Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 6 (2016), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Bernd Bonwetsch

 

Dennis Larsen / Therkel Stræde: En skole i vold. Frikorps Danmark og det tyske besættelsesherredømme i Hviderusland. Bobruisk 1941–44. [Schule der Gewalt. „Frikorps Danmark“ und die deutsche Besatzungsherrschaft in Belarus. Bo­brujsk 1941–44.] Kopenhagen: Gyldendal, 2014. 392 S. ISBN: 978-8702111576.

Die Waffen-SS und ihre ausländischen Freiwilligenverbände bilden seit geraumer Zeit den Gegenstand intensiver Forschung. (Erik Schulte / Peter Lieb / Bernd Wegner (Hrsg.): Die Waffen-SS. Neue Forschungen. Paderborn 2014) Auch bei diesen Studien geht es nicht zuletzt auch darum, wie nun schon seit geraumer Zeit im Hinblick auf die Wehrmacht, die nach 1945 aufgestellte Behauptung von der angeblichen „Sauberkeit“ der Waffen-SS im Unterschied zur eigentlichen SS als Schutzbehauptung bloßzustellen und die Beteiligung auch dieser Verbände an NS-Verbrechen nachzuweisen. Dieses Interesse gilt auch für Dänemark und die dänischen Verbände der Waffen-SS. Hier ist besonders auf die bahnbrechende Studie von Claus Bundgård Christensen, Niels Bo Poulsen und Peter Scharff Smith: Unter Hakenkreuz und Dannebrog. Dänen in der Waffen-SS hinzuweisen (Claus Bundgård Christensen / Niels Bo Poulsen / Peter Scharff Smith: Under hagekors og Dannebrog. Danskere i Waffen SS. Kopenhagen 1999, dritte Aufl. 2010).

Es ist kein Zufall, daß Therkel Stræde, Lektor an der Syddänischen Universität in Odense, Initiator des Buches über die Dänen in der Waffen-SS ist. Er ist ein hervorragender Kenner des NS-Systems und seiner verbrecherischen Politik. Dennis Larsen ist Leiter des Frøslev-Lager-Museums. Dieses Lager hatte während der deutschen Besetzung Dänemarks als Konzentrationslager und nach der Befreiung als Internierungslager gedient. Larsen hat sich speziell mit dänischem Wachpersonal in deutschen Konzentrationslagern befasst (Dennis Larsen: Fortrængt Grusomhed. Danske SS-vagter 1941–1945. Kopenhagen 2010). Das Thema der dänischen Freiwilligen und des Charakters ihres Dienstes bei der Waffen-SS war in Dänemark viele Jahre nach dem Kriege ähnlich verdrängt wie das entsprechende Thema in Deutschland. Während aber in Deutschland Kriegsverbrecherprozesse gegen Angehörige der Waffen-SS direkt nach dem Kriege kaum, sondern zumeist erst in den 70er Jahren stattfanden, wurden dänische Staatsbürger, die bei der Waffen-SS gedient hatten, sofort nach Kriegsende bzw. nach ihrer Rückkehr aus der Gefangenschaft strafrechtlich verfolgt, aber nicht wegen Verbrechensbeteiligung, sondern in der Regel wegen der bloßen Tatsache des Dienstes bei den Deutschen. Dieser Dienst wurde durch ein Landesverratsgesetz vom 1. Juni 1945 nachträglich unter Strafe gestellt, obwohl die dänische Regierung im Zuge der „Zusammenarbeitspolitik“ während der deutschen Besetzung keine Einwände gegen die Anwerbung erhoben und eigenen Militärangehörigen wie etwa dem ersten Kommandeur des Freikorps Danmark Oberstleutnant Kryssing sogar eine entsprechende zeitweilige Stellung „uden for nummer“, d. h. eine Außerdienststellung mit der Möglichkeit des Wiedereintritts im alten Rang gewährt hatte. Kein Wunder, dass sich wegen dieser rechtlich fragwürdigen Regelung bei den betreffenden Personen das Gefühl bestätigte, zu Unrecht verurteilt worden zu sein – unter Verdrängung der Möglichkeit einer viel härteren Verurteilung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die auch ohne derartige Gesetzeskonstruktionen in Frage gekommen wäre.

Was tragen nun Therkel/Larsen zu unserer Kenntnis über das Verhalten dänischer SS-Freiwilliger bei? Die eigentliche Organisationsgeschichte der dänischen Freiwilligenverbände und ihres militärischer Einsatz vorwiegend an der Ostfront ist bekannt. 1941–1945 dienten etwa 6000 Dänen in der Waffen-SS, ein verschwindend geringer Teil der insgesamt fast 1 Mio. Waffen-SS-Angehörigen. Die Vorgänge an der Front waren für alle ausländischen Verbände in der Waffen-SS im Prinzip gleich. Es gab auch kein dänisches „Oradour“. Die Autoren wollten vielmehr, konkret angeregt durch einige Prozessunterlagen, dänische der direkten Nachkriegszeit und vor allem deutsche aus den 70er Jahren, speziell der Frage nachgehen, ob und inwieweit Dänen an verbrecherischer Besatzungspraxis im Osten beteiligt waren. Anlass dazu bot die Tatsache, dass die Ausbildung von 600–800 Angehörigen des Freikorps Danmark von Oktober 1942 bis Juni 1943 direkt bei Bobrujsk im östlichen Weißrussland stattfand, und zwar im „Waldlager“ der „Nachschubkommandantur der Waffen-SS und Polizei Rußland Mitte“ . Das Waldlager diente vor allem als Durchgangslager für die Wehrmacht, die Waffen-SS und Polizei-Verbände und z. T. auch als Lager für verurteilte SS-Angehörige, die ihre Strafe verbüßt hatten und sich nun als „Arbeitsschützen“ bewähren sollten.

Den Autoren geht es dabei um die Frage möglicher dänischer Beteiligung an der Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen und der Zivilbevölkerung, der Partisanenbekämpfung und der Judenvernichtung. Um das zu ermitteln, beschreiben sie in großer, auf den dänischen Leser abgestellter Ausführlichkeit die Prinzipien und die entsprechende Realität der deutschen Politik im Zusammenhang mit dem „Vernichtungskrieg“ im Osten, speziell im Hinblick auf die genannten Gruppen und hier wiederum mit besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse im Bereich des Rückwärtigen Heeresgebiets der Heeresgruppe Mitte. Diese Politik ist durch die Kalkulierten Morde Christian Gerlachs und viele andere Studien generell bekannt, und deshalb bemühen sich die Autoren auch, zu Bobrujsk und zur Rolle des Waldlagers weniger oder gar nicht bekannte Aspekte ans Licht zu bringen. Aber der Kern ihrer Argumentation liegt auf der Führung des indiziengestützten Nachweises, dass die dänischen Freiwilligen auch als Ausbildungssoldaten an allem beteiligt waren, was die jeweilige Besatzung des Waldlagers sowohl im Rahmen der Alltagsroutine als auch im Rahmen spezieller Aktionen im Rückwärtigen Heeresgebiet unternahm. Dazu gehörte die unmenschliche Behandlung gefangener Rotarmisten, dazu gehörten so genannte Partisanenbekämpfungsaktionen, bei denen zunächst in großem Ausmaß Juden und später, als es kaum noch Juden gab, unbewaffnete Zivilisten die Opfern waren, dazu gehörten individuelle Quälereien und organisierte Judenerschießungen, dazu gehörte vor allem die Bewachung des „Judenlagers“ innerhalb des Waldlagers, wo nach der Vernichtung der lokalen jüdischen Bevölkerung ständig einige Hundert jüdische Arbeitskräfte vor allem aus Polen unter Konzentrationslagerbedingungen tätig waren. Widerwärtige individuelle Misshandlung wie auch organisierte regelmäßige „Selektion“ von Kranken und Schwachen und ihre anschließende Ermordung waren an der Tagesordnung.

Die Autoren können nur in Einzelfällen den Nachweis konkreter Beteiligung von Dänen an der Alltagspraxis im Waldlager bzw. in der Region Bobrujsk führen, denn Akten dazu finden sich nicht, wobei direkte oder gar schriftliche Befehle zu Verbrechen ohnehin nur selten gegeben wurden. Hier war wie anderswo die Kultur verbrecherischer Praxis maßgeblich. Und wenn, wie die Autoren mehrfach betonen, die dänischen Freiwilligen sicher überrascht über das waren, was von Deutschen Vorgesetzten als „realistische Ausbildung“ bezeichnet wurde, so haben sie sich dem dennoch nicht entzogen, sondern sich dem Verhalten der anderen angepasst. Dass in späteren Prozessen eigene Beteiligung oder Mithilfe geleugnet wurde, entspricht dem allgemeinen Verhalten Angeklagter in diesen Prozessen, die häufig aus Mangel an konkreten Beweisen unbefriedigend endeten.

Den Autoren gebührt das Verdienst, diese bislang verdrängte Geschichte dänischer Freiwilliger mit großer Kenntnis und Umsicht der Vergessenheit entrissen zu haben.

Bernd Bonwetsch, Ebeltoft

Zitierweise: Bernd Bonwetsch über: Dennis Larsen / Therkel Stræde: En skole i vold. Frikorps Danmark og det tyske besættelsesherredømme i Hviderusland. Bobruisk 1941–44. [Schule der Gewalt. „Frikorps Danmark“ und die deutsche Besatzungsherrschaft in Belarus. Bobrujsk 1941–44.] Kopenhagen: Gyldendal, 2014. 392 S. ISBN: 978-8702111576, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Bonwetsch_Larsen_En_skole_i_vold.html (Datum des Seitenbesuchs)

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