Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 4, S.  625–627

Jennifer Jean Wynot Keeping the Faith. Russian Orthodox Monasticism in the Soviet Union, 1917–1939. Texas A&M University Press College Station, TX 2004. XVIII, 235 S. ISBN 1-58544-332-8.

Die Autorin geht der Frage nach, wie die Bol’­še­viki vor allem in den zwanziger Jahren gegen die Klöster der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) vorgegangen sind – und wie die Klostergemeinschaften darauf reagiert haben. Bis zur Perestrojka hat es kaum Möglichkeiten gegeben, systematisch in den einschlägigen sowjetischen Archiven zu forschen, so dass die Meinung tradiert wurde, bereits in den ersten Jahren der Sowjetmacht sei das Klosterwesen (1914: 478 Mönchs- und 475 Nonnenklöster) unter dem Druck der Religionsverfolgung zum Erliegen gekommen (von einigen Ausnahmen abgesehen). Es gelingt der Autorin, dieses Stereotyp zu revidieren.

Die letzten Klöster wurden erst 1930 geschlossen. Bis dahin hatten viele Klostergemeinschaften unterschiedliche Wege gefunden, ihr Gemeinschaftsleben fortzuführen. Auch danach noch gelang es kleinen Gruppen – mehr und mehr allerdings im Untergrund – sogar über Stalins Große Säuberungen hinaus ihr geistliches Leben fortzusetzen.

Wynot arbeitet damit einen zwangsläufig vernachlässigten Aspekt der jüngsten russischen Kirchengeschichte auf. Sie befragte die sowjetischen Archive, die von der deutschen Wehrmacht in Smolensk beschlagnahmt wurden und dann nach Amerika gelangten; sodann arbeitete sie im Zentralarchiv der Russländischen Föderation (GARF), in den Staatsarchiven der Gebiete Moskau (GAMO) und Kaluga (GAKO) und im früheren Zentralarchiv der KPdSU (RCChIDNI); zudem wertete sie wichtige sowjetische Presseerzeugnisse der Zwischenkriegszeit aus. Es fällt – wie bei vielen amerikanischen Studien – auf, dass nur die englisch- und russischsprachige, nicht jedoch die reiche deutsch- und französischsprachige Literatur zum Thema benutzt wurde. – Die Studie endet nach Stalins Großen Säuberungen, 1939, am Vorabend des Zweiten Weltkrieges und bietet Ausblicke auf die Kriegsjahre, die Nachkriegszeit und die Kirchenverfolgungen Chruščevs (1958–1964).

Wynot schildert die massiven Repressionen gegen die ROK nach 1917 (S. 37–59) und das gnadenlose Vorgehen gegen Mönche und Nonnen und andere Kleriker mit zahllosen Beispielen für Mord, Folter und sonstige Gewalt. Doch sie plädiert für eine differenzierte Sichtweise. Sie belegt anhand zahlreicher Beispiele, dass sich namentlich in ländlichen Regionen ganze Klostergemeinschaften während der „Neuen Ökonomischen Politik“ (NĖP, 1921–1928) und bis weit in die dreißiger Jahre in verschiedenen Formen hätten halten können, und zwar vor allem als Kolchosen und Sovchosen. Sogar kirchliches Leben in den Städten sei bis Mitte der dreißiger Jahre (eingeschränkt zwar) möglich gewesen. Innerparteiliche Richtungskämpfe – zwischen Vertretern einer in Sachen Religion eher weichen Linie wie Anatolij Luna­čars­kij, Mi­chail Bonč-Bruevič, Maxim Gorkij oder Alek­sandr Bogdanov und Hardlinern wie Lenin selbst (der allerdings auch Zugeständnisse zu­ließ), Leo Trockij oder Nikolaj Bucharin – führten dazu, dass die Religionspolitik an der Basis höchst unterschiedlich umgesetzt wurde und auch die Realisierung des Dekrets über die Verstaatlichung von Privat-, also auch Kirchenland (8.11.1917) sehr uneinheitlich, sogar gegensätzlich erfolgte. Das hatte seinen Grund  auch darin, dass für die Schließung von Kirchen und für die Enteignung und Nutzung einstigen Kirchenlandes regionale und lokale Funktionäre und Räte zuständig waren, die oft unabhängig vonein­ander operierten. Ein wichtiger Faktor war auch, dass die ländliche Bevölkerung sich lange vehement der Sowjetisierung entgegenstellte und die Kirche und ihre Diener schützte.

Nach der Verstaatlichung des Kirchenlandes ersuchten viele Mönchs- und vor allem Nonnen­gemeinschaften die regionalen Sowjetbehörden, ihnen die Bewirtschaftung von Teilen ihres einstigen Klosterlandes und die Nutzung von Teilen ihrer Klostergebäude zu gestatten – nicht selten mit Erfolg. Zumindest pragmatisch denkende Funktionäre der Bol’ševiki setzten angesichts der kläglichen Erträge der staatlichen Kol­chosen auf die Arbeitsmoral und Ehrlichkeit der Mönche und Nonnen, die tatsächlich lange Zeit viel erfolgreicher wirtschafteten als sowjetische Kollektive.

Die mit den kommunistischen Funktionären verhandelnden Klosteroberen verwendeten in ihren Anträgen die sowjetische Terminologie und Argumentation, indem sie z.B. die Klostergemeinschaften als im Grunde genommen kommunistische Einrichtungen bezeichneten: „Over the last hundred years, our monastery has been the image of laboring communism and for this reason we ask that our monastery be preserved.(S. 61) Es wird auch berichtet, dass Mönche „welcomed Soviet power as the true expression of the will of the working mass and supported struggling for their freedom“ (S. 64). Die lokalen und regionalen Sowjets konnten mit Hilfe der z.T. relativ offen agierenden Klostergemeinschaften die zentralen Planvorgaben erfüllen und tolerierten sie daher. In diesen „Kloster-Kolchosen“ konnte bis zu einem gewissen Grade sogar das liturgische Leben fortgeführt werden; so durften vielfach Priester „Nonnen-Kol­chosen“ aufsuchen, mit den Nonnen die Liturgie feiern und ihnen die Beichte abnehmen. Im Vergleich zu früher „in praxis not much changed“ (S. 59). Immerhin sollen im März 1921 von 400 Klöstern in 24 Provinzen noch 116 in Form von Kollektiven bestanden haben – im Gebiet Moskau allein 19 (S. 60); und die Religiosität in der Bevölkerung sei bis 1924 eher gewachsen als gesunken (S. 95). – Trotz der vielen angeführten Beispiele für „umfunktionier­te“ Klostergemeinschaften und trotz der erwähnten Zahlen bleiben Zweifel an der Feststellung der Autorin: „Most monks and nuns were able to continue to live on monastery land and to preserve their sense of community“ (S. 37). Für eine solche Schlussfolgerung reichen die statistischen Daten nicht aus.

Wynot betont nachdrücklich, Mönche und Nonnen – und im weiteren Sinne Bischöfe und Priester – hätten, indem sie die Argumentation der Bol’ševiki verwendeten, keineswegs mit diesen kollaboriert, sondern sie zu überlisten versucht, um zu überleben. Vor diesem Hintergrund kritisiert sie die Haltung westlicher Historiker und der Russischen Orthodoxen Auslands­kirche (seit 17. Mai 2007 mit dem Moskauer Patriarchat vereinigt), die von „Verrat an der Orthodoxie“ sprachen, nur weil die Führung und die Geistlichen der ROK in der Sowjetunion sich stets der sowjetischen Sprachregelungen bedienten (S. 65ff.).

Zahlreiche Mönche und Nonnen sind in den zwanziger Jahren in die sowjetische Arbeitswelt eingetaucht. Als die Religionspolitik in den dreißiger Jahren rigoroser wurde, haben sie sich meist im Untergrund („Katakomben“) verborgen: Sie versuchten im privaten Rahmen (Wohnungen), heimlich ihr klösterliches Leben fortzuführen. Unterstützung erwuchs ihnen aus Laien­kreisen; es kam sogar zu Mönchs- und Nonnenweihen – und zwar aus den Reihen der Laien-„Bruderschaften“ im Untergrund. Die Nonnen und Mönche, die das klösterliche Leben trotz aller Gefahr im Untergrund weitergeführt haben, seien es gewesen, die den Neuaufbau nach 1943 ermöglichten.

Die Autorin vermeidet durchwegs kritische Anfragen an die ROK – diese erscheint stets als Verfolgung erduldende Kirche, die lediglich um ihres Überlebens Willen Scheinkompromisse zugelassen habe. So werden z.B. die bedeutenden „rechten“ Abspaltungen von der ROK übergangen, die dem damaligen Oberhaupt der ROK, Metropolit Sergij (Stragorodskij), vorwar­fen, er habe mit seiner Überanpassung an das Regime (siehe die umstrittene „Loyalitätserklärung“ von 1927) das Überleben der Kirche gefährdet.

Insgesamt zeichnet die Autorin ein facettenreiches Bild davon, wie in der Zwischenkriegszeit der orthodoxe Glaube in der Sowjetunion bewahrt wurde – „Keeping the Faith“. Die Studie bietet zugleich eine Gesamtgeschichte der ROK für diese Jahre, in der auch die staatliche Kirchenpolitik eine zentrale Rolle spielt.

Gerd Stricker, Zürich

Zitierweise: Gerd Stricker über: Jennifer Jean Wynot Keeping the Faith. Russian Orthodox Monasticism in the Soviet Union, 1917–1939. Texas A&M University Press College Station, TX 2004. XVIII. ISBN 1-58544-332-8, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 4, S. 625–627: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Stricker_Wynot_Keeping_the_Faith.html (Datum des Seitenbesuchs)