Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Dmytro Myeshkov

 

Reinhard Nachtigal: Die Dondeutschen 1830–1930. Augsburg: Weber, 2005. 221 S., Ktn., Abb. ISBN: 978-3-9808647-3-2.

Rajnchard Nachtigal: Donskie nemcy 1830–1930. Augsburg: Weber, 2007. 240 S., Ktn., Abb. ISBN: 3-9808647-3-1.

Am Anfang des 20. Jahrhundertsentdeckte‘ die russische Obrigkeit imLande des Donischen Heereszahlreiche deutsche Kolonien, die dort seit den 1860er Jahren im Laufe einer unauffälligen Ansiedlung entstanden waren. Dieser bisher in der Forschungsliteraturstiefmütterlich behandelten“ (S. 5), um die Jahrhundertwende aber schon ca. 35.000 Menschen umfassenden Gruppe der Russlanddeutschen widmete Reinhard Nachtigal seine Studie mit dem Ziel, die in der 100-jährigen Geschichte der Dondeutschen noch verbleibenden Lücken zu schließen. Zwei Jahre später erschien, ebenfalls in Augsburg, die überarbeitete und ergänzte russischsprachige Ausgabe des Buches.

Die zu besprechende Untersuchung knüpft zwar an die früheren Forschungen zur Geschichte der Schwarzmeerdeutschen (D. Brandes, D. Neutatz) an. Da dem Verfasser aber vor allem Quellen kirchlicher Provenienz zur Verfügung standen, musste Nachtigal anders als seine Vorgänger thematische Einschränkungen in Kauf nehmen. So verzichtete er auf die Analyse einer ganzen Reihe von Aspekten wie des Bodenerwerbs oder des alltäglichen Lebens der Deutschen im Dongebiet bzw. ihrer Beziehungen mit den Nachbarn. Auch eine umfassende Beschreibung der wirtschaftlichen Entwicklung aller Siedlungen erwies sich wegen des Quellenmangels als schwierig; deswegen konzentrierte sich Nachtigal auf die wichtigstenKolonienester‘ in den westlichen Kreisen des Kosakenlandes.

Die acht Kapitel sind chronologisch geordnet. Zunächst wird dem Leser eine kurze Übersicht der Geschichte der Region seit dem frühen 19. Jahrhundert geboten, bevor der Autor sich im 2. Kapitel mit den deutschen Kolonien im westlichen Vorland des Kosakengebietes auseinandersetzte. In diesen älterenMutterkolonien“ des Ekaterinoslaver bzw. des Taurischer Gouvernements, die noch im Rahmen des staatlichen Kolonisierungsprogramms entstanden und bis 1871 vom Fürsorgekomitee in Odessa verwaltet wurden, wurde der Boden seit den 1850er Jahren immer knapper, was die deutschen Ansiedler dazu bewegte, im dünn besiedelten Dongebiet neue Siedlungen zu gründen. Im anschließenden Kapitel wird beschrieben, wie die Übersiedlung ins Kosakenland ablief. Nicht nur wegen der Nähe beschränkte sich das Ausgreifen zunächst meistens auf die westlichen Teilen des Dongebiets. Auch weil der Anteil des nichtkosakischen Grundbesitzes, den Kolonisten erwerben durften, hier am höchsten war, lebten um 1890 in diesen Gegenden mehr als drei Viertel aller Dondeutschen. Wie in anderen Regionen des nördlichen Schwarzmeergebietes waren die deutschen Bauern dank der finanziellen Hilfe ihrer Mutterkolonien sowie ihren landwirtschaftlichen Kenntnissen in vielerlei Hinsicht gegenüber den Kosaken und russischen Bauern im Vorteil. Im 4. Abschnitt geht es um den Umgang der russischen Behörden mit der rasch anwachsenden Zahl von deutschen Zuwanderern. Die Versuche staatlicher Behörden, die unübersichtliche Rechtslage der deutschen Ansiedlungen zu klären und sie mit den russischen gleichzusetzen, zeigten mit aller Deutlichkeit, wie wenig mobile Kolonistensöhne in die lokale Kastengesellschaft des Kosakenlandes hineinpassten. Das 5. Kapitel ist der Geschichte der Deutschen in den Städten der Region gewidmet. Dabei gilt das Hauptaugenmerk des Autors den evangelischen Gemeinden der als Militärstützpunkt gegründeten Stadt Taganrog und der aufstrebenden Wirtschaftsmetropole Rostov am Don. Im anschließenden Kapitel wird die Lage der deutschen Gemeinden in den Städten und auf dem Lande am Vorabend des Ersten Weltkrieges charakterisiert. Wirtschaftliches Wachstum begünstigte die Entfaltung des Vereins- und des kirchlichen Lebens in den Städten und den Ausbau der inneren Strukturen in ländlichen Siedlungen. Einige deutsche Ortschaften profitierten stark vom Anschluss an Eisenbahnlinien. Die vorhandenen Bevölkerungsstatistiken sind aber widersprüchlich und unvollständig und erlaubten dem Verfasser keine lückenlosen Aussagen zur Bevölkerungszahl. Im nächsten Abschnitt geht es um die Zeit zwischen 1915 und 1920. Auf der Basis von Archivquellen aus den Jahren 19161917 wird ein ausführliches Bild von der Liquidierung des deutschen Bodeneigentum gezeichnet. Daran schließt sich eine ausführliche Beschreibung der deutschen Besatzung des Dongebiets an, die dem Ziel der Untersuchung wenig nützt, kommt doch der Verfasser selbst zu der Erkenntnis, dass die Dondeutschen zum keinen Zeitpunkt für die deutsche Politik im Osten relevant gewesen seien (S. 158). Das abschließende Kapitel ist der Geschichte der Dondeutschen in den 1920er Jahre gewidmet. Die Etablierung der Sowjetmacht wird als einschneidendste Zäsur in der Geschichte der Deutschen im Dongebiet betrachtet. Zugleich blieben die Bedingungen für die Erhaltung der ethno-konfessionellen Identität in dieser Zeit zuerst noch günstig (S. 169). Abgerundet wird das Buch mit einem umfangreichen Quellen- und Literaturverzeichnis sowie mit dem Personen-, Orts- und Sachregister.

Nachtigal hat viele Erkenntnisse zur Geschichte der Dondeutschen zusammengetragen, sein Buch gibt einen guten Überblick über die Geschichte dieser bisher wenig bekannten Gruppe der Russlanddeutschen. Leider geht vieles in der russischen Ausgabe des Buches dadurch verloren, dass zum Einen viele Passagen einfach ungenau übersetzt wurden und dass zum Anderen die Übersetzer mit der Begrifflichkeit aus diesem Forschungsbereich anscheinend nicht vertraut sind.

Dmytro Myeshkov, Düsseldorf

Zitierweise: Dmytro Myeshkov über: Reinhard Nachtigal: Die Dondeutschen 1830–1930. Augsburg: Weber, 2005. 221 S., Ktn., Abb. ISBN: 978-3-9808647-3-2. Rajnchard Nachtigal’: Donskie nemcy 1830–1930. Augsburg: Weber, 2007. 240 S., Ktn., Abb. ISBN: 3-9808647-3-1., http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Myeshkov_SR_Nachtigal_Die_Dondeutschen.html (Datum des Seitenbesuchs)

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