Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 4 (2014), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Jan Kusber

 

Die Erforschung Sibiriens im 18. Jahrhundert. Beiträge der Deutsch-Russischen Begegnungen in den Franckeschen Stiftungen. Hrsg. von Wieland Hintzsche und Joachim Otto Habeck. Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen zu Halle, 2012. 179 S., Abb. ISBN: 978-3-939922-28-5.

Inhaltsverzeichnis:

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Den Herausgebern ist zuzustimmen: Bis heute sind die Ergebnisse der großen Expeditionen zur Erforschung und Erschließung Sibiriens keinesfalls umfassend und vor allem kritisch gewürdigt worden. Dies liegt schon daran, dass noch nicht einmal alle Aufzeichnungen und Notizen, die unterschiedliche Beteiligte über die Große Nordische Expedition oder 2. Kamčatka-Expedition verfasst haben, publiziert sind. Das ist im derzeitig projektorientierten Fördersystem bedauerlich und bleibt eine Aufgabe der langfristigen Grundlagenforschung.

Die Franckeschen Stiftungen haben sich um dieses Kapitel der Wissenschaftsgeschichte schon lange verdient gemacht, und der vorliegende Band dokumentiert in diesem Zusammenhang die Kooperation mit dem Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung. Die in dem Bändchen vereinigten 12 Beiträge, ausgewählt aus verschiedenen Tagungen zu Deutsch-russischen Begegnungen in Halle, können diesem Manko nicht abhelfen, zeigen aber in Detail, wo die Probleme einer vollständigen Erfassung liegen: Es ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Geschichtswissenschaft, Ethnologie, Biologie, Geologie, Religionswissenschaften, vergleichender Linguistik und anderen Disziplinen mehr vonnöten, um das reiche Material, ob publiziert oder unpubliziert, aufzuarbeiten. So stehen im Zentrum des durch knappe einleitende Bemerkungen und einen kursorischen historischen Überblick zur Eroberung und Erforschung Sibiriens im 17. und 18. Jahrhundert eingeleiteten, aber kaum zusammengehaltenen Bandes Beiträge zur (ideengeschichtlichen) Vorbereitung, Organisation und Überlieferung der 2. Kamčatka-Expedition.

Aleksandr Jarkov schildert das Panorama religiösen Lebens von Europäern im Kontrast zu dem der indigenen Bevölkerung, leider ohne auf Interaktion und Begegnung wirklich einzugehen (S. 15–33). Die Bedeutung der Linguistik wird in den Beiträgen von Ėduard Kolčinskij (S. 35–47) zu Sprachforschung auf den Sibirienreisen des 18. Jahrhunderts, von Han F. Vermeulen über die historische Linguistik als Voraussetzung für systematisierende Spracherfassung und ihren Beitrag zur Völkerkunde im 18. Jahrhundert (S. 57–73) und schließlich von Sayana Namsaraeva zur Rolle des Mongolischen in den interkulturellen Kontakten zwischen Russland und China (S. 147–158) fruchtbar gemacht. Interessant, aber nur schwer mit dem weiten Thema des Bandes in Verbindung zu bringen, ist der Beitrag von Jazien Driessen van het Reve zu den niederländischen Philosophen und ihren Ideen als Grundlage der Reformen Peters I. Nach Erörterungen, ob Peter wie die niederländische Philosophen, denen für das 17. und frühe 18. Jahrhundert eine Leitfunktion zuerkannt werden soll, an den Zufall glaubte und dies ihn generell religionsskeptisch werden ließ, fehlt der empirische Beweis, schon gar wenn man nach der „Übersetzung“ dieses Gedankenzusammenhangs in seinen Reformen sucht (S. 1–14). Ein kleines Fundstück für historiographiegeschichtlich Interessierte ist der Beitrag von Irina Tunkina zu den geplanten, aber nicht realisierten Studien George Vernadskys, der noch in Russland vor 1917 Forschungen zur Lokalverwaltung Sibiriens im 18. Jahrhundert ins Auge fasste (S. 87–98).

Insgesamt präsentieren sich diese und auch die weiteren Beiträge von Wieland Hintzsche, Peter Ulf Møller, Peter Hoffmann und Dmitrij Funk als eine Fundgrube von Einzelbeobachtungen. Dass diese gut erschlossen sind, ist den beispielhaften Sach-, Personen- und Ortsregistern zu danken. Man kann und sollte dieses bunte Kaleidoskop zur Erforschung Sibiriens im 18. Jahrhundert durchaus als Vorstudien zu wünschenswerten weiteren Editionen zu den großen Expeditionen nach Sibirien begreifen und sich an den neuen Details freuen.

Jan Kusber, Mainz

Zitierweise: Jan Kusber über: Die Erforschung Sibiriens im 18. Jahrhundert. Beiträge der Deutsch-Russischen Begegnungen in den Franckeschen Stiftungen. Hrsg. von Wieland Hintzsche und Joachim Otto Habeck. Halle: Verlag der Franckeschen Stiftungen zu Halle, 2012. 179 S., Abb. ISBN: 978-3-939922-28-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Kusber_Hintzsche_Erforschung_Sibiriens.html (Datum des Seitenbesuchs)

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