Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 6 (2016), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Christophe von Werdt

 

Die Chronik der Polen des Magisters Vincentius – Magistri Vincentii Chronica Polonorum. Übersetzt, eingeleitet und herausgegeben von Eduard Mühle – Edidit, interpretabatur et praefatione notisque instruxit Eduard Mühle. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014. 424 S. = Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, 48. ISBN: 978-3-534-24775-2.

Um „eine der wichtigsten polnischen Quellen des Hochmittelalters“ (S. 9) handle es sich bei der zu rezensierenden Chronik, wie die Reihenherausgeber schreiben. Der Magister, Probst und Bischof Vincentius (poln. Wincenty Kadłubek, geb. um 1150, gest. 1223) verfasste sein Werk im ausgehenden 12. beziehungsweise in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts. Vermutlich erstellte er die Endredaktion, nachdem er sich von seinem Krakauer Bischofsamt ins Kloster zurückgezogen hatte. Eine genauere Datierung bleibt letztlich umstritten. Die Chronica Polonorum teilt sich in vier Bücher, die die Geschichte der polnischen Fürstentümer bis in die Antike zurückverfolgen und bis zum Jahre 1202 fortschreiben.

Das vierte Buch, das 35 % der gesamten Chronik umfasst, besitzt zweifellos einen besonderen quellenkundlichen Wert für die polnische Geschichte. Denn es beschäftigt sich mit dem Zeitraum der Jahre 1173–1202, die Magister Vincentius als Zeitzeuge selbst miterlebte. Es handelt sich mithin um jene mittelalterliche Phase der polnischen Geschichte, als der „Verfassungskompromiss“ der Senioratsordnung, die das gemeinschaftliche patrimonium der Piastenfürsten zusammenhalten sollte, durch die Vorgänge gerade in der Krakauer Provinz brüchig wurde. Was daraus resultierte, war die teilfürstliche Zersplitterung, die bis ins 14. Jahrhundert andauern sollte.

Allerdings bleibt auch in diesem vierten Buch „vieles durch eine überbordende Rhetorik verschleiert“ (S. 49), wie Eduard Mühle schreibt. Die Chronik des Vincentius hatte eben in erster Linie auch belehrende Funktion im Sinne eines Fürstenspiegels, was zum einen die Dialogform des Werks erklärt, anderseits die moralisch verbrämten Ausführungen zur Legitimität der Herrschaftsansprüche einzelner Piastenfürsten. Es sind diese zeitgenössischen Vorstellungen verschiedener sozialer Gruppen zur Rechtmäßigkeit und zu den Pflichten einer Fürstenherrschaft, die im vierten Buch der Chronica Polonorum in den Worten des Chronisten ihren Niederschlag gefunden haben und die für die historische Forschung besonders ergiebig sein dürften.

Gerade vor dem Hintergrund der gleichsam ‚barock‘ überbordend anmutenden lateinischen Sprache des Chronisten ist man für die deutsche Übersetzung des Werks durch Eduard Mühle besonders dankbar. Dem lateinischen Original ist jeweils die deutsche Übersetzung spiegelbildlich auf einer Doppelseite beigesellt, so dass sich mühelos zwischen den beiden Textebenen hin und her wechseln und das lateinische Original konsultieren lässt. Der Herausgeber räumt hier durchaus vorsichtig ein, dass seine Übersetzung „nur ein mögliches Deutungsangebot“ (S. 75) sei beziehungsweise „die Interpretation eines Historikers“ (S. 74). Zwar kommentiert Mühle den Text bewusst sparsam und ordnet dessen Aussagen historisch nicht weiter in seine inhaltlichen Zusammenhänge ein – was dem Usus der Reihe entspricht. Doch entschädigt dafür teilweise eine ausführliche, über 70 Seiten starke Einleitung, die auf den Autoren, das Werk und das Umfeld seiner Entstehung eingeht und diesbezüglich den neuesten Stand der – naturgemäß vorwiegend polnischen – Forschung reflektiert.

Christophe von Werdt, Bern

Zitierweise: Christophe von Werdt über: Die Chronik der Polen des Magisters Vincentius – Magistri Vincentii Chronica Polonorum. Übersetzt, eingeleitet und herausgegeben von Eduard Mühle – Edidit, interpretabatur et praefatione notisque instruxit Eduard Mühle. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2014. 424 S. = Ausgewählte Quellen zur Geschichte des Mittelalters. Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, 48. ISBN: 978-3-534-24775-2, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/von_Werdt_Muehle_Die_Chronik_der_Polen.html (Datum des Seitenbesuchs)

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