Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Ausgabe: 63 (2015), 1, S. 126-128
Verfasst von: Oliver Jens Schmitt
Ivan Biliarsky: Word and Power in Medieval Bulgaria. Leiden [etc.]: Brill, 2011. X, 582 S. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 14. ISBN: 978-90-04-19145-7.
So umfangreich die Forschung zum bulgarischen Mittelalter auch ist, so gering ist die Zahl von einschlägigen Forschungsmonographien in westlichen Sprachen. Allein schon aus diesem Grund ist das umfangreiche Werk eines der besten Kenner der Materie, Ivan Bilyarsky, zu begrüßen. Thema seines Buches ist die Untersuchung des in bulgarischen mittelalterlichen Texten enthaltenen Rechtswortschatzes, wobei der Autor sich zeitlich auf die Epoche seit der Christianisierung beschränkt. Die ein rundes halbes Jahrtausend umspannende Arbeit lässt bewusst ins Bulgarische übersetzte byzantinische Rechtstexte beiseite, mit Ausnahme einer auf den Eklogen beruhenden Gesetzessammlung. Das Buch zerfällt in folgende Teile:
Ein Glossar des mittelalterlichen bulgarischen Rechtswortschatzes (S. 17–181), „Recht, Sprache und Identität“ (S. 183–203); „Rechtswortschatz der höchsten Staatsmacht“ (S. 205–260); „Institutionen, Heer und Verwaltungswortschatz“ (S. 261–392); „Konzepte und Begriffe in Abgaben- und Steuerwesen“ (S. 393–499); „Allgemeiner kirchlicher Wortschatz: kirchliche Würden und Einrichtungen“ (S. 501–516). Die Überlegungen beruhen auf der Vorstellung einer gesamtorthodoxen, byzantinisch geprägten Balkanslavia im Anschluss an Dimitri Obolenskys „Byzantine Commonwealth“. Es wurde demnach kein nationalbulgarischer Sonderfall konstruiert, sondern sinnvollerweise wurden bulgarische Entwicklungen in einen regionalen Zusammenhang gesetzt. Die Abhängigkeit vieler bulgarischer Rechtstexte und vieler Ausdrücke der bulgarischen Rechtssprache vom byzantinischen Vorbild sticht dabei besonders ins Auge, denn diese betreffen Wortbildung und sprachliche Konstruktion, und nicht nur allgemeine Einflüsse inhaltlicher Art. Als Materialgrundlage dienen dem Verfasser neun Urkunden – die außerordentlich geringe Zahl überlieferter Urkunden aus dem bulgarischen Mittelalter, dazu noch konzentriert auf das 13./14. Jh., muss besonders Westmediävisten erstaunen –, Inschriften (auf Stein, Fresken, Siegeln und Münzen), Marginalglossen und Kolophone sowie narrative Texte.
Der Hauptteil des Werkes besteht in einer detaillierten Analyse des Rechtsvokabulars und seiner – zumeist byzantinischen – Vorbilder. Dabei verfolgt der Verfasser den Ansatz, über eine rein linguistische oder philologische Analyse hinauszugehen und die Rechtsbegriffe historisch zu kontextualisieren. Es ist ihm zuzugestehen, dass viele Unterkapitel geschlossene eigene Texte bilden, die wie eine Aneinanderreihung von Spezialstudien wirken.
Besonders nützlich ist die Zusammenstellung und Deutung der Evidenz zu den Amtstiteln im bulgarischen Staat. Der byzantinische Einfluss kann am Beispiel der Heeresämter in den Provinzen veranschaulicht werden: katepano, kastrophylax, alagator, comes, strator sind byzantinischen Ursprungs. Desetnik, varar sind slawischen, serdar und vatah persischen (über das Türkische vermittelten) bzw. türkischen Ursprungs. Nicht nur das Amt des topštikal, sondern auch jenes des vatah sind nicht leicht zu erklären, bisweilen nur durch Analogieschlüsse zu den zeitlichen späteren Ämtern in den Fürstentümern Walachei und Moldau zu erschließen.
Dass das bulgarische Recht wie die Rechtssysteme der anderen balkanorthodoxen Herrschaften vom byzantinischen Vorbild abhängig war, wobei sich das Zweite bulgarische Reich in ganz besonderem Maße byzantinischem Einfluss ausgesetzt sah, war der bisherigen Forschung in Grundzügen bekannt. Der Verfasser betont, dass dieser Einfluss besonders über die Kirche von Byzanz nach Bulgarien gelangt sei, die das Reich an die byzantinische Welt gebunden habe. In diesem weiteren Rahmen sei auch die Übernahme byzantinischer Rechtstexte und deren Übertragung ins Bulgarische zu betrachten. Überall werde der byzantinische Einfluss deutlich, besonders stark in der Kirche und in „ideologisch aufgeladenen“ Teilen der Rechtstexte. Diese stehen in engem Zusammenhang mit dem philologischen Werk Kyrills und Methods, das über den rein religiösen hinaus auch den rechtlichen Wortschatz der Slavia orthodoxa nachhaltig prägte.
Dem Spezialisten der Rechts- und Verwaltungsgeschichte, aber auch dem philologisch arbeitenden Historiker gibt der Verfasser ein gründlich gearbeitetes und detailliertes Werk an die Hand. Der Mediävist erhält Einblick in Strukturen der beiden bulgarischen Reiche, aber auch in die enormen methodischen Schwierigkeiten der bulgarischen Mediävistik, die sich noch für das 14. Jh. mit einem beeindruckenden Mangel an Quellen auseinanderzusetzen hat. Eine leichte Lektüre ist das Buch für den an breiteren Zusammenhängen interessierten Historikers wegen des lemmabezogenen Hauptteils jedoch nicht.
Zitierweise: Oliver Jens Schmitt über: Ivan Biliarsky: Word and Power in Medieval Bulgaria. Leiden [etc.]: Brill, 2011. X, 582 S. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 14. ISBN: 978-90-04-19145-7, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schmitt_Biliarsky_Word_and_Power.html (Datum des Seitenbesuchs)
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