Nachruf Fairy v. Lilienfeld

Am 12. November 2009 ist in Höchstadt/Aisch (Franken) im Alter von 92 Jahren Fairy v. Lilienfeld verstorben. Von 1966 bis 1984 hatte sie den „Lehrstuhl für Geschichte und Theologie des Christlichen Ostens“ an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität zu Erlangen-Nürnberg inne. Vertreter der internationalen Ostkirchenforschung, der Patristik, der Byzantinistik, der Slawistik und der Orientalistik trauern um eine hochgeachtete und beliebte Kollegin.

Doch sie war nicht nur Theologin und Ostkirchenkundlerin, sondern sie hat sich zugleich unschätzbare Verdienste um den ökumenischen Dialog zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) erworben (z.B. im Rahmen der sog. „Arnoldshainer Gespräche“ – dem theologischen Dialog zwischen ROK und EKD). Das kirchliche Engagement war ihr genauso wichtig wie das wissenschaftliche. So spiegelt sich das Wirken Fairy v. Lilienfelds einerseits in einem wissenschaftlichen Opus, das wenige Monographien aufweist1, andererseits aber in einer Vielzahl ökumenischer Anstöße, in der Mitarbeit in ökumenischen Kommissionen, in der Leitung und Dokumentation ökumenischer Symposien und Konferenzen.

Geboren wurde Fairy v. Lilienfeld als Baronesse Fairy v. Rosenberg im damals noch zum Russischen Reich gehörigen livländischen Riga am 4. Oktober 1917, kurz vor der sog. Oktoberrevolution. Sie war ein Spross deutsch-baltischen Uradels, der sich auf die Anfänge der Christianisierung baltischer Stämme (1186) zurückführt: Sie legte stets Wert darauf, dass das Adelsprädikat „von“ in ihrem Namen als „v.“ geschrieben werde (im Unterschied zum russischen Dienstadel unter den deutschen Balten, der das „von“ ausschrieb2). 1919 floh ihre Familie nach Stettin zu Verwandten, wo die Baronesse, zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Harry (gefallen 1942), aufwuchs und 1936 das Abitur ablegte. Danach perfektionierte sie die Sprachenvielfalt, mit der sie aufgewachsen war (Deutsch, Russisch, Französisch, Englisch), an einer Dolmetscherschule. Im Krieg diente sie als Lazaretthelferin des Roten Kreuzes, u.a. in Paris. 1942 heiratete sie einen baltischen Landsmann, den U-Boot-Kommandanten Erik v. Lilienfeld, der am 15. Oktober 1942 ums Leben kam. Als 1943 die gemeinsame Tochter Erika geboren wurde, war Fairy v. Lilienfeld bereits Witwe.

Nach Kriegsende nahm sie in der „Sowjetisch besetzten Zone“ (SBZ), der späteren DDR, 1947 (elf Jahre nach ihrem Abitur) in Jena das Studium der Slawistik, Germanistik und Philosophie auf; dort war sie Schülerin des bekannten Slawisten Reinhold Trautmann. Der Tod ihre Tochter 1949 warf sie fast aus der Bahn: „Ich hatte mich auf die Wissenschaft geworfen, um mich abzulenken, um etwas zu machen, was mich sehr beschäftigt, weil ich sonst trübsinnig geworden wäre. Ich hatte den Mann verloren, die Tochter verloren – wozu lebte ich eigentlich noch?“ Nach ihrem Staatsexamen, 1951, wurde Frau v. Lilienfeld beauftragt, für den erkrankten Professor Trautmann die Lehrveranstaltungen zur altrussischen Literatur und Kurse für Altrussisch und Altkirchenslawisch zu übernehmen. Doch wurde ihr der Lehrauftrag 1955 entzogen, da sie sich nicht dazu bewegen ließ, ihre engagierte Mitarbeit in der evangelischen  Studentengemeinde einzustellen. Damit war ihre philologische Laufbahn in der DDR beendet.

Die staatliche Entscheidung dürfte auch damit zusammengehangen haben, dass Fairy v. Li­lienfeld 1953 ein Theologiestudium am „Katechetischen Oberseminar“ in Naum­burg/ Saa­le aufgenommen hatte. Mit Russischkursen am Oberseminar hielt sie sich finanziell über Wasser. 1957 legte sie ihr Erstes Theologisches Examen ab und wurde am Katechetischen Oberseminar sofort als Dozentin für Ostkirchenkunde und Kirchengeschichte eingesetzt. 1961 legte sie ihre berühmt gewordene theologische Doktorarbeit vor. Im folgenden Jahr absolvierte sie das Zweite Theologische Examen, wurde in Magdeburg zur Pfarrerin der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen ordiniert. Sie wirkte aber am Oberseminar in Naumburg weiter als Dozentin – bis zu ihrer Berufung nach Erlangen (1966).

Ihre Dissertation „Nil Sorskij und seine Schriften. Die Krise der Tradition im Rußland Ivans III.“, gedruckt 1963 in Ost-Berlin, war von dem Hallenser Ordinarius für Orthodoxie und Christliche Kunst Konrad Onasch betreut worden und ist zum Standardwerk über das russische Mönchtum und seine Frömmigkeit geworden. Die Arbeit eröffnet wichtige Einblicke in theologische Kategorien und theologisches Denken in Russland um 1500. Darüber hinaus stellt sie ein Lehrstück dar für die fruchtbare Verbindung einerseits von strenger philologischer Schulung am Russischen und Altkirchenslawischen und andererseits von fundierter theologischer Bildung mit speziell patristischen Akzenten.

Diese Dissertation war nur einer der Gründe für die Berufung Frau v. Lilienfelds aus der DDR an die Theologische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Nürnberg-Erlangen. Von erheblicher Bedeutung waren auch ihr (ost-)kirchliches Engagement und ihre ökumenischen Aktivitäten, durch die sie im ‚Westen‘ längst bekanntgeworden war. Schon während ihres Studiums in Naumburg war sie von der EKD (West) gefördert worden, so gut das im Kalten Krieg möglich war. Ihre Berufung nach Erlangen ist mit den DDR-Institutionen sicher auf EKD-Ebene ausgehandelt worden. Ihre Antrittsvorlesung am 28. November 1966 stand unter dem programmatischen Thema: „Probleme und Aufgaben einer evangelischen Disziplin der Theologie des christlichen Ostens“.

In Erlangen hatte es an der Evangelischen Fakultät seit 1952 einen „Lehrstuhl für Praktische Theologie und Ostkirchenkunde“ gegeben, wobei die Praktische Theologie im Vordergrund stand. Die Berufung Fairy v. Lilienfelds im Jahre 1966 war mit der Gründung eines eigenen „Lehrstuhls für Geschichte und Theologie des Christlichen Ostens“ verbunden, der förmlich auf sie als Ostkirchenkundlerin zugeschnitten war. Die Erlanger Theologische Fakultät verfügt über einen Teil der Dublettensammlung der Synodalbibliothek der ROK, der in den 1920er Jahren von den Sowjetbehörden konfisziert und gegen Devisen in den Westen verkauft worden war (6000 Bände), sowie über eine Mikrofiche-Sammlung von 110 historischen und theologischen Zeitschriften aus dem Russland vor 1917 (1300 Kassetten). – Bis 1985 hat Fairy v. Lilienfeld diesem Lehrstuhl vorgestanden und ihm in der weltweiten – namentlich ostkirchlichen – Ökumene Geltung verschafft.

Das Hauptarbeitsgebiet Fairy v. Lilienfelds im Rahmen des Lehrstuhls bildeten Theologie und Geschichte der Russischen Orthodoxen Kirche von den Anfängen bis zur (sowjetischen) Gegenwart, die altkirchenslawische und die altrussische Literatur sowie Kirchen- und Säkulargeschichte. Darüber hinaus beschäftigte sie sich gern mit der Alten Kirche, der Patristik, der Frage der „Weisheit Gottes“ – der „Sophia“ , mit dem Mönchtum als verbindlicher Form christlichen Lebens sowie mit Leben, Gebet und Liturgie des ostkirchlichen Mönchtums, auch mit religionsphilosophischen, byzantinistischen und nicht zuletzt mit alt-orientalischen Fragestellungen. In ihren Forschungen führte Fairy v. Lilienfeld Geschichte und Theologie des christlichen Ostens mit der Patristik zusammen. – In den siebziger und achtziger Jahren erschloss sie sich noch ein neues Arbeitsfeld: Geschichte und Theologie der „Armenischen Apostolischen Orthodoxen Kirche“ (altorientalisch) und der „Georgischen Orthodoxen Kirche“. Eigene Sprachstudien haben ihr den direkten Zugang zum Leben dieser Kirchen eröffnet.

Fairy v. Lilienfeld begründete die an ihrem Lehrstuhl herausgegebene Reihe „OIKONOMIA. Quellen und Studien zur orthodoxen Theologie“, in der bis 1990 etwa 30 Bände erschienen sind, die die gesamte Bandbreite ihrer Interessen spiegeln. Aus ihrer Schule ist eine Reihe akademischer Lehrer hervorgegangen – Karl Christian Felmy (Erlangen), Erich Bryner (Zürich), Martin George (Bern) und Ruth Albrecht (Hamburg)

Viele Jahre war Fairy v. Lilienfeld der Motor des theologischen Dialogs zwischen dem Moskauer Patriarchat und der Evangelischen Kirche in Deutschland/EKD. In zahlreichen ökumenischen Kommissionen war ihr Rat gesucht. Sie – eine Frau! –  wurde von den russisch-orthodoxen Geistlichen als überaus kompetente Partnerin hoch geschätzt. Ihre profunde Kenntnis und ihr tiefes Verständnis der orthodoxen Theologie, namentlich der Kirchenväter und der Liturgie, haben in kommunistischer Zeit immer wieder Verständnisbrücken geschlagen. Auch nach ihrer Emeritierung3 war die ökumenische Vermittlerrolle Fairy v. Lilienfelds immer wieder gefragt – insbesondere, als die Russische Orthodoxe Kirche 1988 das Millennium der Taufe der Ostslawen feierte. An ihrem wahrscheinlich letzten öffentlichen Auftritt (am 31. Januar 2008 in Erlangen anlässlich des akademischen Festaktes zu ihrem 90. Geburtstag) bekannte sie noch einmal unmissverständlich, dass sie die Zukunft der Kirche allein in der Ökumene sehe.

Im Quellenwerk „Die Orthodoxe Kirche in Russland. Dokumente ihrer Geschichte 860–1980“4 hat Fairy v. Lilienfeld mit Erich Bryner die Jahre 1240 bis 1589 (S. 135-288) bearbeitet. Als Mitherausgeber dieser Dokumentensammlung konnte ich dabei ihre menschliche Seite erleben, die ihre Mitarbeiter stets gerühmt haben: ihre Liebenswürdigkeit, ihre grenzenlose Hilfsbereitschaft, ihre geradezu mütterliche Besorgtheit.

Spiegel der Wertschätzung, die Fairy v. Lilienfeld von allen Seiten entgegengebracht wurde, bilden hohe Ehrungen (z.B. Ehrendoktorat der Universität Helsinki, Ehrenmitgliedschaft der Geistlichen Akademie Moskau, Bundesverdienstkreuz Erster Klasse) – und vor allem zwei Festschriften, die ihr aus Anlass ihres 65. Geburtstages 1982 gewidmet worden sind – sowohl von theologischer5 als auch von philologischer Seite6, sowie eine weitere Festschrift zu ihrem 80. Geburtstag.7

Gerd Stricker, Zürich

Zitierweise: Gerd Stricker: Nachruf Fairy v. Lilienfeld, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, 58 (2010) H. 1, S. 149-152: http://www.oei-dokumente.de/JGO/Chronik/Stricker_Nachruf_Lilienfeldt.html (Datum des Seitenbesuchs)

1Martin George / Gerd Stricker Schriftenverzeichnis Fairy v. Lilienfeld, in: Peter Hauptmann (Hg.) Unser ganzes Leben Christus unserm Gott überantworten. Studien zur ostkirchlichen Spiritualität. Fairy v. Lilienfeld zum 65. Geburtstag. Göttingen 1982, S. 1625.

2Zum russischen deutsch-baltischen Dienstadel gehörten z.B. auch die Vorfahren des am 5. Dezember 2008 verstorbenen Patriarchen Aleksij II. (*1929), der als Graf Alexander von Rüdiger in Reval/Tallinn geboren worden war.

3Das Thema ihrer Abschiedsvorlesung am 26. Februar 1985 lautete: „Das Problem einer ökumenischen Kirchengeschichtsschreibung und das Gedächtnis der Kirche“.  

4Herausgegeben von Peter Hauptmann und Gerd Stricker; Göttingen 1988.

5Hauptmann (Hg.) Unser ganzes Leben.

6Adelheid Rexhäuser / K.-H. Ruffmann (Hgg.) Festschrift für Fairy v. Lilienfeld. Zum 65. Geburtstag. Erlangen 1982.

7Fairy v. Lilienfeld Sophia – Die Weisheit Gottes. Gesammelte Aufsätze 1983–1995, hsg. von  Karl Christian Felmy, Heinz Ohme, Karin Wildt . Erlangen 1997. = OIKONOMIA Bd. 36.