Jahrbücher für Geschichte Osteuropas

Herausgegeben im Auftrag des Osteuropa-Instituts Regensburg
von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Band 58 (2010) H. 4, S.  594–595

Kimitaka Matsuzato (ed.) Imperiology. From Empirical Knowledge to Discussing the Russian Empire. Slavic Research Center, Hokkaido University Sapporo 2007. 273 S. = 21st Century COE Program; Slavic Eurasian Studies, 13. ISBN: 978-4-938637-41-5.

Der Band beinhaltet dreizehn Artikel, die das 19. Jahrhundert abdecken und in vier Blöcke geteilt sind: 1. „A Mega-System of Empires“, 2. „Contact Zones and Ethnoconfessional Polit­ics“, 3. „Thorny Paths from Empire to Nations“ sowie 4. Distant but Central: The Far East Fringes of the Russian Empire. In seiner Einleitung postuliert Matsuzato, die jüngere Imperialgeschichtsschreibung Russlands sei ein theoretisch schwach ausgerüstetes Schiff in einem schweren empirischen Sturm. Vor diesem Hintergrund setzt er seinen Beiträgern das Ziel, „to summarize the accumulated empirical studies and to abstract widely applicable theories from these studies“ – um jedoch einzuschränken, es gelte eine „Imperiologie“ übertitelte Forschungs­agenda zu benennen (S. 6). Die Beiträger setzen diese Imperative unterschiedlich um. Mit großem Gewinn lesen sich vor allem die Texte A. Millers, P. Werths, M. Dolbilovs und E. Ka­minagas. Miller beschreibt die Kontinental­imperien der Romanovs, Habsburger, Hohenzollern und Osmanen als interdependente Reiche eines imperialen Systems. Vergleichende Perspektiven eröffnet er sowohl auf Kontinental- als auch Seereiche. Einleuchtend ist auch Millers Plädoyer, über den Imperienvergleich hinaus nach verflochtenen Geschichten der Reiche zu fragen. Werth liefert eine instruktive Übersicht über die religiösen Dimensionen imperialer Geschichte. Er bilanziert den Forschungsstand auf den vier Feldern von Gemeinde­organisation und religiöser Transformation, Konfession und Nation, Religion und imperialen Grenzen sowie unifizierendem Zentrum und Peripherien. Dolbilov zeichnet eine sensible Skizze der Russifizierung in den westlichen Regionen nach 1863, die am nachhaltigsten die kognitiven Karten der imperialen Bürokraten erfasste. Kaminagas Beitrag über die Pazifikfischerei im russisch-japanischen Spannungsfeld überzeugt mit dem Blick auf die Interaktion staatlicher und ökonomischer Akteure auf beiden Seiten der imperialen Grenze. Imperiale Herrschaft zeigt sich dabei als grenzüberschreitender Vorgang von „trial and error“ (S. 261) – eine Erkenntnis, mit der Kaminaga zum Schluss des Bandes den Bogen plausibel zu Millers Eröffnungsplädoyer für verflochtene Empire-Geschichten zurück schlägt.

Bei anderen Beiträgen wiederum sind Imperiumstypologien zumindest punktuell eher eine Hilfe bei der Lektüre als ein Erkenntnisgewinn des jeweiligen Artikels. L. Gorizon­tov stellt einen Reformentwurf der Gouvernementseinteilung aus den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts vor, dem Finanzminister Kankrin mit dem Hinweis widersprach, jedes Gouvernement sei ein Raum für sich ohne Verbindungen zu den übrigen. Diesem Einwand liegt just jene Logik imperialer Raumorganisation zugrunde, die Mo­tyl in die Metapher der Nabe mit Speichen ohne Rad gekleidet hat: Die Regionen eines Reiches sind allein mit dem Zentrum, aber nicht untereinander verbunden. Die Herausforderung imperialer Herrschaft, höchst unterschiedliche Ringe, Außenwelten und Grenzen eines Reiches zu verwalten, kommt wiederum bei der Lektüre von A. Grinevs Beitrag über den Verkauf Alaskas in den Sinn. Abwägungsprozesse, die den Erhalt Alaskas mit der Festigung der Position im Kaukasus und der Expansion nach Zentral­asien abglichen, werden jedoch allein gestreift. Die Beiträge verdichten sich somit nicht zu einer Abstraktion des Phänomens Imperium. Eine fest umrissene Imperiologie steht denn auch weniger auf der Tagesordnung als eine Imperialgeschichte, die sich pluralistisch in der Wahl ihrer Themen und Methoden zeigt und inter­im­pe­riale Perspektiven aufwirft. Insgesamt bringt der Band die Russlandhistoriographie diesem Ziel ein Stück näher.

Martin Aust, München/Regensburg

Zitierweise: Martin Aust über: Kimitaka Matsuzato (ed.) Imperiology. From Empirical Knowledge to Discussing the Russian Empire. Slavic Research Center, Hokkaido University Sapporo 2007. = 21st Century COE Program; Slavic Eurasian Studies, 13. ISBN: 978-4-938637-41-5, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 4, S. 594–595: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Aust_Matsuzato_Imperiology.html (Datum des Seitenbesuchs)