Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

 

Ausgabe: 59 (2011) H. 1

Verfasst von:Detlef Brandes

 

Manfred Kittel, Horst Möller, Jiří Pešek [u.a.] (Hrsg.) Deutschsprachige Minderheiten in Europa 1945. Um ein Vorwort von Otfried Kotzian ergänzter Sonderdruck aus: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 54, 2006, 4, S. 541–581 und Bohemia 47, 2006/07, 1, S. 119–150. Intereg. Internationales Institut für Nationalitätenrecht und Regionalismus München 2007. 85 S. ISBN: 978-3-9806626-3-5.

Nach einer fünfjährigen Vorgeschichte regte das Deutsch-Tschechische Gesprächsforum im Jahre 2004 an, die damals umstrittenen tschechoslowakischen Dekrete, die in den Jahren 1945 bis 1947 zur Entrechtung, Enteignung und Zwangsaussiedlung der Deutschen und eines Teil der Magyaren aus der Tschechoslowakei geführt hatten, mit dem Vorgehen anderer vom nationalsozialistischen Deutschland besetzter Länder gegen Kollaborateure und die jeweiligen deutschen Minderheiten zu vergleichen. Die deutschen und tschechischen Herausgeber legten 2007 die Sammlung der länderspezifischen Untersuchungen in Form je eines deutsch- und tschechischsprachigen Bandes vor. Ich habe in einer Rezension in der Tschechischen Historischen Zeitschrift (ČČH 2008, S. 669–673) beide Ausgaben vergleichend rezensiert und feststellen müssen, dass beide Teams, vor allem aber die deutschen Herausgeber, zahlreiche Übersetzungsfehler übersehen haben. Offensichtlich wurden die Texte nicht von Fachleuten redigiert. Die deutschen Herausgeber ließen darüber hinaus zu, dass die im slowenischen Beitrag enthaltenen harten Aussagen über die deutschen Minderheiten in Jugoslawien im deutschen Text weichgespült wurden. Weitere Unterschiede in den beiden Texten wiesen auf Konflikte zwischen den Herausgebern hin. Deshalb konnten diese sich auch nur auf ein technisches Vorwort einigen. Dementsprechend haben sie ihre Einleitungen in Zeitschriften veröffentlicht (auf Deutsch in den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte“ 2006 bzw. in „Bohemia“ 2006/7). Diese wurden nun in der vorliegenden Broschüre einander gegenübergestellt.

Das Ergebnis des Vergleichs der Gesetze, Dekrete und Maßnahmen im östlichen und westlichen Europa ist nicht überraschend. Pešek und Tůma betonen die Gemeinsamkeiten, nämlich die Annahme einer deutschen Kollektivschuld, die Enteignung und Verfolgung deutscher Staatsbürger oder die Straffreiheit für Gewaltakte, die gegen deutsche und andere Kollaborateure in und kurz nach dem Krieg begangen wurden. Auch im Westen habe es Pläne für Annexionen und Vertreibungen gegeben, die jedoch von den USA angesichts des beginnenden Kalten Krieges verhindert wurden. Die Erfahrung mit der Haltung und Instrumentalisierung der großen deutschen Minderheiten durch Deutschland in den zwanziger, besonders aber den dreißiger Jahren sowie mit ihrer Beteiligung am brutalen Besatzungsregime habe die Exilregierungen und Widerstandsbewegungen zu dem Schluss geführt, dass diese Konfliktpotentiale für die Zukunft eliminiert werden müssten. Diese Position hätten auch die Briten und Amerikaner vertreten.

Kittel und Möller heben die Unterschiede zwischen dem westlichen und östlichen Europa hervor. Ein gefestigter Staat wie Frankreich habe auf die allmähliche Assimilierung seiner deutschsprachigen Bewohner gesetzt, Italien sogar die Rückkehr eines großen Teils der Südtiroler erlaubt. In Ostmitteleuropa habe sich dagegen die Idee des ethnisch homogenen Nationalstaats durchgesetzt. Sie weisen auf die Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts für die Deutschen auf der Pariser Friedenskonferenz und auf die Diskriminierung nationaler Minderheiten in Ostmitteleuropa hin. In den „wilden Vertreibungen“ vor der Potsdamer Konferenz sehen sie „den wichtigsten Beleg dafür, dass die politische Verantwortung für die Zwangsaussiedlung zu einem erheblichen Teil bei den führenden Exil- und Nachkriegspolitikern der ostmitteleuropäischen Staaten lag“ (S. 23). Sie behaupten, dass die Westmächte mehrfach für eine selektive und nicht die totale Zwangsaussiedlung der Deutschen plädiert hätten.

Detlef Brandes, Berlin

Zitierweise: Detlef Brandes über: Manfred Kittel, Horst Möller, Jiří Pešek [u.a.] (Hrsg.) Deutschsprachige Minderheiten in Europa 1945. Um ein Vorwort von Otfried Kotzian ergänzter Sonderdruck aus Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 54, 2006, 4, S. 541–581 und Bohemia 47, 2006/07, 1, S. 119–150. Intereg. Internationales Institut für Nationalitätenrecht und Regionalismus München 2007. ISBN: 978-3-9806626-3-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Brandes_Kittel_Deutschsprachige_Minderheiten.html (Datum des Seitenbesuchs)

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