Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 4, S.  592–594

Leonid Juzefovič Put posla. Russkij posol’skij obyčaj. Obichod. Ėtiket. Ceremonial. Konec XV – pervaja polovina XVII v. [Der Weg des Gesandten. Russische diplomatische Gepflogenhei­ten. Alltag – Etikette – Zeremoniell. Vom Ende des 15. bis zur 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts]. Izdat. Ivana Limbacha S.-Peterburg 2007. 342 S. ISBN: 978-5-89059-104-3.

Der russische Historiker und Schriftsteller Leonid Juzefovič ist dem breiten Publikum vor allem durch seine Kriminalromane um den Polizeichef Ivan Putilin, der im St. Petersburg des späten 19. Jahrhunderts ermittelt, bekannt. Seine Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet und in mehrere Sprachen übersetzt.

Die vorliegende Publikation des Autors untersucht die diplomatische Praxis und das entsprechende Zeremoniell am Moskauer Hof der frühen Neuzeit. Das Moskauer Reich befand sich in einer politischen Übergangszeit mit einer Neustrukturierung der Machtverhältnisse, was seinen Ausdruck auch im Gesandtschaftswesen fand. Das diplomatische Zeremoniell als Repräsentation von staatlicher Macht ist ein bisher zu wenig berücksichtigtes Forschungsfeld; das Interesse an diesem Thema ist aber in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Die Publikation von Juzefovič soll einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke leisten.

Die Arbeit ist eine ergänzte und gründlich überarbeitete Ausgabe der schon im Jahre 1988 im Moskau erschienenen Dissertation des Autors: „Kak v posol’skich obyčajach vedetsja …“ Rus­skij posol’skij obyčaj konca XV – načala XVII v.“ [Wie es den diplomatischen Gepflogenheiten entspricht ...“ Russische diplomatische Gepflogenheiten vom Ende des 15. bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts].

Für Juzefovič ist „der Weg des Gesandten“ eine Metapher für den Weg durch ein hochkompliziertes Handlungsgeflecht zwischen einer Vielzahl beteiligter Akteure, und die Zeremonien und Rituale gehörten zu den wichtigsten Formen nichtverbaler Kommunikation. Der Erfolg der diplomatischen Mission war nicht nur vom politischen Umfeld und den Machtkonstellationen abhängig, sondern auch von der Flexibilität und der Fähigkeit des Gesandten, Streitigkeiten beizulegen, zu vermeiden oder ihnen auszuweichen. Wie gefährlich es war, zu dieser Zeit Gesandter zu sein, welche Erniedrigungen und Demütigungen man erleben konnte, und wie oft die Rechte und die Rangansprüche der Gesandten missachtet wurden, besonders am Hof des Sultans, aber auch am Moskauer Hof des Zaren Ivan IV., belegt Juzefovič mit zahlreichen Beispielen aus den zeitgenössischen Dokumenten.

Die einzelnen Aspekte des Forschungsvorhabens werden in 9 Kapiteln behandelt. Nach einer Einleitung, in der er die Rolle Moskaus im diplomatischen Verkehr als Drehscheibe zwischen Ost und West betont, widmet sich Juzefovič zunächst der Frage der diplomatischen Verwandtschaftsbeziehungen in der Rangordnung der europäischen Monarchen und der Erhaltung eines besonderen Verhältnisses zum Krim­chanat in der frühen Neuzeit. Die Einbeziehung des tatarischen und persischen Kulturraums ermöglicht ein neues Verständnis für die Problematik.

In Kapitel 2 „Herrscher und Gesandter“ beschreibt Juzefovič die wechselseitige Beziehung zwischen dem Monarchen und dem Gesandten. Der Monarch war nicht nur die Personifizierung des Staats, sondern diese auch in menschlicher Gestalt. Der Gesandte war sein Repräsentant, wie ein „Strahl der Sonne“ (S. 46–47) – so zitiert Juzefovič den englischen Dichter John Donne (1572–1631). Der Grad der Identifizierung des Gesandten mit seinem Monarchen konnte unterschiedlich sein und wurde durch den Rang des Diplomaten definiert (S. 51). Dem Gesandten stand eine gemäß seinem Rang abgestufte zeremonielle Behandlung zu. In der Regel bot sich durch die Änderungen in der Etikette eine Möglichkeit, Statusansprüche und Machtzuwachs zu demonstrieren. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen aktueller Situation und angestrebter Position verursachte Spannungen. Wie Juzefovič dazu treffend formuliert: „Die Regel war allen bekannt, trotzdem wollte jeder eine Ausnahme sein.“ (S. 52)

In den Kapiteln 3, 4 und 5 werden der Weg von der Grenze bis zur Hauptstadt des Moskauer Reiches und die damit verbundenen Gepflogenheiten und Rituale ausführlich behandelt. Hier untersucht der Autor Fragen wie Treffen und „Friedenskonferenzen“ in Grenzgebieten, besonders aber die Vorbereitung von Friedensverhandlungen. Weiters beschreibt er die Funktionen und die Rolle des pristav, den feierlichen Einzug in die Hauptstadt, das Quartier der Gesandten, die Versorgung mit Proviant, die diplomatischen Geschenke, die Eskorte zum Kreml’ und die Treppe zum Audienzsaal. Juzefovič ist der Meinung, dass das Zeremoniell des Einzugs ähnlich wie z.B. in London oder Krakau war, Unterschiede beobachtet er in den Details bei der Behandlung von westeuropäischen und tatarischen, persischen oder osmanischen Diplomaten.

Das nächste Kapitel widmet der Autor der offiziellen Audienz als Höhepunkt der diplomatischen Mission. Er analysiert den Zusammenhang zwischen Raumgestaltung und Zeremoniell, die Darstellung von Hierarchie durch die Anordnung der Personen im Raum, die Bekleidung, die Herrschaftssymbolik und die Begrüßungsrituale. Schließlich schildert er einige Präzedenzfälle und Konflikte um Fragen des zeremoniellen Rangs. Von besonderer Bedeutung ist für Juzefovič die Gestaltung der öffentlichen Tafel nach der Audienz. Er beschreibt die Speisen und Getränke, die Tafelgeräte aus Silber und Gold, das Ritual der podača und die Entfaltung des Zeremoniells. Im Folgenden werden Themen wie die Organisation des Gesandtschaftswesens, die Entstehung der Institution Posol’skij prikaz, die Urkunden und andere diplomatischen Akten behandelt.

Zum Schluss stellt Juzefovič einige verbreitete Vorstellungen in Frage wie z.B. die Rolle des umstrittenen Rituals des otmyvanie ruk, also des Waschens der Hände des Zaren im Rahmen der Audienz für nichtorthodoxe Gesandte. Obwohl Antonio Possevino der Meinung war, dass dieses Ritual nicht ein Teil des offiziellen Zeremoniells war, widmete er seiner Darstellung einen beträchtlichen Teil seines Werkes.

Juzefovič verzichtet auf theoretische Diskurse über Macht, Ritual und Raum und bietet in seinem Buch eine wissenschaftlich-populäre Darstellung der diplomatischen Gepflogenheiten, die mit zahlreichen Zitaten aus den Quellen belebt wird. Methodisch verknüpft das Werk Rechts- und politische Geschichte mit Kulturgeschichte (Kommunikationsräume, Symbole, Sprach­felder, Bewältigung von kulturellen Differenzen). Die schon in der Einleitung aufgestellte These des Autors (S. 11), dass Moskau in die Beziehungen zum Westen und zum Osmanischen Reich von Anfang an als gleichberechtigt und souverän eintritt, entspricht allerdings nicht der historischen Wirklichkeit. Bedauerlicherweise fehlen in der Neuauflage alle illustrativen Beilagen aus der Erstausgabe. Insgesamt liefert das Werk ein facettenreiches Bild des diplomatischen Zeremoniells im Russland der frühen Neuzeit.

Iskra Schwarcz, Wien

Zitierweise: Iskra Schwarcz über: Leonid Juzefovič Put‘ posla. Russkij posol’skij obyčaj. Obichod. Etiket. Ceremonial. Konec XV – pervaja polovina XVII v. [Der Weg des Botschafters. Russische diplomatische Gepflogenheiten. Alltag – Etikette – Zeremoniell. Vom Ende des 15. bis zur 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts]. Izdat. Ivana Limbacha S.-Peterburg 2007. ISBN: 978-5-89059-104-3, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 4, S. 592–594: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schwarcz_Juzefovic_Put_posla.html (Datum des Seitenbesuchs)