Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  4 (2014), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Andreas Hilger

 

Vadim J. Birstein: Smersh. Stalins Secret Weapon. Soviet Military Counterintelligence in World War II. London: Biteback, 2011. 512 S.ISBN: 978-1-84954-108-4.

Das Geflecht sowjetischer Sicherheitsdienste sowie die Ziele und Motive ihrer kontinuierlichen Umstrukturierungen waren bereits für Zeitgenossen nur schwer zu durchschauen, zumal sich die Kompetenzen der verschiedenen Apparate immer wieder überschnitten. Organisation und Tätigkeit der militärischen Spionageabwehr, die 1943 bis 1946 unter dem martialischen Namen Smerš operierte, stellen hier keine Ausnahme dar. Die Smerš wurden 1943 als jeweils eigene Abteilung in den Volkskommissariaten für Verteidigung und der Marine neu konstituiert. Die Aufgaben der neuen Behörden unterschieden sich nicht wesentlich von denen der unmittelbaren Vorläufer, die innerhalb der Volkskommissariate für Staatssicherheit bzw. des Inneren angesiedelt waren. Die neuen Apparate wurden jedoch personell erheblich aufgestockt. Bereits 1946 gingen die Smerš-Strukturen erneut im Ministerium für Staatssicherheit auf. Die organisatorischen Umbauten erfolgten parallel zum kometenhaften Aufstieg von Viktor Abakumov. Er unterstand als Leiter der Smerš im Volkskommissariat für Verteidigung unmittelbar Stalin und übernahm 1946 das neue MGB. Die Entwicklungen tragen deutlich die Handschrift Stalins, der im für seine Herrschaft zentralen Bereich der Geheimdienste keine unkontrollierten Machtkonzentrationen oder Seilschaften duldete. In der Sache erzielten die Smerš in der Abwehr der ausländischen, d.h. besonders der deutschen, Militärspionage durchaus Erfolge. Ihre Tätigkeit beschränkte sich allerdings keineswegs auf den Krieg der Spione. Die Smerš-Organe stellten ihrerseits Sabotagetrupps gegen die Wehrmacht. Sie wirkten an den Deportationen sowjetischer Minderheiten im Kriege und an anderen Repressionen gegen die Zivilbevölkerung in den befreiten sowjetischen Gebieten mit. Schließlich waren sie maßgeblich an den frühen Verfolgungen in den von der Roten Armee besetzten Gebieten in Europa und Asien beteiligt. Birsteins These, dass die Smerš ein wesentliches Instrument waren, um einen konkreten expansionistischen Masterplan Stalins umzusetzen, vermag nicht zu überzeugen (S. 46). Es ist aber unbestritten, dass sich die militärische Spionageabwehr ganz dem Weltbild und dem Politikstil der sogenanntenInstanzverschrieben hatte und rücksichtslos reale und imaginäre Feinde verfolgte. Darüber hinaus standen die Organe der Smerš für Sonderaufträge des Kremlzur Verfügung. An allen Aktivitäten der Smerš lassen sich wesentliche Charakteristika sowjetischer Geheimdienste in der Stalin-Ära ablesen. Sie wollten mit ihren Aktionen vor allem ihrem Herrn im Kremlgefallen. Sie sahen ihre Partnerdienste vornehmlich als unliebsame Konkurrenz, die es zu schlagen galt. Dabei bewegten sich alle Sicherheitsapparate im rechtsfreien Raum. So stellten die Experten der Smerš für den Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg eine Liste potentieller Angeklagter auf, die nicht einmal mit dem NKVD abgestimmt war. In Nürnberg selbst hatten sich die Vertreter der Smerš unter anderem darum zu kümmern, dass in dem Verfahren keine unliebsamen Themen angesprochen wurden (S. 382, 387). In derselben Zeit bemühten sich sowohl Smerš als auch NKVD in einem bizarren Wettkampf darum, Stalin mit Beweisen für Hitlers Tod zu versorgen. Deutsche Augenzeugen hielt die Smerš im eigenen Machtbereich gefangen, ohne sich um juristische Prozeduren zu scheren. Das MGB ließ die von der Smerš übernommenen Gefangenen dann Anfang der 1950er Jahre pauschal aburteilen.

Vadim Birstein versteht seine Darstellung als Übersetzung der Erkenntnisse aus russischsprachigen Quellen und Forschungen für ein englischsprachiges Publikum. Daher fasst die Monographie für den Experten vornehmlich Bekanntes griffig zusammen. Es fehlt indes an der adäquaten Einbeziehung der deutschen Forschungsliteratur, die beispielsweise aus der Analyse der Internierungen in Ostdeutschland ab 1944 wichtige Befunde über die sowjetische Spionageabwehr bereit hält. Wichtiger ist es, dass Birstein die vergleichsweise kurze Geschichte der Smerš in die Geschichte der sowjetischen Geheimdienste seit 1917 einbettet. Damit kann er spezifische Kontinuitäten der Feindbilder und der ideologisch wie machtpolitisch bedingten Zugriffe der Organe sowie enge personelle Verflechtungen zwischen Staatssicherheit und Justiz seit den 1920er Jahren beschreiben. Birstein kann sich hierbei auch auf seine genauen Kenntnisse stützen, die er als Mitglied der internationalen Kommission zur Klärung des Schicksals von Raoul Wallenberg gewann. Mit der Gesamtschau unterstreicht Birstein erneut den hohen Stellenwert der Sicherheitsdienste sowohl für die Innen- als auch für die Außenpolitik des Kreml. In der äußerst kritischen Beurteilung der konkreten Tätigkeit der Dienste im Allgemeinen und der Smerš im Besonderen geht der Autor mit den Ergebnissen einer ernst zu nehmenden Forschung konform. Dagegen positioniert sich eine offiziöse Geschichtsbetrachtung in Russland, die Erfolge der Organe im angeblichen sowjetischen Staatsinteresse positiv gewürdigt haben will. (S. 3–10) Daher liefert die ausführliche Beschreibung des Repressionsapparats der Smerš den notwendigen Gegenentwurf zu einem Geschichtsbild, dass den Schrecken der stalinistischen Herrschaft verschweigt und ein Staatsverständnis legitimieren soll, in dem individuelle Freiheiten und Rechte zweitrangig bleiben. Der geschichtspolitische Grundkonflikt wirft im Übrigen seine Schatten auch auf die Forschungspraxis. Birstein standen aus seiner Arbeit in der Wallenberg-Kommission zwar Unterlagen eines der sowjetischen Zentralgefängnisse in Vladimir zur Verfügung. Er hatte aber nie Zugang zum relevanten Archiv der Nachfolgebehörden von Smerš-MGB-KGB. Die mühevolle Mosaikarbeit von Vadim Birstein ist so vor allem als eine solide Basis für weitere Forschungsanstrengungen anzusehen. Diese müssen allerdings erst noch von einer liberaleren Geschichtspolitik ermöglicht werden.

Andreas Hilger, Hamburg

Zitierweise: Andreas Hilger über: Vadim J. Birstein: Smersh. Stalin’s Secret Weapon. Soviet Military Counterintelligence in World War II. London: Biteback, 2011. 512 S.ISBN: 978-1-84954-108-4, http://www.oei-dokumente.de/JGO/erev/Hilger_Birstein_Smersh.html (Datum des Seitenbesuchs)

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