Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 2 (2012), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Hans Hecker
Jurij Georgievič Alekseev: Pochody Russkich vojsk pri Ivane III. [Die Feldzüge der russischen Truppen unter Ivan III.] Sankt-Peterburg: Izd. S.-Peterburgskogo universiteta, 2007. 464 S., 3 Karten. ISBN: 978-5-288-04191-4.
Carol Belkin Stevens: Russia’s Wars of Emergence, 1460‒1730. Harlow, London, New York u.a.: Pearson Longman, 2007. 329 S., 10 Karten. = Modern Wars in Perspective. ISBN: 978-0-582-21891-8.
Die hier vorzustellenden Bücher betreffen ein Themenfeld, in dem sich die beiden Autoren bereits breit ausgewiesen haben. Ju. G. Alekseev hat sich mehrfach mit der Entfaltung des Moskauer Staates im 15. Jahrhundert, insbesondere mit Ivan III., beschäftigt. Dementsprechend hat man ihm zu seinem 75. Geburtstag 2001 eine Festschrift mit Beiträgen zum Russischen Staat im 14.–17.Jahrhundert gewidmet (erschienen 2002). Von den Werken der Amerikanerin C. B. Stevens ist ihr Buch „Soldiers on the Steppe“ (1995) zu nennen. Alekseev konzentriert sich hier nun völlig auf die kriegerischen Unternehmungen, die unter der Herrschaft Ivans III. stattfanden, also von 1462 bis 1505. Damit überschneidet sich diese Untersuchung mit dem Buch von Stevens, das über Peter den Großen hinausgreift und die kurzen Regierungszeiten Katharinas I. und Peters II. mit einschließt. Diese rund vier Jahrzehnte, in denen die Moskauer Expansionsbewegung als „Sammeln der russischen Lande“ und die Grundlegung der russischen Autokratie ihren Höhepunkt erreichten, erfahren in den beiden Büchern eine höchst unterschiedliche Behandlung.
Alekseev legt es darauf an, den Zusammenhang zwischen der militärischen und der politisch-staatlichen Entwicklung herauszuarbeiten. Alle anderen Gesichtspunkte wie Militärtechnik und Kriegskunst, auch im Vergleich mit den westlichen Ländern, Wirtschafts- und Sozialpolitik lässt er ausdrücklich außer Acht. Unter minimaler Benutzung von Sekundärliteratur, weitestgehend gestützt auf die einschlägigen Chronikberichte und deren extensive Interpretation, verfolgt er sein Ziel: Er zeigt, wie die strukturelle Zusammenfassung der Aufgebote der Teilfürsten zu einem Heer und die Entstehung eines zentralen militärischen Oberkommandos mit der Zentralisierung der politischen Herrschaft in der Person des Moskauer Großfürsten und dem Machtverlust der Teilfürsten Hand in Hand vonstatten gingen. Die Veränderungen im strategischen Ansatz führten somit auch zu Reformen im operativ-taktischen Bereich und zu Neuerungen in den Kommando- und Kommunikationsstrukturen. Diese Reformpolitik, so einschneidend sie wirkte, habe sich, so betont der Verfasser, im militärisch-staatlichen Bereich genauso vollzogen wie in allen anderen Bereichen: „traditionell in der Form, radikal im Inhalt“ (S. 434). Mit seinem Urteil, damit habe sich Ivan III. von allen seinen Vorgängern fundamental unterschieden, akzentuiert er die Rolle dieses zweifellos bedeutenden Herrschers nachdrücklicher, als es seine amerikanische Kollegin tut.
Stevens Einschätzung fällt nicht völlig anders aus, aber im Ganzen ist sie eingebettet in die viel weiter gefasste Perspektive, in der Peter der Große mit seiner Ausrichtung des gesamten Staates auf die militärische Kraft eines Russischen Reiches, das unter ihm die Rolle einer maßgeblichen Großmacht in Europa wahrzunehmen beginnt, denn doch dominiert. Ihre lehrbuchartige Darstellung weist auch dadurch eine ausgewogenere Gewichtung in den Urteilen auf, dass sie nicht derart eng fokussiert ist wie die russische Abhandlung. Sie bezieht alle relevanten Aspekte mit ein, insbesondere auch die militärtechnische, soziale und wirtschaftliche Entwicklung sowie die ausländischen Einflüsse und Modelle. Während es Alekseev im Kern auf die Umverteilung der militärisch-politischen Macht von ‚unten‘ nach ‚oben‘ ankommt, wobei sich Anfänge der Institutionalisierung erkennen lassen, macht Stevens die Steppe zu ihrem Ausgangspunkt, die Bedingungen ihrer Grenzräume und die von den Mongolen übernommenen und weiter entwickelten Mittel und Methoden. Dafür hat sie die einschlägige englisch- und russischsprachige Sekundärliteratur herangezogen, die sie im Anschluss an jedes Kapitel nachweist und in einer abschließenden knappen bibliographischen Übersicht in den Grundzügen vorstellt.
Es dürfte nicht sonderlich überraschen, dass sich die zwei Bücher, wenn sie auch beide chronologisch angelegt sind, in ihrem Aufbau und Stil grundlegend unterscheiden. Dies zeigt sich bereits auf den ersten Blick an der Behandlung der beigefügten Karten. Dem russischen Buch sind drei große Karten lose beigelegt, deren Aussagekraft sich nur einem kundigen Interessenten erschließen könnte. In dem anderen Fall illustrieren die jeweils an Ort und Stelle platzierten Karten die im Text geschilderten Vorgänge. Stevens gliedert ihre Darstellung in drei Teile: Der erste reicht von 1450 bis 1598 und beschreibt den durch weitreichende Reformen ermöglichten Aufstieg Moskaus; der zweite umfasst das 17. Jahrhundert mit den Turbulenzen der Zeit der Wirren und den Verwerfungen in den inneren und äußeren Verhältnissen, an dessen Ende sich eine stabile und stabilisierende Bürokratie etabliert hat; der dritte Teil unterzieht die Herrschaft Peters des Großen und ihre unmittelbaren Folgen einer nüchternen Kritik, die weder die Leistungen noch die immensen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Kosten verschweigt. Alekseev hat für seine Beweisführung einen rein schematischen Aufbau nach Jahrzehnten strikt durchgehalten. Am Ende eines jeden der fünf Kapitel fasst er knapp und übersichtlich die Ergebnisse der Feldzüge des jeweiligen Jahrzehnts als Fortschritte auf dem Weg zum Moskauer Zentralstaat zusammen. In einem Hauptseminar zur russischen Geschichte des 15. Jahrhunderts fände man anhand dieses Buches nicht nur einen Ansatz, den Studierenden die russischen Chroniken als Quelle nahezubringen und Probleme ihrer Interpretation zu erörtern, sondern ihnen auch ein Beispiel für großrussischen Patriotismus in der Geschichtsschreibung vorzuführen.
Zitierweise: Hans Hecker über: Jurij Georgievič Alekseev Pochody Russkich vojsk pri Ivane III. [Die Feldzüge der russischen Truppen unter Ivan III.] Sankt-Peterburg: Izd. S.-Peterburgskogo universiteta, 2007. 464 S., 3 Karten. ISBN: 978-5-288-04191-4.Carol Belkin Stevens Russia’s Wars of Emergence, 1460‒1730. Harlow, London, New York u.a.: Pearson Longman, 2007. 329 S., 10 Karten. = Modern Wars in Perspective. ISBN: 978-0-582-21891-8., http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Hecker_SR_Alekseev_Stevens.html (Datum des Seitenbesuchs)
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