Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 3 (2013), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Edgar Hösch

 

V. T. Pašuto: Rus. Pribaltika. Papstvo. Izbrannye stati [Rus’. Baltikum. Papsttum. Ausgewählte Artikel]. Moskva: Russkij Fond Sodejstvija Obrazovaniju i Nauke, 2011. 688 S. = Drevnejšie gosudarstva Vostočnoj Evropy, 2008 god.

Der 1983 verstorbene prominente Vertreter der sowjetischen Mediävistik V. T. Pašuto gilt in der westlichen Altrussland-Forschung als hartnäckiger Ideologe der sowjetischen Geschichtsdoktrin. Mit seiner pauschalen Verurteilung der antirussischen Kreuzzugpolitik der Deutschordensritter und seiner harschen Kritik an der deutschen „Ostforschung“ ist er unter den Osteuropahistorikern der Bundesrepublik in unguter Erinnerung geblieben. Die Leser der „Jahrbücher“ hatten Gelegenheit, seine Argumentationsweise in der heftigen Kontroverse mit Klaus Zernack um das altrussische veče, die 1969 in Heft 1, S. 7785 ausgetragen wurde, näher kennenzulernen. Mit seinen apodiktischen Thesen zur Volksherrschaft in der slavischen Frühzeit, zur altrussischen narodnost und zum Wesen und zu den Entwicklungsetappen des russischen Feudalismus dürfte er selbst unter den heutigen russischen Historikern nicht mehr auf eine einhellige Zustimmung stoßen.

In der Rückschau sollte man aber auch die andere Seite seines Wirkens nicht übersehen. Am Akademie-Institut für Geschichte der UdSSR war er in den 70er Jahren Initiator des verdienstvollen monumentalen Unternehmens, das sich zum Ziel setzte, sämtliche Quellen zur altrussischen Geschichte in kommentierten Neueditionen zugänglich zu machen. Inzwischen liegen in der Reihe „Drevnejšie istočniki po istorii narodov SSSR“ (seit 1993 unter dem Titel „Drevnejšie istočniki po istorii Vostočnoj Evropy“) schon insgesamt 26 Ausgaben der altgriechischen, lateinischen, byzantinischen, westeuropäischen, skandinavischen und östlichen Quellen zur russischen Geschichte vor. Die notwendigen quellenkritischen Vorarbeiten ermöglichten es den an dem Projekt beteiligten jüngeren sowjetischen Historikern und Philologen (u.a. I. S. Čičurov, A. V. Nazarenko, M. V. Bibikov, T. N. Džakson), als Stipendiaten erstmals den grenzüberschreitenden Kontakt zu westlichen klassischen Philologen, Byzantinisten, Skandinavisten und Mediävisten zu suchen und das in den Revolutionswirren verlorene Terrain in den philologischen Spezialdisziplinen zurückzugewinnen.

Anlässlich des 25. Todestages hielten ehemalige Schüler Pašutos die Zeit für gekommen, mit einem Band gesammelter Schriften an die wissenschaftlichen Leistungen Pašutos zu erinnern. A. V. Nazarenko zeichnet in der Einleitung ein sehr persönliches Bild des Menschen und des akademischen Lehrers (S. 58), A. S. Ščabelev versucht im Rückblick eine kritische Bilanz des wissenschaftlichen Erbes Pašutos zu ziehen (S. 918) und E. N. Švejkovskaja hebt Pašutos Beitrag zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte hervor (S. 1926).

In die anschließende Textauswahl des Sammelbandes sind vor allem größere zusammenfassende Darstellungen Pašutos zu den im Titel genannten drei Themenkomplexen auf­genommen worden. Ergänzend dazu werden im ersten Teil kleinere Arbeiten zur Warägerfrage und zu den russisch-skandinavischen Beziehungen, zur Bedeutung der sog. „feudalen Zersplitterung“ als Durchgangs- und Vorstufe für die Entwicklung des moskowitischen Zentralstaats, zur Diplomatiegeschichte und zum Außenhandel Altrusslands veröffentlicht. Bleibenden Wert hat insbesondere die grundlegende Quellenstudie zu den Hungersnöten im alten Russland (S. 265316). Unter den kleineren Arbeiten im zweiten Teil finden sich quellenkundliche Untersuchungen zu den Verträgen des Deutschen Ordens und zu den Briefen Gedimins. Der vierte Teil enthält ein Schriftenverzeichnis Pašutos (S. 593616). Im fünften Teil haben die Teilnehmer an dem Editionsunternehmen noch verklausulierte Erinnerungen an den Projektleiter angefügt, die sich in den Formalia und im Sprachduktus an die überlieferten frühmittelalterlichen Quellen anschließen, in ihrem Informationsgehalt aber wohl nur dem engeren Kreis der Beteiligten zugänglich sind.

Edgar Hösch, Würzburg

Zitierweise: Edgar Hösch über: V. T. Pašuto: Rus´. Pribaltika. Papstvo. Izbrannye stat´i [Rus’. Baltikum. Papsttum. Ausgewählte Artikel]. Moskva: Russkij Fond Sodejstvija Obrazovaniju i Nauke 2011. 688 S. = Drevnejšie gosudarstva Vostočnoj Evropy, 2008 god, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Hoesch_Pasuto_Pribaltika.html (Datum des Seitenbesuchs)

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