Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 3 (2013), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Olaf Mertelsmann
Mark B. Smith: Property of Communists. The Urban Housing Program from Stalin to Krushchev. DeKalb: Northern Illinois University Press, 2010. XII, 240 S. ISBN: 978-0-87580-423-1.
Das Wohnungsbau-Programm Nikita Chruščevs im Jahr 1957 markierte einen tiefen, nahezu revolutionären Einschnitt in der sowjetischen Geschichte – vom Massenelend des Stalinismus hin zu einer gesicherten Grundversorgung auf niedrigem Niveau. Das sowjetische Wohnungsbau-Programm war damals das umfangreichste in Europa, sollte Wohnraum-Engpässe innerhalb von zwölf Jahren beseitigen und in diesem Zeitraum jeder Familie eine eigene Wohnung bescheren. Bekannterweise hat die Sowjetunion nicht die Welt des Überflusses und massenhaften Konsums erreicht, dafür war sie stets zu arm, aber der Wohnungsbau unter Chruščev war ambitioniert und er stellte wirklich einen Wendepunkt für die breite Bevölkerung dar.
Mark B. Smith stellt in seiner Arbeit die Geschichte des sowjetischen Wohnungsbaus von 1944 bis 1964 auf Basis umfangreicher Archivrecherchen dar und er kann überzeugend argumentieren, dass der Beginn der anspruchsvollen Pläne bereits auf die unmittelbare Nachkriegszeit fiel, als die UdSSR im europäischen Vergleich wegen der Kriegszerstörungen bereits relativ hohe Produktionszahlen im Bereich des Wohnungsbaus erreicht hatte (S. 31). Im Verlauf der fünfziger Jahre, sowohl vor, als auch nach dem Tode Stalins, wurden die Vorbedingungen, ob institutionell oder technologisch, für das Abheben des Wohnungsbauprojektes getroffen. Typprojekte, Standardisierung, die Plattenbauweise, eine sparsame Verwendung von Materialien und effizientere institutionelle Arrangements lieferten die Vorbedingungen. Eine Schlüsselrolle spielte hierbei Chruščev selbst, dessen Bedeutung Smith zu Recht betont.
Der Verfasser gliedert seine Arbeit in drei narrativ strukturierte Kapitel im ersten Teil, in denen er die einzelnen Phasen des Wohnungsbaus der Nachkriegszeit, 1944–1950, 1951–1957 und 1958–1964, nachzeichnet, sowie in zwei analytische Kapitel im zweiten Teil, in denen er den Zusammenhang von Eigentum und Wohlfahrt am sowjetischen Beispiel untersucht. Hierbei strapaziert er allerdings den Eigentumsbegriff sehr. Die UdSSR kannte sehr wohl den „persönlichen“ Besitz von Wohnungen und Häusern, der in mancher Stadt mehr als die Hälfte des Wohnraums ausmachte, jedoch umfasste Chruščevs Wohnungsbau-Programm Mietwohnungen. Smith argumentiert, dass wegen der vergleichsweise niedrigen Mieten und Nebenkosten sowie wegen des umfangreichen Kündigungsschutzes ein de facto-Eigentum für die Mieter neuen Bauten vorlag. Doch er vermag nicht ganz zu überzeugen. Festzuhalten bleibt jedoch, dass der Mieterschutz in der Sowjetunion ausgeprägter war als im Westen und es für die Mieter mehr Verfügungsrechte gab.
Die gesamte Darstellung ist gründlich durch Archivquellen sowie zeitgenössische Veröffentlichungen dokumentiert; mitunter zieht der Autor auch Filme und schöne Literatur heran. An einigen Stellen hätte ein etwas sparsamerer Einsatz von Quellen der Lesbarkeit allerdings gut getan, denn Smith illustriert seine Argumentation zu oft durch Zitate. Gründlich eingearbeitet sind europäische Vergleiche, und zweifelsohne muss das sowjetische Wohnungsbau-Programm im europäischen Kontext der Nachkriegsgeschichte verortet werden. Der Leser vermisst ein wenig Statistiken und anderes Datenmaterial; dieses wird ein wenig zu spärlich eingesetzt. Was Smith allerdings nicht hinreichend erklären kann, ist die Finanzierung des umfangreichen Wohnungsbau-Programms seit 1957. Immerhin stiegen die Produktionszahlen um mehr als das Doppelte an. Wie konnte der Staat sich dies leisten angesichts auch weiter steigender Realeinkommen? Eine Antwort bleibt der Verfasser leider schuldig. Deutlich weist er jedoch auf die Vernachlässigung der Infrastruktur, die Baumängel und die weiterhin prekäre Wohnlage hin. Es zählten an erster Stelle die gebauten Quadratmeter Wohnfläche; andere Faktoren wurden vernachlässigt. Wichtig war sicherlich, dass sich die Verteilung der neuen Quartiere stark an den Prinzipien der sozialen Gleichheit orientierte. Anders als während des Stalinismus profitierte nicht nur eine kleine Elite, sondern die breite Masse von den neuen Gebäuden, die heute noch das Bild zahlreicher Stadtviertel im postsowjetischen Raum prägen. Umfangreich geht Smith auch auf die utopische Dimension des Programms ein; es sollte ein entscheidender Mosaikstein auf dem Weg in den Kommunismus werden.
Trotz der hier vorgebrachten Kritik ist dem Verfasser eine solide Darstellung gelungen, an der sich künftige Arbeiten über dieses Thema messen lassen müssen. Wenn auch die im Titel genannte Idee des „Eigentums für Kommunisten“ nicht ganz überzeugt, so hat der Autor doch mit seiner Dissertation eine gründliche Arbeit geleistet.
Zitierweise: Olaf Mertelsmann über: Mark B. Smith: Property of Communists. The Urban Housing Program from Stalin to Krushchev. DeKalb: Northern Illinois University Press, 2010. XII, 240 S. ISBN: 978-0-87580-423-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Mertelsmann_Smith_Property_of_Communists.html (Datum des Seitenbesuchs)
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