Jahrbücher für Geschichte Osteuropas: jgo.e-reviews 2 (2012), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Verfasst von: Hans-Christian Dahlmann
Michael Fleming: Communism, Nationalism and Ethnicity in Poland, 1944–1950. London [etc.]: Routledge, 2010. XVII, 199 S., 3 Ktn., 4 Tab., 2 Graph. = BASEES/Routledge Series on Russia and East European Studies, 58. ISBN: 978-0-415-47651-5.
Michael Fleming beschäftigt sich in seiner Studie mit der Minderheitenpolitik der Polnischen Arbeiterpartei PPR (später PZPR) während der Aufbauphase der Volksrepublik Polen. Seine Hauptthese lautet, dass die Welle physischer Gewalt gegen die Angehörigen der Minderheiten in der zweiten Hälfte der 40er Jahre eine Folge der politischen Bestrebungen war, in Polen einen national homogenen Staat zu errichten. Fleming legt zunächst dar, dass es einen breiten Konsens sowohl auf internationaler Ebene als auch in der polnischen politischen Klasse gab, dass Polen von national homoger Gestalt sein sollte (S. 62). Von den Alliierten über die polnische Exilregierung und Stanisław Mikołajczyk bis hin zur Arbeiterpartei war man sich darüber einig, was Winston Churchill im Dezember 1944 vor dem Unterhaus wie folgt ausdrückte: „There will be no mixture of populations to cause endless trouble.“ (S. 30) Die Arbeiterpartei setzte dieses Programm um: Die deutsche Minderheit wurde vertrieben, und in zwischenstaatlichen Verträgen mit der Ukraine, Weißrussland und später der Sowjetunion wurden Bevölkerungstransferabkommen unterzeichnet. Die in Polen verbliebene ukrainische Minderheit wurde im Rahmen der „Aktion Weichsel“ 1947 zwangsumgesiedelt.
Die Arbeiterpartei, die ihre Vormachtstellung zu dieser Zeit noch aufbaute, agierte vollkommen im Rahmen dieser nationalen Muster. Gomułka äußerte in einer Rede 1945, man solle die Deutschen aussiedeln und einen nationalen Staat gründen. Die Partei warb für sich mit Parolen wie: „Wenn Du willst, dass die Grenze an Oder, Neiße und Ostsee bleibt, dann tritt in die PPR ein.“ Eine besonders radikale Parole anlässlich des drei Fragen umfassenden Referendums von 1946 wurde jedoch nicht publiziert, sie lautete: „Dreimal Ja bedeutet ein Polen ohne nationale Minderheiten.“ (S. 65)
Die PPR agitierte also außer mit sozialen auch mit nationalen Parolen, denn zum Ausbau ihrer Machtbasis tat sie alles, um als polnisch und nicht als sowjetisch geprägt angesehen zu werden (S. 63). Daher teilt Fleming den Befund Marcin Zarembas, die Nationalitätenpolitik der PPR habe mehr mit den Visionen Roman Dmowskis gemein gehabt, als mit den klassischen kommunistischen Idealen (S. 63). Zugleich stellt er allerdings auch fest, dass sich die PPR auch für die Rechte der Minderheiten aussprach. Dies sei allerdings in nur sehr flüchtiger Weise geschehen (S. 69). Der gegen die Minderheiten gerichteten Gewalt trat die Partei nicht mit Entschlossenheit entgegen. So weigert sich beispielsweise der Parteisekretär von Kielce während des antisemitischen Pogroms von 1946, zu den Tätern zu sprechen und sie von ihrem Handeln abzuhalten. Dies habe weniger daran gelegen, so Fleming, dass die Partei in der Anfangszeit der Volksrepublik noch nicht die volle Kontrolle über das Land erreicht habe, sondern vielmehr daran, dass sie damit riskiert hätte, selbst Opfer von Gewalt zu werden. (S. 78–79)
Ein eigenes Kapitel widmet der Autor der katholischen Kirche. Bei allem breiten politischen Konsens in der Frage der angestrebten nationalen Homogenität habe die Arbeiterpartei in ihr die Hauptunterstützerin gehabt. Die größte Ironie sei dabei gewesen, dass sich die katholische Kirche selbst als vom Staat unterdrückter Teil der Opposition sah, der das wahre Polen verkörpere. In Wirklichkeit sei die Kirche aber bis 1947 der nützlichste Verbündete der Partei gewesen und wenn überhaupt, dann erst danach ihr Hauptfeind. (S. 124)
In seinem Abschlusskapitel widmet sich Fleming der in den letzten Jahren insbesondere mit der Publikation von Jan Gross diskutierten Frage der antisemitischen Gewaltexzesse der Nachkriegszeit. Fleming vertritt die These, die Gewaltwelle sei weniger aus dem Kontext der polnisch-jüdischen Beziehungen zu verstehen, als vielmehr aus der breiteren Perspektive der Politik gegenüber den Minderheiten. Explizit kritisiert er die These von Gross, der die antisemitische Gewalt nach Kriegsende aus den Ereignissen der Okkupationszeit heraus erklärt. Gross argumentiert erstens, die Existenz der Juden habe manche Polen daran erinnert, wie sie sich ihnen gegenüber im Krieg verhalten hätten. Zweitens meint er, da viele Polen von dem Mord an den Juden profitiert hätten, seien ihnen die überlebenden Juden als Bedrohung dieses materiellen Gewinns erschienen. Fleming verweist dagegen darauf, dass auch viele Juden von Polen gerettet worden seien, und er wendet ein, dass es in der Nachkriegszeit auch eine Gewaltwelle gegen Belarussen gegeben habe, was mit den Überlegungen von Gross nicht erklärt werden könne. Daher müsse die antisemitische Gewalt nach 1944 im Kontext der Minderheitenpolitik der PPR verstanden werden. (S. 61, 143)
Flemings Ansatz, die Gewalt gegen Juden in der Nachkriegszeit nicht losgelöst von der Behandlung der anderen Minderheiten zu betrachten, schafft eine breitere Perspektive, aus der heraus Aspekte erkennbar werden, die andere Autoren bisher nicht benannten. Er arbeitet dabei sehr gut die Zusammenhänge zwischen struktureller und physischer Gewalt (structural an subjective violence) heraus. Seine Argumentation, dass sich die Akteure am Rand der Gesellschaft durch die Politik der nationalen Homogenisierung zu gewalttätigem Handeln ermutigt fühlten, ist völlig überzeugend. Jedoch geraten durch diese breite Perspektive einige Details aus dem Blick.
Dies sind erstens die Motive für die Aussiedlungen. Die Vertreibung der Deutschen war die Folge des deutschen Eroberungs- und Vernichtungskrieges und in dieser Form nicht eines traditionellen nationalistischen Programms. Der Vergleich der PPR mit Dmowskis Nationaldemokraten ist daher schief. Gegenüber den polnischen Juden gab es zweitens gar keine Aussiedlungsbemühungen. Im Programm der PPR und im Manifest der ersten Übergangsregierung wurde explizit ihre Gleichberechtigung erklärt, so wie es den kommunistischen Idealen entsprach. Anders als Fleming schreibt, sind die fehlenden Reaktionen auf das Pogrom von Kielce kein Beleg dafür, dass dieses Gleichberechtigungspostulat nur flüchtigen Charakter hatte (S. 86), sondern sie zeigen, dass die Gleichberechtigung nicht durchsetzbar war. Das ist ein bedeutender Unterschied.
Drittens berücksichtigt Fleming insgesamt kaum die besondere Rolle der polnischen Juden unter den Minderheiten und ihre besondere Verfolgungsgeschichte. Die Wirkung des Holocaust auf die polnisch-jüdischen Beziehungen kann bei der Interpretation des Antisemitismus der Nachkriegszeit kaum außer Acht gelassen werden. Flemings durchaus starke These von der ursächlichen Bedeutung der nationalen Homogenisierung für die Gewalt gegen die Minderheiten steht auch gar nicht im Widerspruch zu den Überlegungen, bei denen der Zusammenhang zum Zweiten Weltkrieg betont wird. Anders als von Fleming selbst dargestellt, sollte seine These daher auch eher als Erweiterung und nicht als Umdeutung bisheriger Überlegungen gelesen werden.
Zitierweise: Hans-Christian Dahlmann über: Michael Fleming: Communism, Nationalism and Ethnicity in Poland, 1944–1950. London [etc.]: Routledge, 2010. XVII, 199 S., 3 Ktn., 4 Tab., 2 Graph. = BASEES/Routledge Series on Russia and East European Studies, 58. ISBN: 978-0-415-47651-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Dahlmann_Fleming_Communism_Nationalism_and_Ethnicity.html (Datum des Seitenbesuchs)
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