Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Ausgabe: 62 (2014), 1, S. 124-125
Verfasst von: Ludwig Steindorff
Danijel Dzino: Becoming Slav, Becoming Croat. Identity Transformations in Post-Roman and Early Medieval Dalmatia, Leiden, Boston: Brill 2010, XIX, 271 S. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 12. ISBN 978 90 04 18646 0.
Wie der Autor in der Einleitung selbst ausführt, hat ihn zu diesem Buch die kühne, ihn überzeugende These von Florin Curta angeregt, die Benennung der slavisch Sprechenden als Slaven und ihre Zusammenfassung als Einheit sei ursprünglich ein Konstrukt der byzantinischen Historiographie. Dzino geht nun davon aus, dass die erzählenden Quellen zu Ethnogenese und Reichsbildung der Kroaten, an allererster Stelle die Lehrschrift „De administrando imperio“ des Kaisers Konstantin Porphyrogennetos aus der Mitte des 10. Jahrhunderts, wertlos für die Rekonstruktion von Geschehen im Raum des westlichen Südosteuropa in den beiden „dunklen Jahrhunderten“, dem 7. und 8. Jahrhundert, seien. Unbestritten ist in der Zeit zwischen den uns leidlich gut bekannten Gegebenheiten in der Spätantike, bis ungefähr 600, und der Konsolidierung der Verhältnisse im Zusammenhang der karolingischen Herrschaft um 800 ein Umbruch geschehen, doch ob dieser primär die Folge von Migration oder von Identitätswandel der autochthonen Bevölkerung ist, wird kontrovers diskutiert, und Dzino neigt klar letzterer Position zu. Weder sprechen archäologische Funde für die Zuwanderung einer großen fremden Gruppe, noch ist dies über genetisches Material zu zeigen. Der Wechsel der Sprachpraxis in einem Raum kann nicht nur die Folge von Migration, sondern auch von Identitätswechsel sein. Dzino gelangt aufgrund des Befundes der frühesten Erwähnungen zu dem Ergebnis, erst seit der Mitte des 9. Jahrhunderts habe sich eine Herrschaft ausübende Gruppe im Gebiet der Ravni Kotari im Hinterland der dalmatinischen Stadt Zadar als „Kroaten“ bezeichnet. Die von außen auf sie angewandte Bezeichnung als Slaven hätten sie erst im 12. Jahrhundert übernommen.
Doch bleibt Dzino die Erklärung schuldig, warum diese Gruppe gerade den Namen „Kroaten“ gewählt hat. Er selbst spricht immer wieder von immerhin kleinen Wanderungen. Und dass Spuren des Namens auch in anderen Regionen rund um das pannonische Becken bzw. das einstige Kaghanat der Avaren nachzuweisen sind, bleibt ja auch unbestritten. Seine Berufung auf das Postulat, die gemeinsame slavische Religion sei ein Konstrukt (S. 166), ist kein Argument gegen die Plausibilität von Radoslav Katičićs Untersuchungen zu Parallelen in der vorchristlichen Sakraltopographie in Kroatien einerseits und im Raum der Ostslaven andererseits, vielmehr bilden die Befunde von Katičić ein gewichtiges Argument für eine nicht nur von außen zugeschriebene Einheit der Slaven. Um zu erklären, warum z. B. Adam von Bremen und, ihm folgend, Helmold von Bosau eine Völkertafel der Slaven kennen, müsste man, folgte man Curta und Dzino, entweder den Transfer von Buchwissen aus dem byzantinischen Raum bis an Weser und Elbe postulieren oder aber davon ausgehen, dass unabhängig voneinander zweimal genau dasselbe Verfahren der Zuschreibung erfolgt ist.
Es gereicht Dzino zum großen Verdienst, wie vollständig er die verschiedenen Forschungspositionen referiert. Gewiss hat er dabei Recht, dass die jeweiligen Positionen von den jeweils aktuellen geschichtspolitischen Interessen mitdiktiert sind. Die Heranziehung von „De administrando imperio“ hat es im Sinne pro-jugoslawischer Orientierungen schon im späten 19. Jahrhundert leichter gemacht, in der frühmittelalterlichen Geschichte südslavische Gemeinsamkeiten zu entdecken; doch dadurch geraten die Glaubwürdigkeit der Quelle und der kognitive Befund nicht a priori in Zweifel. Unabhängig vom Anerkennen der Konstrukthaftigkeit des Textes und unter Berücksichtigung der Intentionen des Werkes ist es plausibel, in den Erzählungsvarianten dieser Quelle über die Kroaten einen gemeinsamen, stark verfremdeten Traditionskern zu erkennen, was ich, Radoslav Katičić folgend, auch für den Spliter Chronisten Thomas archidiaconus aus der Mitte des 13. Jahrhunderts gelten lassen möchte.
Beim Stand der Dinge dürfte die Debatte zwischen „Migrationisten“ und „Autochthonisten“ in der Frage der Ethnogenese der Kroaten noch lange unentschieden bleiben, bzw. es wird nicht definitiv zu klären sein, welchen Anteil Wanderungsbewegungen an den Umbrüchen hatten. Dzino bietet uns eine hilfreiche, vor schnellen eindeutigen Antworten warnende Zwischenbilanz.
Ludwig Steindorff, Kiel
Zitierweise: Ludwig Steindorff über: Danijel Dzino: Becoming Slav, Becoming Croat. Identity Transformations in Post-Roman and Early Medieval Dalmatia, Leiden, Boston: Brill 2010, XIX, 271 S. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 12). ISBN 978 90 04 18646 0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Steindorff_Dzino_Becoming_Slav.html (Datum des Seitenbesuchs)
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