Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 4 (2014), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Mariana Hausleitner
Johann Böhm: Die deutschen Volksgruppen im Unabhängigen Staat Kroatien und im serbischen Banat. Ihr Verhältnis zum Dritten Reich 1941–1944. Frankfurt a.M. [usw.]: Lang, 2012. 530 S., Tab. ISBN: 978-3-631-63323-6.
Der Historiker Johann Böhm (geb. 1929) stammt aus Siebenbürgen und hat seit den achtziger Jahren mehrere Bücher über den Einfluss des Nationalsozialismus auf die deutsche Minderheit in Rumänien geschrieben. In den letzten Jahren wandte er sich den Deutschen in Jugoslawien zu. Der vorliegende Band setzt das 2009 publizierte Buch „Die Deutsche Volksgruppe in Jugoslawien 1918–1941“ fort. Der damalige Titel war missverständlich, weil die Deutsche Volksgruppe erst 1940 entstand; vor der Gleichschaltung existierten mehrere unterschiedliche Organisationen. Der neue Band behandelt die Entwicklung der deutschen Minderheit in zwei Staatseinheiten, die 1941 nach der Aufteilung Jugoslawiens durch das Deutsche Reich, Italien, Ungarn und Bulgarien entstanden waren.
Über die deutsche Minderheit Jugoslawiens lagen bis 1991 vor allem Publikationen der ehemaligen Leiter der Deutschen Volksgruppe im Westbanat vor. Auf ihnen baute auch der Ende der neunziger Jahre erschienene Band von Georg Wildmann „Verbrechen an den Deutschen in Jugoslawien 1944–1948“ auf. Er wurde von der Donauschwäbischen Kulturstiftung München mit der Absicht herausgegeben, die Behauptung vieler südslawischer Historiker zu widerlegen, dass die deutsche Minderheit die Wehrmacht bei der Zerstörung Jugoslawiens 1941 unterstützt habe. Auf die Verzerrungen und Fälschungen der ehemaligen Nationalsozialisten aus Jugoslawien geht Böhm in den einleitenden zwölf Seiten zum Forschungsstand ausführlich ein.
Doch seit 1991 entstanden über die Deutschen in Jugoslawien auch wissenschaftliche Arbeiten, die Böhm nicht in die Bibliographie aufgenommen hat. Hier seien nur zwei Bücher genannt, die direkt den von ihm analysierten Zeitraum behandeln: Ekkehard Völkl Der Westbanat 1941–1944 (München 1991) und Akiko Shimizu Die deutsche Okkupation des serbischen Banats 1941–1944 unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Volksgruppe in Jugoslawien (Münster 2003).
Die Stärke des Buches von Johann Böhm ist, dass er viele Quellen aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes und dem Bundesarchiv in Berlin sowie aus dem Militärarchiv Freiburg aufgearbeitet hat. Fünfzehn wichtige Dokumente der „Volksgruppen“ sind in dem Anhang von über 50 Seiten enthalten, von denen 13 Kroatien betreffen und zwei das Banat. Sie stammen zumeist aus dem Verordnungsblatt der Volksgruppenführung aus Kroatien oder den Beständen des Politischen Archivs des Auswärtigen Amtes. Böhm hat Zeitungen und Broschüren der Deutschen Volksgruppe ebenfalls ausgewertet. Ergänzt wird seine Materialbasis durch Memoiren, einige auch in serbischer und kroatischer Sprache.
Das Buch ist in vier Kapitel gegliedert: eingangs werden die Ursachen des Untergangs Jugoslawiens 1941 kurz skizziert (S. 25–60). Es folgt das ausführlichste Kapitel über den „Unabhängigen Staat Kroatien und die Deutsche Volksgruppe“ (S. 61–230) und danach jenes über „Die Deutsche Volksgruppe im Banat und in Serbien“ (S. 231–356). Den Abschluss bildet ein kürzeres Kapitel über den Kriegseinsatz der Deutschen aus den beiden Regionen bei der Waffen-SS (S. 357–438).
Im ersten Kapitel schildert Böhm die immer radikaleren Ansprüche der Ustascha-Bewegung auf eigenständige Verwaltungsstrukturen in Kroatien, die den jugoslawischen Staat belasteten. Die Belgrader Regierung ignorierte lange auch die Forderungen der deutschen Minderheit nach eigenen Schulen, weshalb ihre Jugendlichen sich jenen Kräften anschlossen, die nur auf die Förderung durch das Deutsche Reich setzten. Böhm schildert, wie im April 1941 die Machtübernahme von Ante Pavelić vom Deutschen Reich aus unterstützt wurde. Nachdem Pavelić den „Unabhängigen Staat Kroatien“ gegründet hatte, begann die Verfolgung der Juden und Vertreibung vieler Serben. Dagegen erhielten die etwa 199.000 Volksdeutschen weitgehende Kulturautonomie. Von Essegg (Osijek) aus leitete der Volksgruppenführer Branimir Altgayer die Erfassung aller Angehörigen der Minderheit in der „Deutschen Mannschaft“, „Deutschen Frauenschaft“, „Deutschen Jugend“ und diversen anderen Organisationen. Zur Abwehr der Angriffe der Partisanen Titos wurde die „Einsatzstaffel“ und später eine volksdeutschen SS-Division aufgestellt. Die umfangreichen Rekrutierungen schufen ein Problem für die bäuerlichen Familien, denen gleichzeitig hohe Abgabequoten an Lebensmitteln für den Export ins Deutsche Reich auferlegt wurden.
Im dritten Kapitel über die Deutsche Volksgruppe im Banat und in Serbien schildert Böhm den Prozess der Erfassung der Donauschwaben in den nationalsozialistischen Organisationen. Der Volksgruppenführer Sepp Janko schuf in Großbetschkerek (seit 1944 Zrenjanin) einen umfangreichen Apparat mit vielen hauptamtlichen Unterführern. Der Schwerpunkt der Organisationen lag im Westbanat, wo etwa 150.000 Deutsche lebten und ebenfalls vor allem Lebensmittel für den Export in das Deutsche Reich produzierten. Sie versorgten auch die in Serbien stationierten Wehrmachtseinheiten. Zu diesem Zweck beanspruchten die Volksgruppenführer nicht nur das Eigentum der ermordeten Juden, sondern auch das von geflüchteten Serben. Als seit Sommer 1942 die Donauschwaben zur 7. SS-Freiwilligen-Gebirgs-Division rekrutiert wurden, gab es aufgrund des massiven Drucks nur wenige Verweigerer. Wer nicht freiwillig im Rekrutierungsbüro erschien, wurde geschlagen. In dieser von dem aus Siebenbürgen stammenden General Arthur Phleps geführten Division dienten auch viele Deutsche aus Ungarn und Rumänien. Sie wurde nach dem Habsburger Heerführer „Prinz Eugen“ genannt, um den Kriegseinsatz propagandistisch zu einem Verteidigungskampf der Kolonistengesellschaft umzumünzen. Etwa fünf Prozent der Rekrutierten fielen bei Gefechten gegen die Partisanen. Durch Operationen der Division kamen weitaus mehr Kämpfer der Gegenseite und in einigen Orten auch Zivilisten um, die der Unterstützung der Partisanen verdächtigt wurden. Allein beim Ausbruch des umzingelten Hauptquartiers von Tito in Montenegro sollen im Mai 1943 zwischen 10.000 und 12.000 Partisanen getötet worden sein. Die Einbeziehung der Deutschen aus Jugoslawien in den Krieg der Achsenmächte hatte verhängnisvolle Folgen. Viele Südslawen sahen sie als Teil der gehassten deutschen Besatzungsarmee, die nach Sabotageakten ständig massive Geiselerschießungen durchführte. Bei Kriegsende im Herbst 1944 befanden sich in deutschen Ortschaften vor allem Frauen, Alte und Kinder, sie wurden Opfer der Vergeltungsaktionen der Partisanen.
Einige wichtige Aspekte vermisst der Leser. So geht Böhm kaum auf die Haltung der Deutschen Evangelischen Kirche ein. Er erwähnt nur kurz die antisemitische Hetze des Theologen Andreas Stötzer im „Slawonischen Volksboten“. Angesichts der Beschuldigungen, die nach dem Krieg gegen viele Geistliche in Jugoslawien erhoben wurden, wäre eine Analyse wichtig gewesen. Landesbischof Philipp Popp wurde im Juni 1945 mit der Begründung hingerichtet, dass er die Verbrechen der Ustascha unterstützt habe. Auch der Anteil der deutschen Minderheit bei der Vertreibung der Juden aus dem Banat wird nur knapp unter dem Gesichtspunkt der Aneignung von deren Haus- und Grundbesitz angerissen.
Wer sich einen Überblick zur Verwandlung der deutschen Minderheit Jugoslawiens zu einer Hilfstruppe in der Kriegspolitik des Deutschen Reiches verschaffen will, sollte das Buch von Johann Böhm lesen. Geografische Karten fehlen leider, sie könnten die Orientierung erleichtern, zumal in dem Buch deutsche Ortsnamen benutzt werden, die heute nicht mehr geläufig sind.
Zitierweise: Mariana Hausleitner über: Johann Böhm: Die deutschen Volksgruppen im Unabhängigen Staat Kroatien und im serbischen Banat. Ihr Verhältnis zum Dritten Reich 1941–1944. Frankfurt a.M. [usw.]: Lang, 2012. 530 S., Tab. ISBN: 978-3-631-63323-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Hausleitner_Boehm_Die_deutschen_Volksgruppen.html (Datum des Seitenbesuchs)
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