Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 3 (2013), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Hans-Christian Dahlmann

 

Jacek Friedrich: Neue Stadt in altem Gewand. Der Wiederaufbau Danzigs 1945–1960. Aus dem Polnischen von Heidemarie Petersen. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2010. VIII, 276 S., 105 Abb. = Visuelle Geschichtskultur, 4. ISBN: 978-3-412-20312-2.

Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Danziger Innenstadt zu 90 Prozent zerstört. Ihrem Wiederaufbau widmet sich der Kunsthistoriker Jacek Friedrich in seiner Disserta­tionsschrift, die nun in deutscher Übersetzung vorliegt. Friedrich betrachtet detailliert den Wiederaufbau einzelner Straßen bzw. Häuser in der Danziger Innenstadt, er analysiert Baupläne, legt die unterschiedlichen Konzepte des Wiederaufbaus dar und geht auf die zeitgenössischen Diskussionen ein. Dazu zieht er im Wesentlichen Presseerzeugnisse, Archivmaterialien, sowie publizierte und selbst erhobene Erinnerungen heran. Archivalisch stützt er sich vor allem auf die Akten der Baudirektion.

Friedrich schreibt, dass sich beim Wiederaufbau Danzigs zwei Konzeptionen gegenüberstanden: eine historisch-denkmalpflegerische und eine kreative bzw. sozial-architektonische. Während die Vertreter der einen Konzeption vor allem die historische Konstruktion des Stadtbildes anstrebten, sahen die anderen den Sinn des Wiederaufbaus in der Lösung praktischer, d.h. sozialer, hygienischer und funktionaler Probleme. Aufgrund der starken Zerstörungen wurde sogar die Möglichkeit in Betracht gezogen, ein neues Stadtzentrum an einem anderen Ort zu errichten.

Nach Friedrichs Urteil waren beide Vorstellungen zutiefst romantisch. Bei der einen Partei konstatiert Friedrich einen an der Idealisierung der Vergangenheit orientierten Romantizismus, und über die andere Partei schreibt er, sie habe einen Romantizismus des Fortschritts vertreten, auch wenn dieser in pragmatische Überlegungen gehüllt gewesen sei. Die Vertreter beider Ansätze waren sich jedoch über die Bedeutung der Argumente des jeweils anderen Ansatzes bewusst und in der Praxis wurde am Ende ein Kompromiss zwischen diesen Konzeptionen umgesetzt.

Dies bedeutet aber, dass die Struktur der Stadt, anders als oft angenommen, grundlegend verändert wurde. Insbesondere die Danziger Rechtsstadt wurde keineswegs rekonstruiert, sondern es entstand eine einheitlich durchgeplante Siedlung, mit gemeinsamen Innenhöfen und einem konzipierten Netz von Geschäften und Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen. Dabei verlor die Rechtsstadt ihren bürgerlichen Charakter und wurde in ein Arbeiterviertel verwandelt. Es entstand eine neue Stadt in altem Gewand.

Für die Bewohner Danzigs, die nach dem Krieg aus verschiedenen Regionen in die Stadt gezogen waren, trug der Wiederaufbau zur Herausbildung einer eigenen Identität bei. Bis heute ist die Danziger Stadtgesellschaft auf die Rekonstruktion stolz und der Wiederaufbau gehört, so Friedrich, zu ihren wichtigsten Gründungsmythen.

Hans-Christian Dahlmann, Hamburg

Zitierweise: Hans-Christian Dahlmann über: Jacek Friedrich: Neue Stadt in altem Gewand. Der Wiederaufbau Danzigs 1945–1960. Aus dem Polnischen von Heidemarie Petersen. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, 2010. VIII, 276 S., 105 Abb. = Visuelle Geschichtskultur, 4. ISBN: 978-3-412-20312-2, http://www.oei-dokumente.de/JGO/erev/Dahlmann_Friedrich_Neue_Stadt_in_altem_Gewand.html (Datum des Seitenbesuchs)

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