Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Ausgabe: 63 (2015), 4, S. 668-670
Verfasst von: Bodo Hechelhammer
Korea – ein vergessener Krieg? Der militärische Konflikt auf der koreanischen Halbinsel 1950–1953 im internationalen Kontext. Hrsg. von Bernd Bonwetsch / Matthias Uhl. München: Oldenbourg, 2012. 206 S. = Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Moskau, 3. ISBN: 978-3-486-71271-1.
Der vorliegende Sammelband über den Koreakrieg von 1950 bis 1953 fasst auf rund 200 Seiten die Ergebnisse einer internationalen Konferenz zum Thema zusammen, die bereits am 26./27. Januar 2007 in Moskau stattgefunden hat und vom dortigen Deutschen Historischen Institut (DHI) sowie dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam gemeinsam ausgerichtet wurde. Die Herausgeber der Publikation sind Bernd Bonwetsch und Matthias Uhl, der eine Direktor, der andere wissenschaftlicher Mitarbeiter des DHI Moskau. Insgesamt äußern sich in dem Sammelwerk 16 Autoren, allesamt ausgewiesene Experten zum Tagungsthema, zur Militärgeschichte des Kalten Krieges allgemein und speziell zur Korea-Thematik. Die Spezialisten aus Berlin, Innsbruck, Moskau, Odense, Potsdam, Tübingen, Warschau und Washington beleuchten sehr unterschiedliche Aspekte des Krieges in Korea, zum Großteil basierend auf Quellenarbeit in Archiven ehemaliger osteuropäischer Staaten.
Neben einem Vorwort (S. 7–8) des Chefs des Planungsstabes im Verteidigungsministeriums von Südkorea, Generaloberst Jeh Seung Yoo, und den Schlussbetrachtungen (S. 177–182) von Rolf Steininger haben weitere 14 Autoren Beiträge zum Thema verfasst, die allerdings über eine jeweils sehr unterschiedliche Quantität und Qualität verfügen. Da die einzelnen Essays zwischen sechs und 38 Seiten umfassen, wirkt der Sammelband hinsichtlich seiner äußeren Form ein wenig inhomogen und damit zwangsläufig auch inhaltlich unausgewogen. Die Reihenfolge der Beiträge folgt derjenigen der Vorträge der Konferenz von 2007, die thematisch in drei größere Abschnitte unterteilt waren: 1. Die Konfliktparteien des Koreakrieges, 2. Der Koreakrieg und die Blockkonfrontation in Europa sowie 3. Koreakrieg und militärisch-industrieller Komplex. Positiv zu erwähnen, da nicht selbstverständlich für entsprechende Sammelbände, sind das 15 Seiten umfassende weiterführende Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein kurzes Abkürzungs-, Personen- und Autorenverzeichnis am Ende der Publikation.
In seinen einführenden Worten, Der Krieg in Korea 1950–1953 (S. 9–18), weist Bernd Bonwetsch zunächst allgemein auf den inzwischen verbesserten Quellenzugang (vor allem zum russischen Archivmaterial) hin, was bereits zu einzelnen neuen Detailstudien zu dem Thema geführt hat. Doch nach wie vor seien relevante Quellen, beispielsweise chinesische oder auch koreanische Dokumente, schwer zugänglich, weshalb Fragestellungen zu weiteren interessanten Aspekten des Koreakrieges, etwa zur Rolle Chinas als verlängerter Arm Moskaus bzw. Vertreter sowjetischer Interessen in der Region, noch immer ungeklärt sind.
Im ersten Beitrag des Abschnitts über die Konfliktparteien im Koreakrieg, Einige Überlegungen zur Verantwortlichkeit der Konfliktparteien unter besonderer Berücksichtigung Südkoreas (S. 21–26), erkennt Valerij I. Denisov die hauptsächliche Verantwortung für die Eskalation des Konfliktes bei den koreanischen Führungen und deren Überzeugung, die Wiedervereinigung des geteilten Landes nur durch Waffengewalt erreichen zu können. Er verweist dabei zugleich auf die zurückhaltende Position Moskaus, das eine Konfrontation mit den USA vermeiden wollte. Kathryn Weathersby kommt in ihrem Beitrag Impact of the Korean War on North Korean Foreign Relations (S. 27–35) zu dem Schluss, dass die heutige politische Isolation Nordkoreas insofern als ein Resultat des Koreakrieges zu verstehen ist, als sie die Folge der Lehren der nordkoreanischen Führung aus ihrer Abhängigkeit von Moskau und Beijing während des Krieges darstellt. Der umfangreichste Beitrag stammt von Peter Kuhfus. Unter dem Titel „Ein Strategem von Kim und Mao“. Politische Historiographie zwischen Moskau und Beijing (S. 37–74) macht er deutlich, wie unterschiedlich die chinesischen und sowjetischen Historiker die Frage nach der Verantwortlichkeit für den Krieg beantwortet haben und wie die beiden Großmächten die gegensätzlichen, politisch motivierten historiographischen Standpunkte (beispielsweise hinsichtlich der Frage, ob der Konflikt Josef Stalin durch Mao Zedong aufgezwungen worden sei) zur Legitimation ihrer Politik nutzten. Natal’ja I. Egorova (Die UdSSR und der Krieg in Korea: neue Dokumente, neue Ansichten, S. 75–83), wirft einen kritischen Blick auf die russische Quellenbasis zum Koreakrieg und unterstreicht dabei die Notwendigkeit weiterer Forschungen. Der letzte Vortrag des ersten Abschnitts stammt aus der Feder von Bernd Schaefer. Er analysiert in „Die for a Tie“ und Grenzerfahrungen – Die USA im Koreakrieg (S. 85–91), wie den USA ihre Grenzen globaler Machtentfaltung durch den Koreakrieg aufgezeigt wurden und wie dieser letztendlich die Militärstrategie im Vietnamkrieg mit beeinflusst hat.
Der zweite Abschnitt über den Koreakrieg aus europäischer Perspektive beginnt mit Der sicherheitspolitische Standort des Koreakrieges im Kontext der westlichen Bedrohungsperzeptionen 1948–1951 (S. 95–101) von Bruno Thoß. Er nähert sich in einem kurzen Beitrag der Bedeutung des Konfliktes in Ostasien für die Akzeptanz einer militärischen Aufrüstung im Westen. In Korea als Generalprobe? Wahrnehmung und Wirkungen des Koreakrieges in der DDR (S. 103–114) stellt Burghard Ciesla die propagandistische Ausnutzung des Konfliktes in Ostdeutschland dar und zeigt, wie die SED-Führung den Koreakrieg zur eigenen Herrschaftslegitimation instrumentalisiert hat und deshalb Wiederaufbauhilfe für Nordkorea noch während der Kriegsjahre leistete. Auf der Grundlage dänischer Quellen untersuchen Thomas Wegener Friis und Kristine Midtgaard in Dänemark und der Koreakrieg (S. 115–126), wie der Konflikt Dänemark als NATO-Mitglied in ein wirtschaftliches Dilemma führte, durch das das Land gezwungen war, sich mit der NATO-Integration Westdeutschlands auseinanderzusetzen. Eine weitere nationale Sicht wird in dem anschließenden Beitrag skizziert. Dariusz Jarosz beschreibt in The Korean War, Poland and the Poles (S. 127–131) die Folgen des Krieges aus polnischer Perspektive, geht dabei besonders auf die Einzelaspekte von Hilfsleistungen bei Rüstungsfragen und humanitäre Aktionen ein und untersucht die durch den Koreakrieg verursachten spezifischen Ängste und Hoffnungen der polnischen Bevölkerung.
Den dritten Abschnitt über den Zusammenhang zwischen dem Koreakrieg und dem militärisch-industriellen Komplex leitet Matthias Uhl mit seinem Thema Die sowjetischen Streitkräfte und der militärisch-industriell-akademische Komplex der UdSSR während des Koreakrieges 1950 bis 1953 (S. 135–147) ein. Unter besonderer Berücksichtigung von Quellen aus russischen Partei- und Wirtschaftsarchiven beleuchtet er aus sowjetischer Sicht die zunehmende Bedeutung des Militärapparates für die Politik in der UdSSR infolge des Koreakriegs und geht dabei auch auf die Frage nach der Gefahr eines möglichen Nuklearschlags ein, der für die sowjetische Führung keine ernsthafte Option darstellte. The Korean War and the American Military-Industrial Complex: „The Militarization of America“ (S. 149–155) von Irina V. Bystrova beschreibt eine ähnliche Fragestellung mit Blick auf Amerika. Sie zeigt, wie der Koreakrieg letztendlich zum Auslöser für einen zunehmenden und nachhaltigen Einfluss des Militärapparates auf die Politik auch in den USA wurde. Rüdiger Wenzke kommt in Der Koreakrieg als Katalysator der geheimen Aufrüstung in der DDR? Anmerkungen zur Reflexion des Krieges in Militär und Gesellschaft (S. 157–166) zum Ergebnis, dass der Koreakrieg zwar nicht der Auslöser der militärischen Aufrüstung der DDR war, jedoch die Propagierung der Militarisierungspolitik der DDR in der ostdeutschen Gesellschaft begünstigte. Im letzten Aufsatz dieses Abschnitts geht Dieter Krüger (Der „Koreaschock“ 1950. Wendepunkt oder Katalysator der westdeutschen Sicherheitspolitik?, S. 167–175) kritisch auf die Bedeutung des Krieges für Wiederbewaffnung und Westintegration der Bundesrepublik Deutschland ein.
In der leider nur sehr knapp gehaltenen Schlussbetrachtung von Rolf Steininger beschreibt dieser die Folgen des Krieges für verschiedene staatliche Protagonisten (vor allem für die USA und für Korea) und deren unterschiedliche Erinnerungskulturen dazu. Während für die USA der Koreakrieg, weil zeitlich und politisch zwischen dem positiv besetzten Zweiten Weltkrieg und dem negativ besetzten Vietnamkrieg verortet, faktisch zum vergessenen Krieg wurde, bestimmt dieser bis heute das politische Handeln der beiden koreanischen Staaten.
Der Sammelband vermittelt insgesamt auf sehr gelungene Weise verschiedenste aktuelle Forschungsansätze zum Koreakrieg. Einzelne Aspekte des Tagungsbandes mögen zwar in ihrer Bewertung nicht neu sein, allerdings beeinträchtigt dies keineswegs die wissenschaftliche Qualität dieser Publikation. Diese besteht vor allem darin, dass man sich dem Thema inhaltlich auf sehr vielfältige Weise angenähert hat, dass der Koreakrieg und seine politischen Folgen sowohl aus einer globalen als auch aus einer jeweils spezifisch nationalen Sicht untersucht wurden und dass schließlich dabei zahlreiche Beiträge auf bisher unbekanntem Quellenmaterial basieren. Insgesamt handelt es sich um eine informative und lesenswerte Publikation, die neue Denkanstöße zu geben vermag und zu weiterer Forschung über das Thema einlädt.
Zitierweise: Bodo Hechelhammer über: Korea – ein vergessener Krieg? Der militärische Konflikt auf der koreanischen Halbinsel 1950–1953 im internationalen Kontext. Hrsg. von Bernd Bonwetsch / Matthias Uhl. München: Oldenbourg, 2012. 206 S. = Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Moskau, 3. ISBN: 978-3-486-71271-1, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Hechelhammer_Bonwetsch_Korea_ein_vergessener_Krieg.html (Datum des Seitenbesuchs)
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