Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 61 (2013), 2, S. 300-302

Verfasst von: Rudolf von Thadden

 

Brückenschläge. Daniel Ernst Jablonski im Europa der Frühaufklärung. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Bogusław Dybaś und Hartmut Rudolph. Dößel: Janos Stekovics, 2010. 439 S., zahlr. Abb. ISBN: 978-3-89923-259-2.

Der Band „Brückenschläge“ gibt sich bescheiden als Katalog einer Ausstellung, ist aber eindeutig sehr viel mehr. Er ist die Präsentation eines Stücks europäischer Geschichte auf dem Grund des Werks und Lebens eines bedeutenden Mannes im Vorfeld der Aufklärung, des Berliner Hofpredigers Daniel Ernst Jablonski. In 20 Beiträgen werden die Stationen und Wirkungskreise eines europäischen Gelehrten von Rang dargestellt, die eine ungewöhnliche Breite von Wissensgebieten und Tätigkeitsfeldern berühren. Sie reichen von der Theologie- und Kirchengeschichte bis zur Kultur- und Wissenschaftsgeschichte in fast ganz Europa.

So überrascht es nicht, dass dieser mit einem großen Reichtum an Bildern, Karten und Faksimiles ausgestattete Band von einem Geleitwort des polnischen Präsidenten des Europa-Parlaments, Jerzy Buzek, eingeführt wird. Darin erscheint Jablonski als „ein Protagonist des heutigen Europa“, der „auf vielfältige Weise politische wie sprachliche Grenzen zu überwinden trachtete zwischen getrennten Konfessionen, zwischen Ost und West“ (S. 9). Die Vergegenwärtigung des Werks von Jablonski hat also aktuelle Bedeutung.

Die Herausgeber führen diesen Gedanken weiter aus. Sie sehen in der Ausstellung einen „Baustein eines künftigen europäischen Geschichtsbewusstseins“ und betonen, dass „Europa als Wertegemeinschaft […] geeigneter Vorbilder, Vordenker und Visionäre“ bedürfe (J. Bahlcke, B. Dybas, H. Rudolph, S. 16). Kann man also Jablonski als einen „Vordenker“ unserer heutigen Welt betrachten?

Die Frage lässt sich nur beantworten, wenn man die geistigen und kulturellen Bewegungen der Zeit in Betracht zieht, die Jablonski geprägt und gefordert haben. Ohne Konfessionskämpfe, Pietismus und Frühaufklärung, um nur die wichtigsten zu nennen, ist seine Persönlichkeit sicherlich nicht zu verstehen. Aber hat er für sie auch eine solche Rolle gespielt, dass man etwas verfehlen würde, wenn man seiner nicht gedächte?

Die Beiträge im Ausstellungskatalog beantworten die Frage. Wer sie sorgfältig liest, kommt ohne Umschweife zu dem Schluss, dass Daniel Ernst Jablonski nicht nur eine eindrucksvolle Persönlichkeit seiner Zeit ist, sondern auch mit seinem Generationen überspannenden Wirken uns heute noch etwas zu sagen hat. „Sein Wissensdrang zeugt vom Aufbruch einer ganzen Epoche“ heißt es auf der Eingangstafel der Ausstellung (J. Bahlcke, S. 342).

Den Grund für Jablonskis weit gespanntes europäisches Denken legte seine Herkunft. Er stammte aus einer der böhmischen Bruder-Unität angehörenden Familie, die in der Folge der Gegenreformation aus ihrer Heimat vertrieben und ins Exil in Polen gedrängt worden war. Als Enkel des berühmten Prager Gelehrten Johann Amos Comenius fand er Aufnahme in einem protestantisch geprägten Gymnasium in Lissa in Großpolen, studiert er anschließend Theologie an der Viadrina in Frankfurt/Oder, nahm vorübergehend eine Lehrerstelle im Hause der reformierten Fürsten Radziwiłł in Litauen wahr und ergänzte dann noch seine Studien in Oxford, wo er die anglikanische Kirche kennenlernte. Ein wahrhaft europäischer Bildungsgang (H. Rudolph, S. 73).

Es ist ein Verdienst des umfangreichen Ausstellungskatalogs, dass die Nachzeichnung der in Jablonskis Lebenswegen angelegten Entfaltungsmöglichkeiten nirgends zu deterministischen Interpretationen führt. Man wird in die Lage versetzt, spätere Positionen und Entscheidungen zu verstehen und auch nachzuvollziehen. Aber man wird nicht genötigt, Wegstrecken alternativlos zu folgen. So behält der Aufstieg des böhmischen Flüchtlingskindes zum Oberhofprediger an der Berliner Domkirche etwas Staunenswertes, auch wenn er bei der Verflechtung Brandenburg-Preußens mit den protestantischen Lebensbereichen des damaligen Polen als nicht ganz zufällig erscheint. Die Hohenzollern dachten im 17. und 18. Jahrhundert nicht deutsch-national.

Umso beachtenswerter sind die anderen Magnetfelder der vornationalstaatlichen Zeit, die uns heute beschäftigen. Da ist zunächst das leidenschaftliche Interesse Jablonskis an der Überwindung des konfessionalistischen Denkens, das ein Zusammenleben der Menschen in Europa erschwerte. Nicht einmal die innerprotestantischen Spannungen und Spaltungen zwischen Lutheranern und Calvinisten ließen sich beilegen, so dass die Botschaft des christlichen Glaubens Gefahr lief, verdunkelt zu werden. Hier setzte Jablonskis Bemühen um eine Union der evangelischen Kirchen ein, die sich für ihn sogar auf die Anglikaner erstrecken sollte (H. Rudolph, S. 319 ff).

Da ist ferner das Eintreten für Minderheiten, unterdrückte und benachteiligte, die Jablonski von seinen ostmitteleuropäischen Herkunftsländern her am Herzen lagen (J. Bahlcke, S. 206 ff). Als Senior der böhmischen Bruder-Unität in Großpolen fühlte er sich für die bedrängten reformierten Gemeinden in den dominant katholischen Gebieten verantwortlich und schlug damit eine Brücke zwischen dem protestantischen Hohenzollern­staat und den Ländern der Gegenreformation (M. Ptaszynski, S. 128 ff). In seiner Doppelstellung als preußischer Hofprediger und polnischer Senior hatte er Wirkungsmöglichkeiten wie wenige andere Kirchenführer.

Da ist schließlich Jablonskis Engagement für die Förderung von Kultur und Wissenschaft, das in seinem Einsatz für die Gründung einer Akademie der Wissenschaften in Berlin konkrete Gestalt annahm. Gemeinsam mit Leibniz drängte er den Kurfürsten, der Konstituierung einer Geistes- und Naturwissenschaften umfassenden Sozietät zuzustimmen, die mit den gelehrten Gesellschaften der großen europäischen Nationen zusammenwirken solle. Vernunft und Glauben würden so miteinander verbunden (H. Rudolph, S. 312 ff).

Dies macht deutlich, dass – wie ein vergleichender Beitrag des Katalogs zeigt (A. de Lange, S. 253 ff) – Jablonski dem Geist der Frühaufklärung näher stand als dem Pietismus. Zwar schätzte er die praktische Frömmigkeit des Halleschen Theologen August Hermann Francke hoch, aber er teilte nicht die Diskreditierung der häufig rationalistischen Naturforscher als „Atheisten“ durch zahlreiche Pietisten.

Insofern ist es auch verständlich, dass die Hugenotten Jablonski verwandter waren als die meistens aus einem lutherischen Milieu kommenden Pietisten. Sie waren ihrerseits Glaubensflüchtlinge und brachten häufig Aufgeschlossenheit für aufgeklärte Gelehrsamkeit mit. Vor allem aber waren sie von europäischem Geist geprägt, der provinziellem Denken fremd war (D. Döring, S. 89 ff).

Wenn also im Sinne der Ausstellung Brücken in unsere heutige Zeit geschlagen werden sollen, so findet man hier Anknüpfungspunkte genug. In der Welt Jablonskis trafen sich Europäer aus aller Herren Länder, deren Wege sogar manchmal bis nach Russland und noch weiter führten (M. Schippan, S. 223 ff). Sie redeten zwar weniger von Ökumene, als wir es heute tun, aber sie hatten eine Ahnung von den Bausteinen der Solidarität, ohne die es keine ökumenische Christenheit gibt. Und sie wussten offenbar, dass sich auch die Kirchen anstrengen müssen, wenn sie einen Beitrag zum Bau eines bewohnbaren Hauses Europa leisten wollen.

Rudolf von Thadden, Göttingen

Zitierweise: Rudolf von Thadden über: Brückenschläge. Daniel Ernst Jablonski im Europa der Frühaufklärung. Hrsg. von Joachim Bahlcke, Bogusław Dybaś und Hartmut Rudolph. Dößel: Janos Stekovics, 2010. 439 S., zahlr. Abb. ISBN: 978-3-89923-259-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/von_Thadden_Bahlcke_Brueckenschlaege.html (Datum des Seitenbesuchs)

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