Wolfram Dornik, Michael Hess, Harald Knoll Burgenländische Kriegsgefangene und Zivilverurteilte in der Sowjetunion 1941–1956. Amt der Burgenländischen Landesregierung, Abteilung 7 Eisenstadt; Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung Graz 2007. 216 S., Tab., Graphiken, Abb. =Burgen­ländi­sche Forschungen, 95; Veröffentlichungen des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung Graz-Wien-Klagenfurt, 3d.

Die intensiven Forschungen zur Geschichte der Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs der letzten Jahre haben u.a. transnationale Bedeutung sowie historische Nachhaltigkeit des Gesamtkomplexes herausgearbeitet: Die Gefangenschaft von Millionen war ja nicht nur außenpolitisches Instrument oder Mittel zu Wiederaufbau und innenpolitischer Stabilisierung, sondern sie trug auch entweder zur Verfestigung oder zur Modifizierung von Fremd-, Feind- und Selbstbildern ganzer Kriegs- und Nachkriegsgesellschaften bei. So wirft beispielsweise der mittel- wie langfristige Umgang der Sowjetunion (und ihrer postsowjetischen Erben) auf der einen und der Nachfolgestaaten des Dritten Reichs auf der anderen Seite mit den Opfern der nationalsozialistischen Gefangenenpolitik ein grelles Licht auf erinnerungspolitische Dimensionen der Kriegsgefangenschaft in Ost und West. Vor diesem allgemeinen Hintergrund erweist sich die frühere Gewahrsamsmacht UdSSR – auch das hat die Forschung gezeigt – als ein besonders aussagekräftiges Beispiel für die Verknüpfungen unterschiedlicher Bedeutungsebenen und Motivationen in der Kriegsgefangenenpolitik. Diese war – dies wird durch die hier angezeigte Publikation erneut bestätigt – zunächst einmal durch pragmatische Interessen des Wiederaufbaus geprägt. Im Stalinismus wurde diese Zielsetzung aber durch ideologisch überhöhte Sicherungserwägungen verzerrt und schließlich überlagert: Dass Stalins Kreml’ nicht nur die Arbeitskraft von Gefangenen schätzte, sondern zugleich ihre „anti-sowjetische Gesinnung“ sowie ihre militärische Verwendbarkeit in neuen, westlich orientierten Verbänden fürchtete, war bekanntlich ein Grund für zahlreiche Verurteilungen von Kriegsgefangenen. Die Verzahnung von Ideologie, Außen- und Innenpolitik charakterisierte schließlich – mit flexibler Gewichtung – auch die sowjetische Besatzungsherrschaft ab 1944/45. So macht es schon aus dieser Perspektive heraus Sinn, den sowjetischen Umgang mit Kriegsgefangenen und mit deportierten verurteil­ten Zivilisten aus der sowjetischen Besatzungs­zone im österreichischen Burgenland gemeinsam in den Blick zu nehmen.

In der vorliegenden Studie steht allerdings der regionalgeschichtliche Blickwinkel im Vordergrund, dem es vor allem um die Aufarbeitung des bei allen relevanten Unterschieden gemeinsamen Schicksals im sowjetischen Gewahrsam geht. Damit schließt die Monographie an Fallstudien zu anderen österreichischen Bundesländern (Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich) an, die in den Vorjahren im Ludwig Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung erarbeitet wurden. Der Aufbau des vorliegenden Bandes steht ebenfalls in deren Tradition. Der knappen Vorstellung der aktuellen Forschungslandschaft folgt eine ausführliche Darstellung der allgemeinen sowjetischen Politik gegenüber kriegsgefangenen Wehrmachtsoldaten sowie ein Abriss über sowjetische Repressionen im sowjetisch besetzten Teil Österreichs.

Den Löwenanteil des Bandes macht die Beschreibung der Kriegsgefangenschaft von 5270 burgenländischen Soldaten in der UdSSR aus; immerhin war nahezu jeder siebte Soldat aus dem Burgenland in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten (bei rund 125.000 österreichischen Kriegsgefangenen in der UdSSR insgesamt) (S. 43f.).

Dagegen nimmt die Vorstellung des Schicksals von 89 zivilen Verhafteten vergleichsweise wenig Platz ein. Von den Verhafteten wurden 75 Personen durch sowjetische Gerichtsinstanzen verurteilt, acht von ihnen zum Tode. In fünf Fällen wurden den Verurteilten Kriegsverbrechen vorgeworfen, in 15 Verfahren standen – vermeintliche – Spione vor sowjetischen Gerichten. Die Mehrheit der Verfahren fußte allerdings auf dem Artikel 58-8 des sowjetischen Strafgesetzbuches. Dieser verfolgte „terroristische“ Handlungen gegen die Besatzungsmacht, faktisch, so die Autoren, „meist Raufereien“ (S. 152). Dieser hohe Anteil von Gewaltverbrechen stellt im österreichischen Gesamtmaßstab eine Besonderheit dar: Ansonsten wurde, wie in der SBZ/DDR auch, das Gros der Besatzungsverfahren auf der Basis des Artikels 58-6 StGB, „Spionage“, geführt.

Der regionalgeschichtliche Wert der Studie soll hier nicht weiter diskutiert werden: Das ausgebreitete statistische Material wird vor allem für regionale Vergleichs- oder Tiefenstudien von Belang sein können. In der Gesamtschau bestätigen die facettenreichen Ausführungen der Fallstudie wesentliche Erkenntnisse der Forschung zu Kernpunkten sowjetischer Politik gegenüber kriegsgefangenen Wehrmachtsoldaten sowie zur sowjetischen Repressionsmaschinerie in besetzten Gebieten. Der regionale resp. individuelle Zugang ermöglicht aber eine weitere Auffächerung des Massenschicksals „Gefangenschaft“. Er legt Details frei, die ihrerseits allgemeine Interpretationen ausdifferenzieren und zu neuen Fragestellungen bzw. Forschungsanstrengungen anregen: Überraschende Freisprüche sowjetischer Militärgerichte oder die außerordentlichen Erfahrungen eines Gefangenen, der erst 2002 nach Österreich zurückkehrte, sind nur zwei Beispiele für das erweiterte Forschungsspektrum. Zudem greift der Band endlich wieder das lange vernachlässigte Schicksal von Frauen auch in sowjetischer Kriegsgefangenschaft auf (S. 171–176). Schließlich eröffnen Grenzregionen wie das Burgenland am Beispiel der Repatriierungspolitik neue Ausblicke auf die bevölkerungspolitischen Verwerfungen von Krieg und Nachkriegszeit (S. 176–180). Derlei Weiterungen bzw. Vertiefungen unterstreichen die Bedeutung regionalgeschichtlicher Untersuchungen zum internationalen Problem der Kriegsgefangenschaft des Zweiten Weltkriegs.

Andreas Hilger, Hamburg

Zitierweise: Andreas Hilger über: Wolfram Dornik, Michael Hess, Harald Knoll Burgenländische Kriegsgefangene und Zivilverurteilte in der Sowjetunion 1941–1956. Amt der Burgenländischen Landesregierung, Abteilung 7 Eisenstadt; Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgen-Forschung Graz 2007. 216. ISBN: 978-3-901517-58-7, in: http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Andreas-Hilger-Dornik-Hess-Knoll-Burgenlaendische-Kriegsgefangene.html (Datum des Seitenbesuchs)