Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Krista Zach

 

Annemarie Weber: Rumäniendeutsche? Diskurse zur Gruppenidentität einer Minderheit (1944–1971). Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2010. IX, 342 S., Abb. = Studia Transylvanica, 40. ISBN: 978-3-412-20538-6.

DieDiskurse“ zur Klärung eines modernen Streitbegriffs – „rumäniendeutsche Literatur“ – und letztendlich auch zu der davon abgeleiteten Identitätszuschreibungdie „Rumäniendeutschen“ – werden in zehn chronologisch angeordneten und thematisch differenzierenden Kapiteln präsentiert. Den Ausgangspunkt bildet ein umstrittener konzeptueller Terminus – „rumäniendeutsch“. Die Argumentation der Verfasserin wechselt zwischen kultur- bzw. kommunikationswissenschaftlicher wie soziologisch intendierter Li­nien­führung. Die von Weber gewählte Methode zur Herleitung und Beschreibung dieses Begriffs ist die Diskursanalyse.

Die Genese des hier vorliegenden TitelbegriffsRumäniendeutsche“ ist etwas verwickelt. Annemarie Weber, ehemals Kulturredakteurin in Siebenbürgen (1976–1995), bemüht sich erfolgreich um seine Herleitung. Allerdings ist dieser Terminus erst nach 1971dem Endpunkt ihrer Recherche in den Medien, insbesondere der deutschen Tageszeitung Neuer Weg (1949–1992)und nur von einer kleinen Kulturelite Deutscher in Rumänien aufgegriffen worden und viel später erst zu breiterer Akzeptanz und Anwendung gelangt. Daher ist nicht so sehr er selbst Gegenstand von Webers Analysen, sondern die unterschiedlichen Bemühen um terminologische Vereinheitlichung, um einen Identität suggerierenden Sammelbegriff für die verschiedenen Gruppen Deutscher, die sich 1919 gemeinsam in Großrumänien wiederfanden und davor (und weitgehend auch danach) niemals eine kulturelle Gemeinschaft gebildet hatten. Zum Titelbegriff dieses Buches wird auf das Erfordernis weiterer Forschung verwiesen.

Den Ausgangspunkt dieser Bemühungen um einen Überbegriff bildete jedoch nicht eine bestimmte soziale Gemeinschaft, sondern ihre deutschsprachige literarische Produktion, und so waren es vor allem Germanisten, die schon in der Zwischenkriegszeit in Rumänienohne viel Erfolgnach einem griffigen Sammelbegriff, einemZuordnungsbegriff, für die Literatur desgesamtrumänischen Deutschtums(so Karl Kurt Klein, 1939) suchten. Aber die Suche ging nach 1944 weiter. In der Zeit des Stalinismus (1949–1953), als dersozialistische Realismus“ das offiziell angeordnete Stil- wie Inhaltskriterium bildete, konnte es sich nur um die Literatur einer Klasse, also derWerktätigendeutscher Sprache handeln. Erst im relativen Tauwetter der frühen Ceauşescu-Zeit durfte, wenn auch nur vorsichtig, wieder von nationalen Gemeinschaften gesprochen werden. Damalserfanden‘ Germanisten buchstäblich die beiden Begriffe, und zwar in der unlogischen Reihenfolgerumäniendeutsche Literatur“, und später erstdie Rumäniendeutschen“ als die Produzenten dieser literarischen Werke in der sozialistischen Republik Rumänien (S. 2, 304–312). Soviel steht jetzt nun außer Frage. Es ist das Verdienst der Autorin, nachgewiesen zu haben, dass es in diesem Kontext und auf diesem logischverkehrtenPfad letztendlich um dieArtikulation von Identitätskonstrukten(S. 15, 311) einer Gemeinschaft gegangen war, die, außerhalb des deutschen Binnenraumes lebend, aber nicht ohne Bezug darauf, eine eigenständige Kulturproduktion besaß.

Weber betont, dass es sich bei „rumäniendeutsch“ um einemretrospektiven Begriff(S. 2) handle, der auf einerretrospektive(n) Konstruktion von Geschichte, die sich als solche nicht erkennt“, beruhe.Diese nationale Geschichte aufzubrechen und mit den Mitteln der Diskursanalyse aufzuzeigen, wie und wann der Begriffrumäniendeutsche Literaturentstandbzw. was erartikuliere, interessiert die Autorin.Meine These setzte derrumäniendeutschen Literaturdenrumäniendeutschen Diskursentgegen, von dem ich annahm, dass er sich zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt profilierte, konkurrierende Diskurse verdrängte und schließlich dominant wurde.(S. 311) Das wird hier mit Michel Foucaults bekanntem Satz, ein Diskurs erzeuge erst die Dinge von denen er spreche, methodisch unterfüttert.

Sehr aufschlussreich sind die beiden Teile des letzten (10.) Kapitels bei Weber:Die rumäniendeutsche Literatur als VergangenheitsmusterundDie rumäniendeutsche Literatur als Zukunftsmodell(S. 297–309). Hier werden die im einführenden Kapitel (1.) bereits angedeuteten Zusammenhänge ausgebreitet.

Der Begriff „rumäniendeutsche Literatur“ wurde von Gerhardt Csejka 1971 und 1973 in zwei Essays als ein positiv kodiertesliterarisches Beschreibungsmodelleingeführt und von Peter Motzan 1980 in seinem bekannten und viel gepriesenen BuchDie rumäniendeutsche Lyrik nach 1944“ noch weiter exemplifiziert. Csejka und Motzan waren aber nicht dieErfinder. Den Terminus hatte Heinz Stănescu bereits 1966 kreiert und in einem kurzen Text in einer Bukarester Fachzeitschrift veröffentlicht (Heinz Stănescu: Zur Entwicklung der rumäniendeutschen Literaturgeschichte und -kritik, in: Forschungen zur Volks- und Landeskunde 9 [1966], S. 99–110). Der prominent platzierte Beitrag war von Kritikern, Autoren und dem Lesepublikum jedoch völlig ignoriert worden. Das geschah wohl auch deshalb, weil der Bukarester Germanist Stănescu ihn mit linientreuer deutschsprachiger Gegenwartsliteratur in Rumänien gleichgesetzt hatte, mit der die jungen Autoren der frühen Ceauşescu-Ära nicht assoziiert werden wollten. Dabei traf auch ihre Literaturgemeint ist vor allem die der Aktionsgruppe Banatden Geschmack und zunächst auch auf die Billigung der publizistischen Offizialität; sie war durchaus keine  Untergrundliteratur.

Der scheinbar schlüssige neue Begriff sollte es Literaturwissenschaftlern in den frühen siebziger Jahren erleichtern, die in unterschiedlichen Regionen und Zeiträumen entstandene deutschsprachige Literaturproduktion mit einem Terminus zu erfassen und zugleich auf deren Zugehörigkeit zumSozialistischen Realismus“ und das seit 1918 bestehende geopolitische ReferenzgebietRumänien“ als deren Rahmen hinzuweisen. Dafür waren ohne große Not, je nach der Perspektive des Verfassers, auch andere problematische Bezeichnungen wieFünfte deutsche Literatur (aus Rumänien) gewählt und wieder verworfen worden.

Die naheliegende Frage nach den Autoren dieser Literatur wurde seitens der Verfechter des Zuordnungsbegriffesrumäniendeutsche Literatur“ zunächst gar nicht gestellt: Wer sind denn dieRumäniendeutschen? Um darauf eine befriedigende Antwort zu erhalten, hat Weber die Mediendiskurse in den dreißiger und vierziger Jahren (Kap. 2), im Stalinismus (Kap. 3–5, 7) und in der ambivalenten Ära Ceauşescu (Kap. 9–10) untersucht, als derrumäniendeutsche Diskurs [] zu einem identitätsstiftenden und handlungsleitenden Mythos erstarkte(S. 15). Wieder Foucault wie auch Alaida Assmann (1999), Lucian Boia (2003) und Raol Girardet (1990) folgend, werden die Tugenden eines solchen Mythos vorweggenommen: Er vereinfache, integriere, schaffe Orientierung, stabilisiere eine jede Gemeinschaft (S. 15). Diese Funktionen des Mythos werden letztendlich für die rasche Durchsetzung des Begriffsrumäniendeutsch“ in den achtziger und neunziger Jahren in Rumänien erkannt.

Neben einem Abkürzungsverzeichnis, einem Quellen-/Literaturverzeichnis und einem Personen- wie Ortsnamenregister ist dem Buch auch ein sehr aufschlussreiches VerzeichnisDeutsche Printmedien in Rumänien August1944–2009beigefügt. Es waren immerhin 19 regionale und nationale Zeitungen und zwei Fachzeitschriften (für Geschichte und für Literatur), die im kommunistischen Rumänien erscheinen durften.

Krista Zach, München

Zitierweise: Krista Zach über: Annemarie Weber: Rumäniendeutsche? Diskurse zur Gruppenidentität einer Minderheit (1944–1971). Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2010. IX, 342 S., Abb. = Studia Transylvanica, 40. ISBN: 978-3-412-20538-6, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Zach_Weber_Rumaeniendeutsche.html (Datum des Seitenbesuchs)

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