Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  4 (2014), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Christophe von Werdt

 

Eduard Mühle: Die Piasten. Polen im Mittelalter. München: Beck, 2011. 128 S., 7 Abb., 2 Ktn., 2 Graph. = Becksche Reihe Wissen, 2709. ISBN: 978-3-406-61137-7.

Die Historiographie verschiedener Zeiten hat vor dem Hintergrund ihrer je eigenen aktuellen Legitimations- und Sinngebungsbedürfnisse die mittelalterliche Geschichte Polens und der Piastendynastie unterschiedlich ausgelegt. So zuletzt seit dem Jahre 1989 als Integrationsprozess in die europäische Geschichte. Mit dieser Feststellung leitet Eduard Mühle sein schmales, inhaltlich aber einen gewichtigen und griffigen Überblick bietendes Bändchen ein. Er macht damit zugleich deutlich, dass besonders bei der Beschäftigung mit mittelalterlicher, an schriftlichen Quellen armer polnischer Geschichte etwelcher Deutungsspielraum bleibt.

Ungeklärt ist so letztlich weiterhin, wie und weshalb dem gentilen Personenverband um den Fürsten Mieszko und um seine Vorgänger unter anderen westslawischen Stämmen der machtpolitische Aufstieg gelungen ist. Umso mehr besticht, wie zielgerichtet sich die Piastenfürsten vor dem Jahre 1000 innert weniger Jahrzehnte als führendes Fürstenhaus etablierten: Durch die Annahme des Christentums, die nicht nur einen Prestigegewinn bedeutete, sondern auch eine Befestigung der Herrschaft sowohl gegen innen wie nach außen; durch die Überführung und Vereinnahmung eines Märtyrerheiligen und die Unterstellung der Herrschaft unter die Hoheit des Papstes, was die Legitimität stärkte; und schließlich mit der Aufnahme unter die königgleichen Herrscher durch den Kaiser.

Generell zeichnet sich Mühles Einführung positiv dadurch aus, dass sie den sozialen, wirtschaftlichen und organisatorischen Grundlagen piastischer Herrschaft im Mittelalter großzügig Raum widmet. Er schafft damit die Voraussetzungen, um spätere Phänomene der polnischen Geschichte zu verstehen, etwa den Aufstieg der Amtsträger und Großen im Umfeld der Fürsten zum einflussreichen Adel und die Territorialität der Herrschaftsorganisation.

Indem er sich von den Perspektiven national-polnischer Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts löst, beschreibt Mühle die zunehmende Zersplitterung des regnum Poloniae in bis zu 20 Teilfürstentümer seit der Mitte des 12. Jahrhunderts nicht einfach als negativ. Führte diese doch zu einer Verdichtung der Herrschaftsbeziehungen in den einzelnen Landschaften. Zugleich nutzten die Kirche, die teilfürstlichen Amtleute und die Großen die zeitweilige Schwäche der Teilfürsten für den eigenen Machtzugewinn und den Ausbau ihrer Autonomie. Die Teilfürsten wiederum reagierten auf ihre schwindende materielle Basis einerseits durch eine abwertende Münzpolitik, anderseits seit dem frühen 13. Jahrhundertausgehend von Schlesienmit einer Politik des gezielten Landesausbaus. Diese anfangs von westlichen Kolonisten getragene deutsch­rechtliche Modernisierung von Land und Städten prägte das polnische Königreich auf lange Sicht.

Das im 14. Jahrhundert neu begründete polnische Königreichterritorial vermindert um Schlesien und die Ordenslande, aber nach Südosten in den orthodoxen Kulturraum folgenreich erweitert um Rotreußenwar letztlich zu guten Teilen auch ein Produkt zufälliger Fügung, wie Mühle darlegt. Es war nach der teilfürstlichen Zersplitterung kein zwingendes historisches Ergebnis, auch wenn vor allem in der Organisation der Kirchenprovinzen strukturelle Erinnerung an das piastische Königreich des 11. und 12. Jahrhunderts fortlebte. Die Ausführungen machen deutlich, dass das neue, nach Osten vorgeschobene polnische Königreich vor allem der geschickten Innen- und Außenpolitik des letzten Piasten Kasimirdem einzigen polnischen König mit dem unbestrittenen Beinamender Große“ – geschuldet war. Dessen Leistungen hat auch die neuere polnische Mittelalterforschung nicht relativiert. Das machtpolitische Vakuum, das sich durch das Erlöschen der Piastendynastie mit dem Tode Kasimirs des Großen ( 1370) ergab, wusste der Adel für seine Zwecke zu nutzen, womit das polnische Königreich sich zu einer europäisch weitgehend einzigartigen Adelsgesellschaft zu wandeln begann.

Christophe von Werdt, Bern

Zitierweise: Christophe von Werdt über: Eduard Mühle: Die Piasten. Polen im Mittelalter. München: Beck, 2011. 128 S., 7 Abb., 2 Ktn., 2 Graph. = Beck’sche Reihe Wissen, 2709. ISBN: 978-3-406-61137-7, http://www.oei-dokumente.de/JGO/erev/von_Werdt_Muehle_Die_Piasten.html (Datum des Seitenbesuchs)

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