sie als „Vermittlerin im Auftrag Mehmeds II.“ vornahm; 2. „Besitzungen als materielle Grundlage ihrer Aktivitäten im Osmanischen Reich“, ein Abschnitt, der auch auf der Bereisung der Örtlichkeiten durch den Autor beruht (mit Karten [Abb. 12–13] und Fotos [Abb. 14–21]); 3. „Mara Branković als Stifterin und kirchenpolitische Akteurin im 15. Jh.“, aufgeteilt in drei Abschnitte zu Maras Reliquienschenkungen, zu ihren „weiteren Aktivitäten […] im Osmanischen Reich“ und zu ihrer Rolle im Hinblick auf den „Tribut für die Halbinsel Ston“, wobei es u. a. um Gelder für die Athos-Klöster Chilandariu und Hagiu Paulu geht. Abb. 24 („Schema eines sozialen Netzwerkes“) dient der Verdeutlichung der Ergebnisse dieses Kapitels. Die Abschnitte IV und V enthalten den „Anhang ad III. Dokumente aus dem Archivio di Stato di Venezia“ mit erstmals vollständig edierten Dokumenten „zu den „diplomatischen Aktivitäten von Mara Branković in den Jahren 1469–1475.“ (S. 11 und S. 165–190) bzw. das „Verzeichnis der in Abkürzungen benutzten Literatur“ (inklusive Quellen und „Literatur zur Frauen- und Geschlechterforschung [speziell in der Byzantinistik])“ samt Abbildungsverzeichnis und -nachweis. (S. 191–221). Abschnitt VI enthält das „Resümee in deutscher, englischer und serbischer Sprache“. Ein Namens- und Ortsindex beschließt den Band.
Popović hat eine höchst ergebnisreiche, mit beispielhafter Sorgfalt und methodenbewusst vorgenommene Untersuchung vorgelegt. Sie bildet von nun an das maßgebliche Referenzwerk zu Mara Branković und ihrem Wirken im weitesten Sinne.
Günter Prinzing, Mainz
Zitierweise: Günter Prinzing über: Mihailo Popović: Mara Branković: Eine Frau zwischen dem christlichen und dem islamischen Kulturkreis im 15. Jahrhundert. Ruhpolding: Rutzen; Wiesbaden: Harrassowitz, 2010. 234 S., 24 Abb. = Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns, 45. ISBN: 978-3-938646-49-6; 978-3-447-06124-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Prinzing_Popovic_Mara_Brankovic.html (Datum des Seitenbesuchs)
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