Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Jörn Happel

 

Aleksej M. Filitov: Germanija v sovetskom vnešnepolitičeskom planirovanii, 1941–1990. [Deutschland in der außenpolitischen Planung der Sowjetunion 1941–1990.] Moskva: Nauka 2009. 333 S. ISBN: 978-5-02-036756-2.

Schon bevor das nationalsozialistische Deutschland am 22. Juni 1941 die Sowjetunion überfiel, waren die Beziehungen beider Staaten von besonderer Art. Der Abschluss des Nichtangriffspakts 1939, verbunden mit der Aufteilung Ostmitteleuropas, hatte die Welt angesichts des beginnenden Zweiten Weltkriegs geschockt. Wie sich die Sowjetunion in ihrer außenpolitischen Planung mit Deutschland nach dem Überfall auseinandersetzte, dies wird im neuen Buch Aleksej Filitovs eindrucksvoll gezeigt. Bis zum Zerfall der Sowjetunion und zur deutschen Einheit 1990 zeichnet der russische Historiker mit großer Quellenkenntnis die wichtigsten Schritte der Turbulenzen in den Beziehungen, aber auch die verschiedenen Phasen der Annäherung nach.

Filitov geht chronologisch vor. Auf die Darstellung der Kriegsjahre und der anschließenden Teilung der Welt in zwei Lager (S. 17173) folgt eine längere Auseinandersetzung mit den Ereignissen des Jahres 1953 (S. 174202). Dann schließt der Autor gleich mit den Jahren bis 1990 an, die gemessen an der Vorgeschichte auf geringerem Raum abgehandelt werden (S. 203328). Filitov hat bereits mehrere Bücher zu den deutsch-sowjetischen Beziehungen und zur Sowjetunion im Kalten Krieg veröffentlicht. Seine Kenntnis der Quellen und der Sekundärliteratur ist dementsprechend beeindruckend. Zu Beginn des Buchs hält er die Grundziele (nicht nur) der Sowjetunion für Deutschland nach dem Kriege fest: Demilitarisierung, Demokratisierung und Denazifizierung. Um dies und die Ruhe in Europa zu erhalten, sollte Deutschland in unabhängige Staaten zerlegt werden, so Stalin. Die folgenden Seiten sind sodann auch den Kriegskonferenzen der „Großen Drei“ gewidmet: Teheran, Jalta und Potsdam, bevor Filitov in einem geschickten Rückblick die Jahre 1939 bis 1941 referiert.

Nach dem Überfall der Deutschen wird die sowjetische Deutschlandpolitik selbst­verständlich komplett umgestellt. Jetzt dürfen die nach Moskau emigrierten KPD-Führer zu Rate gezogen werden. Auch ist interessant, wie die Komintern 1942 von Wider­stands­gruppen innerhalb der deutschen Militärführung erfahren hatte (S. 48 f). Vorošilov leitete sodann gegen Kriegsende eine Kommission, die mit der Planung für die Zukunft Deutschlands betraut war (S. 6571) und auch auf eine Teilung in Zonen der Siegermächte drängte. Nach dem Krieg sah sich die Sowjetunion, die in ihrer Besatzungszone die Sowjetische Militäradministration in Deutschland aufbaute (SMAD), den dortigen deutschen „Freunden“ gegenüber. Filitov stellt in diesem Kapitel die Frage, ob die sowjetische Außenpolitik jetzt selbst agierte oder lediglich auf Aktionen des Westens reagierte, zumal die Blockade Berlins zu einer erheblichen Krise in den Beziehungen führte. Ein Ergebnis seiner Quellenanalyse ist, dass die sowjetischen Diplomaten immer wieder improvisiert und spontan auf die westlichen Provokationen reagieren mussten. Dies könne auf Probleme im Aufbau und im Zustand des außenpolitischen Apparats zurückgeführt werden.

Die Jahre 1949 bis 1952 stehen im Zeichen der Entstehung zweier deutscher Staaten und der Auseinandersetzung mit der drohenden Wiederbewaffnung Westdeutschlands. Besonders irritiert war „der Osten“ (DDR, Polen und die Sowjetunion) über die Funktion ehemaliger Wehrmachtsgeneräle in der BRD. Während die DDR bei Adenauer dagegen protestieren wollte, setzte sich Molotov für einen Protest bei den Westmächten ein. Die Diskussion hierüber ist ein gutes Beispiel für den Pragmatismus Molotovs, aber auch für den Zustand der Beziehungen zwischen der DDR und der Sowjetunion (bsd. S. 152 f). Wie sehr die Stalin-Noten vom März 1952 über eine potentielle Wiedervereinigung der deutschen Staaten dieses Verhältnis erschütterte, entwickelt Filitov auf den folgenden Seiten. Wirkliche Erfolgsaussichten kann auch er den Noten nicht bescheinigen.

Erst Stalins Tod 1953 gab Veränderungen Raum. Während 1954 in der sowjetischen Außenpolitik befürchtet wurde, Adenauer könne ein neuer Papen werden und es würde somit eine neue Hitlersche Gefahr drohen, was überhaupt nicht den Realitäten entsprach (S. 205), begannen tatsächlich konkrete Gespräche zwischen der BRD und der Sowjetunion. Doch zuvorderst mussten weitere Veränderungen eintreten. Mit der Übernahme des Außenamts durch Gromyko 1957 musste sich dieser seinem Vorgänger Molotov gegenüber beweisen (S. 225 f). Filitov attestiert der Außenpolitik unter Chruščev (19581964), eine Dauerkrise gewesen zu sein, nicht zuletzt „dank“ der neuen Berlinkrise mit dem Mauerbau 1961. Die letzten beiden Kapitel zeigen schließlich die Versuche Brežnevs und Gromykos, die Situation zu entspannen („Auf dem Weg zur Entspannung“: 19641970), und die Auseinandersetzung mit der Frage, ob es nach dem Zusammenbruch der DDR ein oder zwei deutsche Staaten geben solle.

Filitovs neues Buch zur sowjetischen Außenpolitik besticht durch seine Dichte an Quellen und deren Aufbereitung. Doch der Aufbau der einzelnen Kapitel ist etwas verwirrend. Der Autor springt oft zeitlich und thematisch. Vielleicht sind diese Exkurse die besondere Stärke des Buchs jenseits schon bekannter Dinge, doch wäre ein stärkeres An-die-Hand-Nehmen des Lesers wünschenswert gewesen. Letztlich schmälert dies keinesfalls die enorme Leistung Filitovs, auf begrenztem Raum den aktuellen Forschungsstand in Deutschland und Russland zusammengefasst und neues Archivmaterial diskutiert zu haben.

Jörn Happel, Basel

Zitierweise: Jörn Happel über: Aleksej M. Filitov: Germanija v sovetskom vnešnepolitičeskom planirovanii, 1941–1990. [Deutschland in der außenpolitischen Planung der Sowjetunion 1941–1990.] Moskva: Nauka 2009. 333 S. ISBN: 978-5-02-036756-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Happel_Filitov_Germanija.html (Datum des Seitenbesuchs)

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