Christopher Gilley A Simple Question of ‘Pragmatism’? Sovietophilism in the West Ukrainian Emigration in the 1920s. Koszalin Institute of Comparative European Studies (KICES) Koszalin 2006. 56 S. = KICES Working Papers, 4. ISSN: 1895-0450.

Der Artikel beschäftigt sich mit der Sowjetophilie westukrainischer Politiker und Intellektueller in der Zwischenkriegszeit. Bereits gegen Ende des polnisch-westukrainischen Krieges 1918/19 erwog die westukrainische Regierung eine Zusammenarbeit mit der Roten Armee gegen Polen, doch letztlich scheiterte dies an der Schwäche beider Parteien und an der Rücksichtnahme auf die Meinung der Entente. In den zwanziger Jahren wuchs die Anziehungskraft der Sowjetunion aus anderen Gründen. Ihre Nationalitätenpolitik entwickelte sich zu einem Propagandaschlager. Die Ukrainische SSR war zwar kein un­abhängiger Staat, aber immerhin doch ein staatliches Gebilde mit eigener Regierung und eigenem Obersten Sowjet. Dagegen hatte die polnische Regierung ihr Autonomieversprechen gebrochen und betrieb in den Ostgebieten eine restriktive Minderheitenpolitik. Es wundert daher nicht, dass in der westukrainischen Intelligenz die Sympathien für die Sowjetunion wuchsen und einige Intellektuelle in die Sowjetukraine emigrierten. Gilley hat auf der Grundlage zeit­genössischer Publikationen und Archivquellen diese Hinwendung zur Sowjetunion untersucht. In drei interessanten Fallstudien (Mychailo Lozyns’kyj, Julijan Bačyns’kyj und Antin Krušelnyc’kyj) stellt Gilley dar, was west­ukrainische Politiker und Intellektuelle über die Sowjetunion dachten. Gilley versucht in seiner Vorarbeit zu der inzwischen abgeschlossenen Dissertation zu belegen, dass diese „Sowjetophilie“ mehr als nur pragmatische Gründe hatte. Doch dies will nicht so recht gelingen. Die Quellen zeigen viel­mehr, dass die westukrainischen Politiker weniger aus kommunistischen Sympathien oder gar aus Begeisterung für das bolschewistische Projekt in die Sowjetukraine emigrierten, sondern weil sie sich dort bessere Bedingungen für den Aufbau einer ukrainischen Staatlichkeit ver­sprachen. Die Zwangskollektivierung, die Kam­pagne gegen nationalistische Tendenzen und die ukrainische Hungersnot verwandelten die Sowjetunion schließlich von einem potentiellen Verbündeten zum erklärten Feind der west­ukrainischen Nationalbewegung.

Christoph Mick, Coventry

Zitierweise: Christoph Mick über: Christopher Gilley: A Simple Question of ‘Pragmatism’? Sovietophilism in the West Ukrainian Emigration in the 1920s. Koszalin Institute of Comparative European Studies (KICES) Koszalin 2006. = KICES Working Papers, 4. ISSN: 1895-0450, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 1, S. 127: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Mick_Gilley_Simple_Question.html (Datum des Seitenbesuchs)