Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 4, S.  580–581

Michael Buckmiller, Klaus Meschkat (Hrsg.) Biographisches Handbuch zur Geschichte der Kommunistischen Internationale. Ein deutsch-russisches Forschungsprojekt. Akademie Verlag Berlin 2007. 486 S., CD-ROM. ISBN: 978-3-05-004158-2.

Grundlagenforschung hat häufig ein Legitimationsproblem – wo sich der Praxisbezug nicht unmittelbar erschließt, wird schnell gefragt, ob sich der gewaltige Aufwand denn überhaupt lohne. Dieses Legitimationsproblem lastet insbesondere auf geisteswissenschaftlichen Projekten. Umso erfreulicher ist es, dass nun ausgerechnet zum Personal der Kommunistischen Internationale (1919–1943) eine umfangreiche biographische Datenbank vorliegt – schließlich gehört die Komintern insgesamt momentan nicht unbedingt zu den Themen, die die historische Forschung umtreiben (von einer breiteren Öffentlichkeit einmal ganz zu schweigen). Im Gegensatz zu bisherigen Nachschlagewerken will diese Datenbank nicht nur die Biographien der Führungsriege oder eines kleinen ausgewählten Kreises von Funktionären zugänglich machen, sondern die von tausenden von Komintern-Mitarbeitern.

Ein Blick in die Datenbank erweckt allerdings den Eindruck, als hätten sich die Bearbeiter an diesem Mammutprojekt verhoben – sie wirkt unfertig, ist wenig benutzerfreundlich aufgebaut, und die einzelnen Einträge sind nicht einheitlich redigiert worden. Rätselhaft ist schon allein die Tatsache, dass die Datenbank zwar 28.690 biographische Einträge aufweist, von diesen jedoch nur 15.815 solche Personen betreffen, die auch eindeutig als Komintern-Mitarbeiter zu bezeichnen sind. Völlig unklar ist beispielsweise, wieso Wolfgang Abendroth aufgenommen wurde, der zwar KPD-Mitglied war, aber offensichtlich keinen Komintern-Bezug hatte und von dem daher lediglich seine Lebensdaten und sein Geburtsort aufgeführt werden.

Auch der Präsentation der Datensätze der Komintern-Mitarbeiter ist anzumerken, dass es sich bei der Datenbank noch um eine Betaversion handelt, die eher für den internen Gebrauch als für die öffentliche Nutzung zugeschnitten ist. So ist es im Prinzip sehr praktisch, unterschiedliche Felder zu biographischen Grunddaten, zu Ausbildung, sozialer Herkunft, Beruf, Funktionen in der jeweiligen Partei sowie im Komintern-Apparat etc. bereitzustellen, weil somit systematische Suchabfragen nach bestimmten Personengruppen ermöglicht werden – allerdings stellen sich der praktischen Nutzung einige Hürden in den Weg. Insbesondere haben es die verschiedenen Bearbeiter der Datenbank versäumt, sich auf einheitliche Begriffe zu einigen. Die Nutzer müssten daher – so heißt es in den Erläuterungen von Olaf Kirchner zum Aufbau der Datenbank – nach gleichen Informationen mit Hilfe unterschiedlicher Suchwörter in verschiedenen Feldern suchen. Welche Suchwörter man benutzen muss, um beispielsweise alle deutschen Komintern-Emissäre zu ermitteln, muss man dadurch herausfinden, dass man sich erst einmal alle möglichen Datensätze anschaut und die entsprechenden Signalwörter her­ausschreibt. Vielfach finden sich auch reichlich kryptische Einträge zu den jeweiligen Personen, deren ganze Bedeutung sich wohl nur den Mitarbeitern des Forschungsprojekt erschließt – so ist beispielsweise zu Arthur Dombrowski im Feld „Funktion für die Komintern“ vermerkt: „Emissär in CH? (Liste Brigitte)“. Es ist also eine recht harte Kost, die den Nutzern hier verabreicht wird.

Gerechterweise muss man dazu anmerken, dass es wohl kaum ein Archiv gibt, das sich seine Erkenntnisse so schwer entreißen lässt, wie das Personalarchiv der Komintern. Das geringste Problem ist noch die Tatsache, dass die vorhandenen Findmittel nur die Personen preisgeben, deren Namen man schon kennt – diese Probleme sind aus anderen Archiven mit Personalakten bekannt. Sehr viel problematischer erweist sich hingegen die Nonchalance, mit der die einstigen Komintern-Archivare Namen ins Kyrillische transkribierten. Allein für den Namen Meier/Meyer/Maier etc. gibt es zahllose Varianten, mit dem Resultat, dass für eine Person zuweilen bis zu einem halben Dutzend verschiedener Akten angelegt wurden, weil der Name immer wieder anders transkribiert wurde.

Welche Erkenntnismöglichkeiten die durch die Datenbank aufbereiteten Personalakten der Komintern bieten, führt der beeindruckende Aufsatz von Peter Huber vor Augen, der in dem Begleitbuch zur Datenbank abgedruckt ist. In seiner Studie über „Das Führungscorps der Komintern“ präsentiert er einen soziobiographischen Querschnitt der insgesamt 586 Personen, die zwischen 1919 und 1943 in der Leitung der Komintern gearbeitet haben, und kann statistisch dessen Strukturwandel nachzeichnen – insbesondere den Generationenwechsel in den Jahren 1921/22 und 1928/29, den Rückgang des Anteils von Intellektuellen und sowjetischen Kadern in der Führung der Komintern. Besonders interessant sind aber Hubers Ausführungen darüber, in welch unterschiedlichem Ausmaß die jeweiligen Nationalitäten in der Führungsebene der Komintern vom Terror der Jahre 1936–1939 betroffen waren. Durchschnittlich wurden etwa 40 Prozent der Führungskader „repressiert“; Huber kann aber anhand der nun vorliegenden Daten zeigen, wie sich diese Repressionsquoten im einzelnen verteilten. So fiel dem Terror kein einziger der britischen, französischen, latein- bzw. nordamerikanischen oder skandinavischen Funktionäre zum Opfer, hingegen besonders viele finnische, estnische, lettische, polnische und jugoslawische Funktionäre. Während die Funktionäre der ersteren Gruppe in der Terrorzeit entweder als Anhänger oder potentielle Verbündeter in der Volksfrontpolitik galten oder sie (im Fall der Lateinamerikaner und Neuseeländer) den sowjetischen Sicherheitsorganen weitgehend unbekannt waren, erblickte das NKVD in den Personen aus den „Randstaaten“, die der Sowjetunion gegenüber in den Augen der Stalinisten besonders feindlich gesinnt waren, offensichtlich eine ernste Bedrohung.

Es bleibt zu hoffen, dass die vorliegende Datenbank nur einen Zwischenschritt in der Erforschung der Personalakten des Komintern-Archives darstellt – wie Hubers Analyse der Ursachen des stalinistischen Terrors aufzeigt, bietet dieser Bestand die einzigartige Möglichkeit zur vergleichenden Untersuchungen.

Bert Hoppe, Berlin

Zitierweise: Bert Hoppe über: Michael Buckmiller, Klaus Meschkat (Hrsg.) Biographisches Handbuch zur Geschichte der Kommunistischen Internationale. Ein deutsch-russisches Forschungsprojekt. Akademie Verlag Berlin 2007, CD-ROM. ISBN: 978-3-05-004158-2, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 4, S. 580–581: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Hoppe_Buckmiller_Biographisches_Handbuch.html (Datum des Seitenbesuchs)