Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 4 (2014), 3 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Raoul Zühlke

 

Jerusalem in the North. Denmark and the Baltic Crusades, 1100–1522. Ed. by Ane Bysted, Carsten Selch Jensen, Kurt Villads Jensen and John H. Lind. Transl. from Danish by Sarah and Frederik Pedersen. Turnhout: Brepols Publisher N.V., 2012. XIV, 393 S., 58 Abb., 5 Ktn. = Outremer. Studies in the Crusades and the Latin East, 1. ISBN: 978-2-503-52325-5.

„Jerusalem in the North“ ist ein janusköpfiges Buch. Denn auf der einen Seite begeistert es seine Leser, während es auf der anderen Seite die gängigen Normen wissenschaftlichen Arbeitens in Frage stellteine Tatsache, der vor dem Hintergrund einer seit nunmehr über zwei Jahren in Deutschland tobenden Debatte ein nicht unerhebliches Gewicht zukommt.

Das Buch ist die Übersetzung des 2004 auf Dänisch erschienenen WerkesDanske korstogkrig og mission i Østersøen, das aus einem von 1998 bis 2001 laufenden Projekt zum ThemaDänemark und die Kreuzzugsbewegunghervorgegangen ist und sehr positiv aufgenommen wurde (vgl. z.B. die entsprechende Rezension des dänischen Originals in Historisk Tidsskrift http://www.historisktidsskrift.dk/pdf_histtid/105_1/ 293.pdf11.9.2014). Bereits 2006 erfuhr das Buch eine zweite Auflage, und 2007 er­schien eine Übersetzung ins Estnische. Daher ist die nun vorliegende Übersetzung ins Englische logisch und begrüßenswert, denn nur so können einem möglichst großen Rezipientenkreis die Inhalte zugänglich gemacht werden.

Von der Struktur her ähnelt das Buch in mancher Hinsicht Hand- oder Studienbüchern; die Autoren beziehen aberanders als in entsprechenden Publikationen oft üblichstets selbst explizit Stellung, so dass eine große Tiefe der Gedankengänge erreicht wird. Dabei ist es den Autoren und der Autorin gelungen, ihre namentlich nicht gekennzeichneten Beiträge so perfekt in ein Konzept einzupassen und aufeinander abzustimmen, dassJerusalem in the NortheineMonographie aus vier Händenist. Die gelungene Übersetzung trägt zusätzlich dazu bei, dass alles wie aus einem Guss wirkt.

Nach einer ausführlichen Einleitung, in der u.a. der BegriffKreuzzugproblematisiert wird, dänische Kreuzzüge in den Gesamtkontext der Kreuzzugsbewegung eingeordnet und von anderen religiös motivierten Kriegszügen, wie etwa den Sachsenkriegen Karls des Großen, abgegrenzt werden, folgen 17 weitere Kapitel, von denen sieben allerdings den Charakter mehr oder minder ausführlicher Exkurse haben.

Die Kapitel im ersten Teil des Buches behandeln u.a. die Kriegszüge der Dänen in den westslavischen Raum vor dem Wendenkreuzzug, den Wendenkreuzzug selbst sowie Kreuzzüge nach Finnland, Livland, Estland und Preußen vor der Gefangennahme Waldemars II. 1223. Dabei erfolgt eine klare Fokussierung auf die dänischen Operationen bzw. die Anteile dänischer Kreuzfahrer bei gemeinsamen Kriegszügen. Die Autoren folgen trotz der spezifisch dänischen Sicht aber der gängigen und bewährten Einteilung der einzelnen Kriegszüge. Da hierbei zeitliche und räumliche Gliederung weitgehend miteinander korrespondieren, entsteht ein stimmiges Bild.

Eine Sonderstellung nimmt in der ersten Hälfte des Buches das besonders gelungene Kapitel IV:Danish Crusading Institutions ein, in dem in zwölf Abschnitten grundlegende Aspekte von dänischen Kreuzzugsunternehmungen wie die Rekrutierung der Kreuzfahrer, die Ausrüstung und Finanzierung, Stützpunkte wie Burgen und Städte, aber auch das Ledingsystem ansprechend erläutert werden. Nichts davon ist neu, aber die Zusammenstellung an einem Ort und die dänische Perspektive sind sehr interessant.

Im zweiten, nur etwa halb so umfangreichen Teil des Buches wird dann eine weniger räumliche als vielmehr thematische Gliederung gewählt. Einhergehend mit dem Rückgang dänischer Potenz im Ostseeraum einerseits und der spezifisch als Kreuzzüge angelegten Operationen andererseits ist die Beschreibung hier inselhafter undman ist versucht zu sagenauf die Highlights der dänischen Politik im Spätmittelalter beschränkt. Ein gewisser Fremdkörper im gesamten Buch ist Kapitel XI:Teutonic Knights and Mendicants: New Actors in Prussia and Livonia. Es ist das einzige Kapitel, dass die dänische Perspektive aufgibt, und es wäre sicher sinnvoller gewesen, diese Thematik explizit in einen Exkurs auszulagern oder aber in das folgende Kapitel zu integrieren, welches die Entwicklung von der Schlacht an der Saule bis zur Schlacht auf dem Eise thematisiert.

Was macht dieses Buch nun so gut? Neben der griffigen Konzeption, der flüssigen und präzisen Sprache, sowie der offensichtlichen aktiven Bereitschaft aller beteiligten Autoren, gemeinsam an einem Konzept zu arbeiten und den Erwerb eigener Meriten so dem Gesamtergebnis unterzuordnen, ist es die Konsequenz, mit der die modernen Möglichkeiten, ein gedrucktes (!) Buch zu produzieren, ausgenutzt werden. Wie oft ärgert man sich über lieblos gestaltete Sammelbände und Abschlussberichte von Forschungsprojekten, die im Stil und der formalen Qualität oft kaum an Magisterarbeiten der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts heranreichen, obwohl heute die Technik so viel mehr bietet, um geschichtswissenschaftliche Ergebnisse angemessen präsentieren und vermitteln zu können!

Jerusalem in the Northgibt Anschauungsunterricht, wie man es machen kann: Dazu zählen neben eigentlich Selbstverständlichem wie einer klaren optischen wie inhaltlichen Gliederung und einem sauberen Druckbild, ausführliche und z.T. vorgeschaltete Verzeichnisse und Indizes, eine umfangreiche, ansprechende und die Texte wirklich unterstützende Illustration mit Karten, Zeichnungen, Stammbäumen, Bildern und Fotografien (wobei letztere allerdings leider fast durchgängig einen leichten Gegenlichteffekt aufweisen), sowie zahlreiche Themenkästen, in denen zentrale Personen (z.B. Bernhard von Clairvaux), Begriffe (z.B. der Wortteil Finn) oder Handlungen (z.B. das Taufen durch Übergießen mit Wasser) erläutert werden: diese Form der Gestaltung steigert die Möglichkeit eines schnellen Zugriffs enorm. Besonders gelungen sind auch die Erläuterungen, die allen Abbildungen beigegeben werden und diese so nicht nur in den Text stärker einbetten, sondern auch dazu einladen, über diese Erläuterungen Passagen im Buch aufzufinden und erneut zu bearbeiten.

Und warum hinterlässt das Werk trotzdem einen ambivalenten Eindruck? Nun, die manchmal naiv, ja fast blauäugig wirkende Argumentation ist lässlich, denn dieser möglicherweise fälschliche Eindruck entsteht teilweise durch diedeutsche Brilledes Rezensenten, teilweise auch durch die schlichte Tatsache, dass etliche Forschungen, die in diesem Buch diskutiert werden, eben schon rund zehn Jahre alt sind (das zugrundeliegende Projekt endete 2001!) und sich seitdem in diesem Feld eine Menge bewegt hat. Auch dass das eine oder andere Mal Vorwürfe gegendieForschung allgemein gerichtet werden (vgl. besonders S. 38 ff.), kann man übersehen. Die Tatsache aber, dass das Buch nicht nur das Ergebnis eines Forschungsprojektes ist, sondern sich auch explizit als solches verkauft, dann aber normalen wissenschaftlichen Standards nicht genügt, ist problematisch.

Nach Meinung des Rezensenten muss ein solches Buch gar nicht zwangsläufig und im engeren Sinne wissenschaftlich arbeiten, aber wenn der äußere Anschein erweckt wird, dies sei so, dann muss auchKärrnerarbeitgeleistet werden. Es geht nicht an, dass immer wieder Belege fehlen, obwohl für den Experten offensichtlich Aspekte behandelt werden, die bereits breit in der Forschung diskutiert wurden. Auch dass seitenweise und noch dazu spärlich nur Quellen und keine Sekundärliteratur als Belege angeführt werden, ist suspekt. Hinzu kommt, dass selbst für den Kenner dieser Quellen auf Anhieb nicht klar ist, ob nun aus der Quelle zitiert wird oder aber die Quelle kommentiert wird. Dass dann noch oft große Abschnitte aus Chroniken als Belege für einzelne Thesen herhalten müssen, so dass der Leser oft gar nicht mit Sicherheit sagen kann, auf welcher Quellenstelle explizit denn nun die Deutung fußt, ist heikel. So großartige Anregungen das Buch daher auch vermittelt, es ist für andere Forscher kein verlässlicher Anker, weil man schlicht nicht sicher sein kann, nicht versehentlich den Gedanken eines Dritten zu zitieren, denn auch die Bibliographie ist eigentlich nur als Auswahlbibliographie der tatsächlich genutzten Werke zu bezeichnenaber auch dies ist dem Werk nicht zu entnehmen.

Ist das Buch nun aufgrund der Kritik doch ein schlechtes Buch? Nein, auf keinen Fall. Denn es ist eine großartige, in jedem Fall lesenswerte Bereicherung, es ist ein Buch, das sicher zum Klassiker in seinem Forschungssegment wird. Um so ärgerlicher ist es, dass manch ein Beginn eines Diskussionsstrangs aufgrund des laxen Umgangs mit Belegen in späteren Jahren nicht mehr nachvollziehbar sein wird.

Raoul Zühlke, Neuss

Zitierweise: Raoul Zühlke über: Jerusalem in the North. Denmark and the Baltic Crusades, 1100–1522. Ed. by Ane Bysted, Carsten Selch Jensen, Kurt Villads Jensen and John H. Lind. Transl. from Danish by Sarah and Frederik Pedersen. Turnhout: Brepols Publisher N.V., 2012. XIV, 393 S., 58 Abb., 5 Ktn. = Outremer. Studies in the Crusades and the Latin East, 1. ISBN: 978-2-503-52325-5., http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Zuehlke_Bysted_Jerusalem_in_the_North.html (Datum des Seitenbesuchs)

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