Jahrbücher für Geschichte Osteuropas
Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien Regensburg
herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz
Chronikbeitrag aus: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 62 (2014), 3 S. 480
Verfasst von: Michael Schippan
Isabel de Madariaga zum Gedenken (1919–2014)
Am 16. Juni 2014 verstarb Isabel de Madariaga im Alter von 94 Jahren im Kreis ihrer Familie. Sie hatte sich durch ihre jahrzehntelangen Forschungen den Ruf als beste Kennerin der Ära Katharinas der Großen von Russland erworben. Geboren am 27. August 1919 in Glasgow als Tochter des Diplomaten und Bildungsministers der Spanischen Republik Don Salvador de Madariaga (1886–1978) und der aus Schottland stammenden Wirtschaftshistorikerin Constance Archibald, musste sie mit ihrer Familie 1936 vor den Franquisten nach Oxford emigrieren. Sie besuchte Bildungseinrichtungen in Großbritannien, in Frankreich sowie in der Schweiz und begann 1937 russische Sprache und Literatur zu studieren. Nach dem Krieg war Isabel de Madariaga bei der British Broadcasting Corporation und in verschiedenen Londoner Regierungseinrichtungen tätig. Darauf folgte ihre Lehrtätigkeit an den Universitäten von Sussex und Lancaster. Zwischen 1951 und 1964 war sie wissenschaftliche Sekretärin in der Redaktion der Zeitschrift „Slavonic and East European Review“. Auf der Auswertung der diplomatischen Dokumente des britischen Gesandten in Russland, Sir James Harris, 1. Earl of Malmesbury, beruhte die erste Monographie Isabel de Madariagas zur Regierungszeit Katharinas II.: „Britain, Russia and the Armed Neutrality of 1780“ (London 1962). Als Ergebnis ihrer seit 1965 ausgeübten Redakteurstätigkeit bei der Vierteljahrszeitschrift „Government and Opposition“ und ihrer Lehrtätigkeit legte sie mit Ghiţa Ionescu eine Monographie über „Opposition, Past and Present of a Political Institution“ (1968, deutsch 1971) vor. An der „School of Slavonic and East European Studies“ in London forschte und lehrte Isabel de Madariaga, seit 1982 als Professorin für russische Geschichte, bis sie 1984 in den Ruhestand trat. Sie gehörte 1968 zu den Begründern der internationalen „Study Group on Eighteenth Century Russia“ und stand deren Mitgliedern auf Konferenzen und Werkstattgesprächen immer hilfreich mit ihrem Rat zur Seite. In ihrem seither das Bild der Zarin in der Forschung prägenden Werk „Russia in the Age of Catherine the Great“ (1981), das ins Italienische und Französische übersetzt wurde, schilderte Isabel de Madariaga das reformerische Wirken der Kaiserin auf politischem und sozialem Gebiet. In ihrer kurzen Biographie Katharinas (1990), die seit 1993 auch mehrfach in deutscher Übersetzung erschien, dominieren nicht mehr wie in älteren Lebensbeschreibungen Hofskandale, Ausschweifungen und pikante Histörchen, sondern die Kaiserin, die die Lehren der europäischen Aufklärung verinnerlicht hatte, erscheint als eine gebildete, umsichtige und zielbewusste Politikerin, die die Machtstellung des Zarenreiches festigen und etliches für den zivilisatorischen Fortschritt in Russland bewirken konnte. In dem Band „Politics and Culture in Eighteenth-Century Russia“ (1998) sind 13 Studien Isabel de Madariagas über die russische Gesellschaft zur Zeit Zar Peters I., über Katharina II. und ihr Verhältnis zu europäischen Aufklärern (Montesquieu, Diderot) zusammengefasst, die sich vor allem durch eine kritische Reflexion der verwendeten Begriffe auszeichnen. Als ihr letztes großes Werk gab Isabel de Madariaga 2005 im Alter von mehr als 85 Jahren eine Biographie Zar Ivans IV. als bisher neueste und gewichtigste der außerhalb Russlands erschienenen Lebensdarstellungen dieses Autokraten heraus. Mit Isabel de Madariaga konnte man sich hervorragend auch in deutscher Sprache unterhalten, die sie während ihrer Jugendzeit in der Schweiz erlernt hatte. Sie bleibt der Nachwelt als „Grande Dame“ der Forschungen zur russischen Geschichte in der Neuzeit in Erinnerung.
Michael Schippan, Berlin
Zitierweise: Michael Schippan: Isabel de Madariaga zum Gedenken (1919–2014) in: Jahrbücher für Geschichte Osteuroas 62 (2014), 3, S. 480, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Chronik/Schippan_Nachruf_deMadariaga.html (Datum des Seitenbesuchs)
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