Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Ausgabe: 59 (2011) H. 2

Verfasst von: Clemens P. Sidorko

 

Vicken Cheterian: War and Peace in the Caucasus: Russia’s Troubled Frontier. London: Hurst, 2008. VIII, 395 S., Tab. ISBN: 978-1-85065-929-7.

Seit gut zwanzig Jahren ist Kaukasien immer wieder Schauplatz bewaffneter Konflikte, und als hätte es eines Beweises bedurft, dass keiner wirklich gelöst wurde, brach unmittelbar vor Drucklegung anzuzeigender Schrift der jüngste Krieg um Süd-Ossetien aus. Die bedauerliche Aktualität hat den Verfasser nun keinesfalls eingeholt oder überholt; vielmehr bestätigt sie manches von seinen Einschätzungen. V. Cheterian, im Libanon aufgewachsener Diaspora-Armenier mit Schweizer Pass, ist auf sein Thema gut vorbereitet, da er sich seit 1992 als Journalist für die „Neue Zürcher Zeitung“ und „Le Monde diplomatique“, später auch als Wissenschaftler mit der Region beschäftigt.

Zentrale Fragestellungen sind, weshalb das Ende der Sowjetunion in Kaukasien zu zahlreichen ethnischen und separatistischen Konflikten führte, warum Nationalismus zum vorherrschenden politischen Muster wurde, weshalb dieser in manchen Fällen in Gewalt mündete, in anderen jedoch nicht, und schließlich, weshalb es oft die Minderheiten waren, die siegreich blieben. Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile, deren erster propädeutischer Natur ist: In der Einführung erläutert Cheterian Ziele und Vorgehensweise und setzt sich von Vorläufern ab, die gewaltsame Konflikte in Kaukasien als „Normalität“ begreifen und nicht als Ausnahme oder die stets ‚historische Antagonismen‘ für alle Gewaltausbrüche verantwortlich machen. Das erste Ka­pi­tel behandelt das Ende der Sowjetunion und den Aufstieg der lokalen Nationalismen. Der Verfasser referiert dabei die gängigen Lehrmeinungen zum Thema, um aus deren kritischem Vergleich seine eigene These zu entwickeln. Ihr Kern ist, dass es kein monokausales Erklärungsmuster gebe und Historie mehr Vehikel denn Ursache sei. Dies wird im zweiten Kapitel weitergeführt, wo Cheterian die historischen Narrative der jeweiligen Gegner aller großen Konflikte einander gegenüberstellt und zeigt, wie Geschichte und Geschichtsdiskurs am Ende der Sowjetunion zur Mobilisierung der Massen durch Oppositionelle benutzt wurden – fast alle Nationalitätenführer der ersten Stunde waren Historiker oder Philologen.

Der Hauptteil des Buchs (Kap. 3–5) behandelt als Fallstudien den Krieg um Karabach zwischen Armeniern und Aserbaidschanern, die Kämpfe der Georgier mit Abchasen und Südosseten sowie die Tschetschenienkriege (inbegriffen die Separation Inguschetiens und die Kämpfe zwischen Inguschen und Nordosseten). Cheterian schildert detailliert die Abläufe sowie deren Perzeption durch die Beteiligten und versucht zu beweisen, dass es stets ein Ereignis war, das den Weg in die Gewalt unumkehrbar machte, etwa das Massaker an den Armeniern Sumgaits im Februar 1988 oder die Schlacht um Groznyj Anfang 1994. Hervorgehoben werden auch typologische Unterschiede: War Karabach ein mass-led conflict im Sinne einer echten Volksbewegung, handelte es sich im Falle Georgiens oder Tschetscheniens um elite-led conflicts, weil hier Politiker von Anbeginn an das Geschehen steuerten.

Der letzte Buchteil benennt thesenartig die Hauptquellen der Konflikte wie Massentrauma, nationale Mobilisation und Repression (Kap. 6) und widmet sich der weltpolitischen Dimension: Kapitel 7 beleuchtet die globale Wahrnehmung der Vorfälle einschließlich der oft hilflosen Mediationsversuche seitens der internationalen Gemeinschaft oder einzelner Staaten. Dass diese nicht nur selbstlos handelten, wird im letzten Kapitel deutlich, welches Kaukasien als Produzenten und Transportweg von Energie vorstellt. Des Verfassers düsteres Fazit, durch den Sieg der Minderheiten sei ein fragiles Gleichgewicht entstanden, für dessen Bestand die Aufrüstung aller beteiligten Parteien mit modernsten Waffen nichts Gutes erhoffen lasse, wird durch den „Epilogue“ bestätigt, der eine Analyse der russisch-georgischen Kämpfe vom Sommer 2008 nachliefert.

Cheterian präsentiert eine facettenreiche und überzeugende Studie. Ein wirkliches Manko ist nur, dass dem Anhang mit ausführlichem Literaturverzeichnis und Register nicht noch eine Zeittafel der wichtigsten im Text genannten Ereignisse beigefügt wurde.

Clemens P. Sidorko, Basel

Zitierweise: Clemens P. Sidorko über: Vicken Cheterian: War and Peace in the Caucasus: Russia’s Troubled Frontier. London: Hurst, 2008. VIII, 395 S., Tab. ISBN: 978-1-85065-929-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Sidorko_Cheterian_War_and_Peace.html (Datum des Seitenbesuchs)

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