Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Ausgabe: 63 (2015), 1, S. 168-170

Verfasst von: Eva Anne Frantz

 

Nada Boškovska: Das jugoslawische Makedonien 19181941. Eine Randregion zwischen Repression und Integration. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2009, 392 Seiten, ISBN 978-3-205-78355-8.

In den Balkankriegen 1912/13 eroberte Serbien Vardar-Makedonien, das territorial etwa der heutigen Republik Makedonien entspricht. Nach der bulgarischen Besatzung im Ersten Weltkrieg wurde dieses Gebiet 1918 Teil des neu gegründeten Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen. Welche Politik verfolgte Belgrad gegenüber Makedonien, das über 500 Jahre Teil des osmanischen Reiches gewesen war, und wie reagierte die lokale Bevölkerung hierauf?

Nada Boškovska geht diesen Fragen in der vorliegenden Monographie nach, die ihre überarbeitete Habilitationsschrift darstellt. Ihr Ziel ist es, vor dem Hintergrund der innenpolitischen Herausforderungen des Königreichs – zum einen der Notwendigkeit, Makedonien staatlich zu durchdringen und in den neuen Staat zu integrieren, und zum zweiten, einen gewissen Ausgleich zwischen den sehr unterschiedlichen Regionen des Staates zu finden – herauszuarbeiten, welche Bedeutung Belgrad Vardar-Makedonien beimaß und wie sich der Integrationsweg darstellte. Inwieweit wurde versucht, Makedonien politisch und kulturell zu dominieren und wirtschaftlich auszubeuten? Oder war das vorrangige Ziel der staatlichen Politik, die Region zu modernisieren, das heißt wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell zu fördern und politische Partizipation zu ermöglichen? Für ihre Analyse lehnt sich die Autorin an das Konzept der „inneren Peripherie“ an, bei dem mit Blick auf Wirtschaft, Gesellschaft, Religion, Ideologie und Politik gefragt wird, ob die Bedingungen in einer bestimmten Region innerhalb eines Staates so organisiert sind, dass die Menschen im Zentrum zu Lasten dieser Region profitieren. Während die makedonische Geschichtsschreibung davon ausgeht, dass Belgrad eine Assimilierung Makedoniens auf rein repressivem Weg verfolgte, geht Boškovska der Frage nach, „inwiefern auch andere Wege zur Integration des Südens beschritten wurden“ (S. 33). In ihrer Arbeit konzentriert sie sich auf die slawo-makedonische Bevölkerungsgruppe und legt den zeitlichen Schwerpunkt auf die Dreißigerjahre, die bisher weniger intensiv erforscht wurden als die Jahre davor. Die zentrale These ihrer Arbeit ist, dass Belgrad mit seinem Ziel, innerhalb der slawo-makedonischen Bevölkerung ein serbisches Nationalbewusstsein aufzubauen – in den Zwanzigerjahren in erster Linie mit Propagandamitteln und Repression, in den Dreißigerjahren auch durch bescheidene, aber oft nicht realisierte Investitionen –, scheiterte und die „serbische Diskriminierungspolitik“ (S. 365) zu einer wesentlichen Stärkung des slawo-makedonischen Zusammengehörigkeitsgefühls beitrug. Der erfolgreiche Ausbau der nationalen makedonischen Identität nach dem Zweiten Weltkrieg war, wie sie betont, nicht das Werk der Kommunistischen Partei und Titos; schon in der Zwischenkriegszeit hatte das makedonische Nationalbewusstsein breite Bevölkerungsgruppen erfasst.

Die Arbeit basiert auf einer breiten und beeindruckenden Quellengrundlage. In erster Linie wurden Bestände des jugoslawischen Staatsarchivs in Belgrad sowie des makedonischen Staatsarchivs und des Archivs des Instituts für Nationalgeschichte in Skopje ausgewertet, ergänzt durch Material aus Belgrader Archiven, das ebenfalls in Skopje in Kopie vorhanden ist. Daneben werden britische Bestände des Public Record Office und einige Dokumente aus dem Archiv der Außenpolitik der Russischen Föderation in Moskau ausgewertet, die eine Außenperspektive ermöglichen. Diese Außenperspektive ergänzt die Autorin durch publizierte Werke ausländischer Beobachter. Außerdem wertet sie die zeitgenössische Publizistik, Zeitungen und Zeitschriften aus der Zwischenkriegszeit aus. Von Bedeutung sind auch die Erinnerungen einiger Politiker, während gleichzeitig Selbstzeugnisse von einfachen Menschen kaum vorhanden sind. Einen Einblick in die Gedankenwelten dieser Menschen bieten einige Briefe und Bittschriften.

Zunächst geht Boškovska in ihrer Einleitung neben der Darlegung der Zielsetzung ihrer Arbeit, des Forschungsstandes und der Quellenlage auf den Begriff Makedonien und dessen Verwendung seit dem 15. Jahrhundert ein. Sie macht deutlich, dass sich Gelehrte aus der Region bereits im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mit Sprache und Kultur auseinandersetzten und von einem „makedonischen Volk“ sprachen. Wichtig ist es ihr zu zeigen, dass sich die Selbstbezeichnung „Makedonier“ bei den christlichen Slawen zur Zeit der Gründung des SHS-Staates 1918 bereits etabliert hatte, wobei damit möglicherweise „ein bereits explizites Nationalbewusstsein“ gemeint sein konnte, oder aber lediglich ein „regionales Zugehörigkeitsgefühl“ (S. 19), das aber mit einer eindeutigen Unterscheidung von anderen ethnischen Gruppen verbunden war. In ihrer Arbeit verwendet Boškovska deshalb für die slawische Bevölkerung den Begriff Makedonier.

Das Werk ist dann in sechs Hauptkapitel unterteilt, denen ein Kapitel mit Schlussbetrachtungen folgt. Die ersten beiden Hauptkapitel sind der politischen Geschichte gewidmet und behandeln die Zwanzigerjahre (S. 3891) und die Dreißigerjahre (S. 92164). Die folgenden Hauptkapitel sind thematisch gegliedert und untersuchen Wirtschaft und Finanzen (S. 165205), die Landwirtschaft (S. 206263), das Bildungswesen (S. 264312) sowie Verkehr und Kommunikation (S. 313366). Boškovska zeigt, dass der Staat kein „Konzept für die wirtschaftliche Entwicklung“ (S. 346) hatte; erst nach 1935 könne von einer „eigentlichen und umfassenden Wirtschaftspolitik“ (S. 347) gesprochen werden, deren Ziel es war, die ökonomische Lage in Makedonien zu verbessern. Dennoch konnten in der Landwirtschaft keine wesentlichen Verbesserungen erreicht werden; die Region exportierte weiterhin vorwiegend Rohstoffe, eine verarbeitende Industrie war praktisch nicht vorhanden. Investitionen in Verkehrs-Infrastruktur waren bescheiden und wirkten sich lediglich auf wenige städtische Zentren, vor allem Skopje, aus. Die Autorin konstatiert insgesamt eine „in ihrer milderen Form paternalistische und überhebliche, ansonsten aber kolonialistische Einstellung der Zentrale gegenüber Makedonien“ (S. 344). Die Bemühungen, über den Ausbau des Bildungswesens ein serbisches Nationalbewusstsein in der Bevölkerung zu verankern, misslangen. Aber auch das Angebot einer jugoslawischen Identität wurde nicht angenommen. Der „Hauptgrund für den Misserfolg, Vardar-Makedonien zu assimilieren“, liegt nach Meinung der Verfasserin darin, „dass die Politik nicht integrierend war, sondern bis zuletzt kolonialistische Züge trug und ausbeuterisch blieb. Es kam nicht zu einer Emanzipation und Partizipation der Einheimischen“ (S. 354). Sogar auf der lokalen Verwaltungsebene stammten die Beamten häufig aus anderen Landesteilen; bis 1939 kam kein einziger Minister aus Makedonien, und auch die Parlamentarier, die in Makedonien von den serbischen Parteien zur Wahl aufgestellt wurden, stammten oft nicht aus der Region. Die lokale Intelligenz sah in der Folgezeit in einer Autonomie Makedoniens einen möglichen Weg. Abschließend hält Boškovska fest, „dass es nicht möglich ist, einer Bevölkerung von außen ein nationales Bewusstsein zu oktroyieren, wenn dies auf rein ideologischem und repressivem Weg versucht wird“ (S. 365).

Boškovska überzeugt mit ihrer angenehm lesbaren und detaillierten Studie der Zwischenkriegszeit in Vardar-Makedonien. Aussagekräftige Zitate bereichern die Analyse und vermitteln dem Leser ein lebendiges Bild; mehrere zeitgenössische Fotografien bieten einen zusätzlichen Einblick in die damalige Zeit. Hervorzuheben ist außerdem der Anhang mit Karten und das umfangreiche Register, das nicht nur Personen- und Ortsnamen, sondern auch thematische Begriffe umfasst. Anzumerken wäre, dass Vardar-Makedonien durch die Fokussierung auf die slawo-makedonische Bevölkerung einen ethnisch und konfessionell allzu homogenen Eindruck erweckt, was nicht der Fall war. Albaner und Türken werden nicht ausführlich behandelt. Der Ansatz von Boškovska könnte hier sicherlich gewinnbringend angewendet werden und zu weiteren Untersuchungen anregen.

Eva Anne Frantz, Wien

Zitierweise: Eva Anne Frantz über: Nada Boškovska: Das jugoslawische Makedonien 1918–1941. Eine Randregion zwischen Repression und Integration. Wien, Köln, Weimar: Böhlau 2009, 392 Seiten, ISBN 978-3-205-78355-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Frantz_Boskovska_Makedonien.html (Datum des Seitenbesuchs)

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