Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 61 (2013), 1, S. 128-129

Verfasst von: Raoul Zühlke

 

„Gebieter über die Völker in den Filzwandzelten“. Steppenimperien von Attila bis Tschinggis Khan. Erträge des Internationalen Symposiums an der Karl-Franzens-Universität Graz, 28.–29. September 2006. Hrsg. von Johannes Gießauf und Johannes Schneider. Graz: Selbstverlag der „Grazer Morgenländischen Studien“, 2009. 157 S., Abb. = Grazer Morgenländische Studien, 7. ISBN: 978-3-902583-05-5.

Der vorliegende Band ist ein typischer, mit drei Jahren Verspätung erschienener Tagungsbandmit allen diesbezüglichen Stärken und Schwächen. Hinsichtlich der allgemeinen Konzeption von Tagung und Band ist positiv hervorzuheben, dass die verschiedenen Steppenimperien von den Hunnen über die Awaren und Ungarn bis hin zu den Mongolen und ihren Nachfolgereichen in den Blick genommen werden. Dieser komparatistische Ansatz verspricht einen intensiven Zugriff auf einen an schriftlichen wie nicht-schriftlichen Quellen gleichermaßen armen und dennoch bedeutenden Forschungsgegenstand. Leider ist der Ansatz aber mit Ausnahme des Artikels von Walter Pohl (Steppenimperien in Mitteleuropa: Hunnen, Awaren, Ungarn, S. 1729) nicht aufgegriffen worden. Alle anderen Beiträge sind mehr oder weniger breit angelegte Studien zu Einzelthemen. Dies schmälert selbstverständlich nicht ihren Wert, aber so ist doch eine Chance vertan. Die Beiträge selbst weisen die bei Sammelbänden so oft zu beobachtende extreme Spreizung hinsichtlich ihrer Qualität auf, die wohl nur durch ein konsequentes Begutachtungsverfahren hätte beseitigt werden können. Seitenweise werden allenfalls sporadisch Anmerkungen eingearbeitet, obwohl alles andere als bloßes Handbuchwissen wiedergegeben wird. Das macht die Arbeit mit den Ergebnissen schwierig.

Doch konzentrieren wir uns auf die inhaltlich hervorzuhebenden Aufsätze. Dies sind zuvorderst die Beiträge der beiden Herausgeber. Gießauf beschäftigt sich mit dem ThemaLichtgestalt oder Gottesgeißel? Europäische Wahrnehmungen Tschinggis Khans“ (S. 47-63). Er führt hierbei sprachlich elegant und mit erkennbarer Freude durch die Jahrhunderte (west-)europäischer Rezeption vom Dominikaner Julian (1237/8) bis zur unheiligen Schlagerkombination Ralph Siegel (Komponist) und Bernd Meinunger (Agrarwissenschaftler!), die mit ihrem Beitrag zum Eurovisions Song Contest einen erheblichen Einfluss auf das heutige Bild Tschinggis Khans gewannen. Trotz der pointierten Schreibweise verliert Gießauf nie den Erkenntnisgewinn aus den Augen, und seine Arbeit ist allein schon aufgrund der Zusammenstellung der einschlägigen Tschinggis-Khan-Bilder aus acht Jahrhunderten lesenswert. In einem gleichfalls gelungenen Aufsatz setzt sich Steiner mit den Frauen an der Seite des mongolischen Herrschers auseinander (In bed with Genghis Khan, S. 65–80). Dezidiert geht er dabei auf die Funktionen der Beziehungen Tschinggis Khans ein, ohne die sich schon aus der hohen Anzahl seiner Nachkommen erschließende biologische Komponente zu verschweigen. Ein weiterer, inhaltlich besonders gelungener Aufsatz ist die Abhandlung überDie altrussischen Fürstentümer unter der Herrschaft der Goldenen Horde(S. 81113) von Hartmut Rüß. Profund bietet der Verfasser einen Überblick über den Gegenstand, aber man bedauert, dass dieser gehaltvolle Beitrag in einer abgelegenen Publikation steht und zudem recht selten auf vertiefende Literatur verwiesen wird, die eine intensivere Einarbeitung in das Thema ermöglichen würde.

Kommen wir an dieser Stelle zu einigen inhaltlichen Kritikpunkten: Veronika Veits „‚Ein Mann für jede Gelegenheit‛. Versuch der Annäherung an den historischen Tschinggis Khan(S. 31–46) will letztlich eine Charakterisierung vornehmen, sich also von der Wahrnehmung lösen. Bereits methodisch können an diesem Vorhaben Zweifel angemeldet werden, und wenn die Verfasserin dann ganz bewusst und gezielt nur solche Aussagen auswählt, die den Khan als hervorhebenswert beschreiben (vgl. S. 33), dann wird der Ansatz aus der historischen Perspektive absurd. Ebenfalls methodische Zweifel sind m.E. gegen die Vorgehensweise Katharina Gansters in „‚Arma autem ista ad minus omnes debent habere. Die Mongolen und ihre Bewaffnung(S. 115–137) vorzubringen. Ganster unterstellt implizit hinsichtlich der Bewaffnung jahrhundertealte Kontinuitäten der Steppenvölker, und zwar nicht nur grundsätzlicher Natur, sondern sogar bei technischen Details. Im Einzelfall mag es zutreffend sein, die Bau- oder Funktionsweise eines Objektes mit Hilfe entfernter Vergleichsobjekte zu entschlüsseln. Dies aber methodisch unreflektiert zum Prinzip für die Analyse eines Arsenals aktiver und passiver Bewaffnung zu machen, erscheint doch fragwürdig.

Abschließend bleibt noch ein Hinweis auf die Erscheinungsform des Bandes: Rein optisch erinnert er mit seinem 1,5-zeiligen Kopierdruck doch sehr stark an eine auf A5 verkleinerte Magisterarbeit der frühen neunziger Jahre des vergangenen Jahrhundertsein Umstand, der nicht nur ästhetisch störend ist, sondern auch die Lesbarkeit deutlich verringert. Vor dem Hintergrund der heute auch für schmales Geld vorhandenen Möglichkeiten ist dies einfach nicht mehr zeitgemäß.

Raoul Zühlke, Münster

Zitierweise: Raoul Zühlke über: „Gebieter über die Völker in den Filzwandzelten“. Steppenimperien von Attila bis Tschinggis Khan. Erträge des Internationalen Symposiums an der Karl-Franzens-Universität Graz, 28.–29. September 2006. Hrsg. von Johannes Gießauf und Johannes Schneider. Graz: Selbstverlag der „Grazer Morgenländischen Studien“, 2009. 157 S., Abb. = Grazer Morgenländische Studien, 7. ISBN: 978-3-902583-05-5., http://www.oei-dokumente.de/JGO/Rez/Zuehlke_Giessauf_Gebieter_ueber_die_Voelker.html (Datum des Seitenbesuchs)

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