Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 2, S.  298-299

Ralf Meindl Ostpreußens Gauleiter. Erich Koch – eine politische Biographie. fibre Verlag Osnabrück 2007. 575 S., Abb. = Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau, 18. ISBN: 978-3-938400-19-7.

Bei der vorliegenden, 2007 veröffentlichten Biographie handelt es sich um eine Dissertation, die im Sommersemester 2006 von der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg/Br. angenommen wurde. Dem­ent­sprechend geht es hier nicht um eine Darstellung, die nur nach ihrem ‚Informations-‛ oder vielleicht sogar ‚Unterhaltungswert‛ beurteilt werden kann, sondern um die Arbeit eines jungen Historikers, der nach strengen wissenschaftlichen Grundsätzen alle in Frage kommenden Archivalien an verschiedenen Orten so in Berlin, Koblenz und Bayreuth verarbeitet hat und zusammen mit seiner Arbeit auch einen äußerst umfangreichen Anmerkungsteil veröffentlicht.

In journalistischer Kritik wurde das politische Gewicht Erich Kochs und auch die Bedeutung der vorliegenden Biographie unterschätzt (vgl. hierzu Jörg Später Blasse Persönlichkeit. Erich Koch – typischer NS-Führer, in: Süddeutsche Zeitung vom 20. Mai 2008). Erich Koch war als einer der führenden Nationalsozialisten Gau­leiter der in höchstem Maße exponierten Pro­vinz Ostpreußen. Er spielte darüber hinaus während des Zweiten Weltkrieges auch als Reichskommissar der von den Deutschen besetzten Ukraine eine äußerst negative Rolle nicht nur gegenüber der ukrainischen, sondern vor allem gegenüber der jüdischen Bevölkerung. Wie zwiespältig und opportunistisch Erich Koch als Person war, zeigt seine nach 1933 zunächst auch politisch von ihm genutzte Treue gegenüber der in Ostpreußen dominierenden evangelischen Kirche, mit der er dann 1943, wie viele andere Nationalsozialisten schon zuvor, durch Austritt brach. Die vom Verfasser geschilderte Situation des Jahres 1935 erinnert u.a. an den führenden Bayreuther Nationalsozialisten Hans Schemm, Gauleiter der „Bayerischen Ostmark“ und Begründer des Nationalsozialistischen Lehrerbundes/NSLB, nach dem ähnlich wie nach Koch bereits zu Lebzeiten zahlreiche Straßen und Plätze benannt wurden. Schemm hatte ähnlich wie Koch eine gewisse kirchenfreundliche Politik verfolgt; er hielt diese u.a. bei der Frage der „Reichskirche“ und des „Reichsbischofs“ durch und fand Anfang März 1936 bei einem mysteriös gebliebenen Flug­zeug­unfall in Bayreuth den Tod. Koch hat sich zu diesem Zeitpunkt von seinen kirchenfreundlichen Positionen zurückgezogen – nicht zuletzt weil er sich, wie der Verfasser ausführt, für sehr gefährdet hielt. Allein schon wegen solcher Parallelen ist es wichtig, dass die biographische Aufarbeitung der Epoche des Nationalsozialismus weiter fortgeführt wird. Wichtig erscheinen übrigens auch Erich Kochs Bestrebungen nicht nur im sozialen, sondern auch im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich durch die Errichtung einer „Erich-Koch-Stiftung“ und den „Forschungskreis“ der Universität Königsberg.

In der Gliederung der Biographie spiegeln sich die Lebensabschnitte Erich Kochs wieder. Mit sehr gut ausgewählten Schlagworten sind die umfangreichen Kapitel für den Leser ansprechend gekennzeichnet, so „‚Alles, was geworden ist, haben wir nur unserem Gauleiter Erich Koch zu verdanken‘“, „‚Gau-König‘ – Gau­leiter und Oberpräsident“, „‚Dass das Memel­land deutsch ist …‘“, „‚… bald wieder ein deutsches Antlitz‘ – Bialystok“, „‚Vorwerk der Provinz‘ – Zichenau“, „‚Aufgabe von weltgeschichtlicher Tragweite‘ – Ukraine“, „‚Soldatenland‘ – Ostpreußen im Zweiten Weltkrieg“, „‚Last of the War Criminals‘ – 1945–1986“ und als Bilanz dieser Biographie die Frage aus der Sicht Erich Kochs: „‚Ein stolzes Leben?‘“

Erich Koch wurde 1896 in Elberfeld geboren; er nahm am Ersten Weltkrieg teil, 1919 bis 1923 war er wiederholt im Rahmen von „Freikorps“ aktiv. 1922 wurde er NSDAP-Mitglied und sehr bald auch Gaugeschäftsführer des Gaues „Ruhr“. Nach der Zeit des Verbotes der NSDAP trat er 1926 der Partei erneut bei, verlor damit seine Tätigkeit bei der Deutschen Reichsbahn und wurde stellvertretender Gauleiter des Gaues „Ruhr“. Nach heftigen Auseinandersetzungen mit dem Nationalsozialisten Josef Terboven, dem späteren Reichskommissar für die von den Deutschen besetzten norwegischen Gebiete, wurde er 1928 nicht, wie beantragt, aus der Partei ausgeschlossen, sondern im Gegenteil von Hitler zum Gauleiter von Ostpreußen ernannt. Dort zog er als Nationalsozialist in den ostpreußischen Provinziallandtag ein, ebenso in die Königsberger Stadtverordnetenversammlung, und 1930 entsandte man ihn als ostpreußischen Abgeordneten in den Reichstag. Im Zuge der Gleichschaltung der staatlichen Behörden wurde Koch im September 1933 Oberpräsident der Provinz Ostpreußen und war damit administrativ nur mehr dem Innenministerium in Berlin unterstellt. Am 1. September 1941 erhielt Koch zusätzlich den Posten des Reichskommissars für die Ukraine und setzte sich damit gegen den Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann durch. Mit der Angliederung des polnischen Bezirkes Bialystok an Ostpreußen verfügte Koch unter Hitler über einen Herrschaftsbereich, der von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichte. Widerstand gegen Koch ging vor allem von Alfred Rosenberg, dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete aus; er vermochte sich jedoch bei Hitler nicht durchzusetzen und Koch behielt, wie schon früher, die Oberhand. Nach der sowjetischen Rückeroberung der Ukraine war Koch als Gauleiter Ostpreußens damit befasst, unter Zurücksetzung aller humanitären Ge­sichtspunkte die Provinz gegenüber der vorrückenden Roten Armee bis zum Letzten zu verteidigen, wobei vor allem eine Evakuierung der Zivilbevölkerung unterblieb. Königsberg sollte als Festung bis zum letzten Mann verteidigt werden. Koch selbst setzte sich aber rechtzeitig auf sicherem Seeweg nach Dänemark ab und tauchte dann unter falschem Namen als einfacher Bürger bis zu seiner Enttarnung im Mai 1949 unter. 1950 lieferten ihn die Briten an Polen aus, wo er in einem langwierigen Prozess zwar zum Tode verurteilt wurde; das Urteil wurde jedoch in lebenslange Haft umgewandelt. Erich Koch starb im Alter von 90 Jahren als kranker Mann 1986 im Gefängnis von Barczewo/Polen.

Wie sehr sich Koch in alle Bereiche des öffentlichen Lebens in Ostpreußen einmischte, zeigt die Tatsache, dass er 1942 einen von der NSDAP geförderten Forschungskreis ins Leben rief, wobei sich Koch am 19. Januar 1942 in der „Kö­nigsberger Allgemeinen Zeitung“ als „Schirm­herr der freien Forscher“ (!) an der 1544 gegründeten, traditionsreichen Albertus-Uni­versität feiern ließ, nachdem am 18. Januar 1942 der damalige Rektor der Universität Königsberg, Hans Bernhard von Grünberg, ein enger Vertrauter Kochs, in seiner Eigenschaft als Gaudozentenführer ausgeführt hatte: „Zeiten gro­ßer Wandlungen in den tragenden Ideen des Weltgeschehens sollten auch Zeiten tiefer Besinnung auf die wesentlichen Grundkräfte der großen Ereignisse sein. Seine sichtbare Äußerung seines Geisteslebens hat das deutsche Volk in seinen Universitäten […].“ In jedem Jahr sollte ein Preis für „freischaffende Forschung“ verliehen werden (vgl. hierzu Bun­desarchiv Ber­lin R 153/160 – Forschungskreis der Albertus-Universität Königsberg 1942). Aus diesen Vorsätzen des Kochschen „Forschungskreises“ konnte in den folgenden Kriegsjahren verständlicherweise nicht mehr viel werden, obwohl im Sommer 1944 noch das 400-jährige Jubiläum der Albertus-Universität mit großen finanziellen Versprechungen Kochs begangen wurde. Unklar bleibt in vorliegender Biographie die Rolle Erich Kochs bei seinen Auseinandersetzungen mit dem damaligen kommissarischen Rektor der Universität Königsberg, dem Baltisten Georg Gerullis (1888–1945), der nicht nur als Professor für Baltistik, sondern auch als Rektor an die Universität Marburg versetzt werden sollte, schließlich aber der Universität Berlin zugeteilt wurde, womit die Baltische Philologie nach jahrhundertelanger Tradition in Königsberg vorzeitig beendet wurde.

Die Biographie Ralf Meindls ist in ihrem Aufbau am Lebenslauf von Erich Koch orientiert. Sie zeigt nicht nur seine zahlreichen politischen Stationen, sondern auch seine vielfachen personellen Verstrickungen, die zugleich ein grelles Licht auf die von Hitler verfolgte Personalpolitik in der NSDAP und damit im Deutschen Reich und in den von ihm zeitweilig besetzt gehaltenen Gebieten werfen. So kommt dieser umfangreichen Darstellung keineswegs nur dokumentarische Bedeutung zu, sondern sie zeigt auch, unter welchen Bedingungen nach 1933 Karrieren in der NSDAP gefördert wurden. Hitlers Abrechnung mit Röhm, der Kirchen­kampf im Inneren Deutschlands und die Ausrottungspolitik gegenüber Polen, Ukrainern und Juden finden sich genau in der Wirksamkeit von Erich Koch bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges wieder.

Helmut W. Schaller/Marburg a.d.L.

Zitierweise: Helmut W. Schaller über: Ralf Meindl: Ostpreußens Gauleiter. Erich Koch – eine politische Biographie. fibre Verlag Osnabrück 2007. = Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau, 18. ISBN: 978-3-938400-19-7, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 2, S. 298-299: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Schaller_Meindl_Ostpreussens_Gauleiter.html (Datum des Seitenbesuchs)