Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 5 (2015), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Krista Zach

 

Victor Spinei: The Romanians and the Turkic Nomads North of the Danube Delta from the Tenth to the Mid-Thirteenth Century. Leiden etc.: Brill, 2009. XVII, 545 S., 60 Abb. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 6. ISBN: 978-90-04-17536-5.

Der Archäologe und Mediävist Victor Spinei (*1943) entwickelte, aufbauend auf seiner Dissertation (1977) über die zwischen Dnjestr, Ostkarpaten, Unterer Donau und Schwarzem Meer gelegenespäter Moldau genannteRegion, die im 11. bis 14. Jahrhundert durch zahlreiche Migrationen von Turkvölkern geprägt wurde, eine bemerkenswert breite Forschungstätigkeit: Moldova în secolele XIXIV (Iaşi 1982) erhielt den Nicolae-Iorga-Preis der Rumänischen Akademie, es folgte, in leicht gekürzter englischer Fassung, Moldavia in the 11th14th Centuries (Iaşi 1986) mit einer 2. und 3. Auflage in der Republik Moldau (Chişinău 1992, 1994), wo das preisgekrönte Werk davor verfemt gewesen war. In diesem Werk lief alles auf die durch die turanischen Nomadeneinbrüche verzögerte Staatsbildung in der Moldau (um 1359)so eine der Leitthesen Spineishinaus, die im letzten Kapitel kurz behandelt wird.

1985 erschien in Iaşi, als Weiterentwicklung eines Teilbereichs dieser Arbeit, Relaţii etnice şi politice în Moldova meridională în secolele XXIII. Românii şi turanicii (Ethnische und politische Beziehungen in der südlichen Moldau vom 10. bis zum 13. Jahrhundert. Rumänen und Turkvölker), auf die im Abstand von 25 Jahren und gestützt auf weitere archivalische wie archäologische Forschungen, der hier vorliegende englischsprachige Band folgte. Schon der rumänische Text von 1985 bot eine wissenschaftlich plausiblere Neustrukturierung des Themas, die in der englischen Fassung von 2009 allein auf die kontrastierenden Lebensweisen, das Habitat, die meist von Gewalt begleiteten politischen und ökonomischen Interaktionen zwischen den sesshaftenoderbäuerlichenbzw.lokalenund dennomadischenBevölkerungen im selben geographischen Lebensraum der südlichen Moldau ausgelegt ist. Inzwischen hatte Spinei in zahlreichen, weitgestreuten Aufsätzen seine neueren Forschungserträge publiziert, die jeweils als aktualisierende Anmerkungen in den Text und in die Fundlisten der neuen Bände einflossen.

Anders als die Vorgänger ist der hier vorliegende letzte Band in technisch hervorragender Aufmachung – die sorgfältige Bearbeitung des wissenschaftlichen Apparats und der Register zeichnete allerdings auch schon die früheren Bände aus – und an prominenter Stelle erschienen. Ähnliches widerfuhr einem dritten, zweiteiligen Studienband des Verfassers, der allein die bereits in den anderen Büchern immer wieder angesprochenen turanischen Nomaden thematisiertdie Ungarn, Petschenegen, Usen, Kumanen und Mongolen. Sie stehen gemeinsam für die letzte große, für die Mediävistik aber nicht weniger bedeutsame Völkerwanderung nach Europa, der immer noch von nur wenigen Fachleuten die erforderliche Aufmerksamkeit entgegen gebracht wird: The Great Migrations in the East and South East of Europe (9th13th Centuries). Die beiden 2006 in Amsterdam erschienenen Bände stellen eine Zusammenfassung der zwei rumänischen, ebenfalls nach der politischen Wende erschienen Titel Ultimele valuri migratoare de la nordul Mării Negre şi al Dunării de Jos (Iaşi 1996) (Die letzten Wellen der Völkerwanderung im Norden des Schwarzen Meeres und an der Unteren Donau“) sowie Marile migraţii în estul şi sudestul Europei în secolele IX–XIII (Die großen Migrationen im Osten und Südosten Europas im 9.–13. Jahrhundert) (Iaşi 1999) dar.

Mit diesem Überblick soll verdeutlicht werden, dass die Darstellungsweise und die Erkenntnisse Spineis in der nationalistisch wie dogmatisch geprägten Historiographie aus dem östlichen Europa immer wieder an Grenzen stießen und als unliebsames Politikum galten. Wer Kontroversen offen darlegt und Ideologeme verschiedenster Provenienz beim Namen nennt, wie es dieser Forscher tut, erfreut sich zwar auch heute nicht uneingeschränkter Zustimmung, darf aber auf Diskussionsbereitschaft und Offenheit in der scientific community hoffen. Denn jetzt erst kann das Lebenswerk eines gleichermaßen bescheidenen wie bedeutenden Gelehrten zusammenhängend in die Fachdiskussionen einbezogen werden. Wie für seine Vorgänger gilt auch für den vorliegenden Band, dass sich der Verfasser jeglicher Polemik und Hypothesenhascherei abhold zeigt, dass er langlebige Stereotype genau zu benennen und seine eigenen Erkenntnisse freimütig und gut argumentiert vorzutragen weiß. Das tut er im klaren Bewusstsein dessen, dass viele Fragen weiterhin offen bleiben.

Die dürftige und in ihren Aussagen oft unklare wie widersprüchliche Quellenlage erlaube oft keine eindeutigen Antworten: No claims are made here for an exhaustive research on the chosen topic. [] To imagine that one could give credible answers to all the controversial problems, [] would merely be sinking into an abyss of vanities. The level of research is still underdeveloped in some fields; therefore, my conclusions are just working assumptions which are liable to further modifications. The goal is to open discussioneven on problems that have not yet been elucidated, and [] may lead to quite different interpretations. (S. 4)

Angesichts dieser prekären Lage hinsichtlich diplomatischer und narrativer Quellen stützt sich der Forscher umfassend auf die Aussagen der Grabungsfunde, aber auch der Feldforschung, Geopolitik und Anthropologie. Im ersten, der Umwelt gewidmeten Kapitel (S. 7–46) wird die Topographie alsunity in diversity(S. 13) herangezogen. Der Kontrast zwischen dem für Nomadeneinfälleoffenen‘ südmoldauischen Flachland und dem derzeit zu etwa 60–70 % bewaldeten Hügelland wird hier als der bestimmende Ausgangspunkt für die Begegnung von Sesshaften und Reiternomaden erläutert (S. 20, 46–47). Letztere hätten,dem Weg der Sonnenach Westen folgend, dabei schrittweise das agrarische Habitat der Sesshaften an der Unteren Donau und entlang der Flussunterläufe zerstört bzw. die bäuerliche Bevölkerung in die waldige Hügelzone verdrängt.

Im zweiten Kapitel wird diePolitische Geschichte der Region zwischen Ostkarpaten und Dnjestr wie benachbarter Gebietein vier Jahrhundertschritten detailreich referiert (S. 47–175). Mehrere reiternomadische Stämme überrannten zwischen dem 9. Jahrhundert und der Mitte des 13. Jahrhunderts den Südosten Europas in aufeinanderfolgenden Wellen, beginnend mit den Ungarn (ab 896) und zuletzt den Mongolen (1236–1242). Letztere seien ausschließlich Mongolen gewesen, während dazwischen verschiedene turanische Nomadenstämme („Turkic nomads“ bzw. „Turks“) in bunter Mischung (Kumanen, Petschenegen, Uzen u.a.) in die Flachlandschaften eingedrungen waren, die sich vor und vor allem nach dem Mongolensturm von 1241/42 in Ungarn niederlassen durften und allmählich auch assimilierten, indem sie sich taufen ließen. Zwischen dem 10. und frühen 13. Jahrhundert übten sie auch über dieRumäneneine gewisse politische Dominanz aus, die sich z. B. in noch wenig geklärtenTribut-Beziehungen geäußert habe. Das Verhältnis zwischen nomadisierenden Hirten („pasturalists“) und Sesshaften („agrarians“) soll im frühen 13. Jahrhundert auf den hier beschriebenen Gebieten etwa 1 zu 10 gewesen sein (F. Ratzel: Politische Geographie. München, Berlin 1923, S. 52). Der Mongoleneinfall schwächte die politische Dominanz der turanischen Nomaden entscheidend, wodurch sich die Rumänen im Hügelland um die Mitte des 14. Jahrhunderts zu einem eigenen politisch agierenden Personenverband hätten formieren können. Die bis etwa 1370 währende Hegemonie der Goldenen Horde im Budžaq (Spinei, S. 308) scheint deren Formierung kaum behindert zu haben.

Am aufschlussreichsten ist das dritte Kapitel, Contrasting Ways of Life. Romanian Agriculturists and Turkic Pastoralists (S. 177–305). Über die Turkvölker geben die Quellen zur politischen Geschichte viel mehr Auskunft als über die auf der Balkanhalbinsel und beiderseits der Unteren Donau siedelnden „Blökumenn“, „Blaq“, „valathi“ (so um 1234 imKumanenbistum) und anderen Sesshaften (S. 105–106, 175–181). Spinei verwendet als Argumentationsmethode den begründenden Vergleich zweier kontrastierender Lebensweisen und Gesellschaftsformen, die einander nur punktuell und dann meist konflikthaft begegneten.

Eine immer gleichbleibende Grundannahme des Verfassers ist es, dass es sich seit dem 8./9. Jahrhundert bei dieser sesshaften bäuerlichen Lokalbevölkerung („agrarians“) umRumänengehandelt habe bzw. im 9.12. Jahrhundert zunächst um die Vertreter der Dridu- und der Răducăneni-Kultur (siehe die Kartenskizzen Abb. 2–4 im Anhang mit Kartierung der entsprechenden Grabungsfunde). Aus diesen Karten ist auch die Verdrängung der agrarischen durch die nomadischen Bevölkerungsgruppen und die Präsenz der zuerst genannten ab dem 11./12. Jahrhundert in den bewaldeten Hügelgebieten der späteren südlichen Moldau eindeutig ersichtlich.

Im vierten und letzten Kapitel werden bilanzierend die Forschungserkenntnisse des Verfassers zu Contacts and Interactions between Romanians and Turkic Nomads zusammengefasst (S. 307–360). Zunächst prüft Spinei gängige Hypothesen, Stereotype und immer wieder ins Feld geführte Behauptungen (z.B. nach Robert Roesler: Romänische Studien. Untersuchungen zur älteren Geschichte Romäniens. Leipzig 1871, S. 79–82, 334), die u.a. Siedlungsgebiet und Habitat, Lehnwörter, Toponymie und Onomastik betreffen. Als am stichhaltigsten erachtet der Verfasser dabeidie Beweise aus den Gräbern. Onomastik und Lehnwörter aus turanischen Sprachen, wie beispielsweise Lazăr Şăineanu sie in seinem berühmten Wörterbuch anführte, seienunsicherodernicht immer stichhaltig, zumal diese Sprachen inzwischen weitgehend unbekannt, da längst erloschen (S. 310–311) seien und Personennamen mit turanischer Lautung überall in Südosteuropa, gehäuft aber in Ungarn, zu finden seien (S. 342–343). Die Wirtschaftsweise differierte zwischen Pferde- und Viehzucht der Nomaden im großen Rahmen und lokal begrenzter Kleinviehzucht der Bauern, teils auch transhumant in einem jahreszeitlich bedingten Rhythmus, was aus Bodenfunden zu entnehmen ist. Die bei beiden Gruppen überaus traditionsverhaftete Lebensweise hätte einen Austausch von Verhaltensmodellen nicht erlaubt.

Bezüglich der Art der Kontakte scheint die Differenz zwischen Nomaden und Sesshaften im Ergebnis, nicht aber in materiellen Beweisen evident. Während etwa Nicolae Iorga annahm, es habe nördlich der Donauebenso wie südlich davon, in Bulgarienfriedliche Kooperation vorgeherrscht, kommt Spinei zum gegenteiligen Ergebnis. Die sporadischen Berührungen zwischen den beiden Gruppen seien überwiegend als konflikthaft zu beschreiben, es sei eher zu Konflikten gekommen, zu Plünderungen, Raub und Versklavung als einer Form von Tributerpressung sowie zur Verdrängung der bäuerlichen Bevölkerung aus ihrem ursprünglichen Siedlungsraum (S. 352). Während es keine Artefakte der Sesshaften in Nomadengräbern gebe, seien einige wenige Hinweise auf Handel aus nomadischen Artefakten in den Siedlungen der Sesshaften gefunden worden. Zu dem Stereotyp, die Nomadenkultur sei primitiver als die der Sesshaften gewesen, weist Spinei auf die Artefakte beider Gruppen hin, die das Gegenteil bewiesen (S. 356).

Abschließend stellt der Verfasser fest, dass es in 400 Jahren der Kohabitation auf dem Gebiet der südlichen Moldau keine Symbiose zwischen den beiden Gruppen gegeben habe, weil beider Modelle sozialer Organisation zu weit voneinander entfernt gewesen seien. Möglicherweise aber hätten die Rumänen von den Nomaden einiges über Tierzucht und Wehrhaftigkeit (leichtbewaffnete Reiter) gelernt. Eine (von vielen Historikern angenommene) flächige Besiedlung durch turanische Nomaden, vor allem Kumanen und Petschenegen, im bewaldeten Hügelland schließt Spinei aufgrund der archäologischen Beweislage aus (S. 310–311).

Spinei verzichtet auf den aus der älteren Literatur bekannten polemischen Argumentationsstil, er vermeidet eine Konfrontation mit anderen, altbekannten Thesen, indem er diese quasi in die sehr reichhaltigen Fußnoten versenkt. Drei der gängigsten differierenden Thesen betreffen die fehlenden Schriftquellen für rumänische Siedlungsgebiete nördlich der Donau vor dem 12. Jahrhundert, die Kohabitation von turanischen und rumänischen Bevölkerungsgruppen und die Herkunft der staatsbildenden rumänischen Elite aus turanischen (bzw. kumanischen) Familien, ausgehend von der Onomastik. Die unterschiedlichen Sehweisen resultieren überwiegend aus den angewandten Methoden: Die traditionell aus symbolischen und repräsentativen Quellen wie Chroniken und Diplomen schöpfenden Forscher untersuchen geographische und ethnographische Namengebungen (Cumania,Thartaria“) – siehe die blaq/bulaq-Kontroverse bei L. Rasonyi und G. Bodor (Spinei, S. 77–78), die ungarische Herrschertitulatur im lateinischen Schrifttum sowie die Ergebnisse der Linguistik (Lehnwörter, Onomastik etc.). Auch in István Vásárys Werk Cumans and Tatars. Oriental Military in the Pre-Ottoman Balkans, 1185–1365 (Cambridge 2005) findet man übrigens Diskussionsbereitschaft, wenn er z.B. festhält, dass nördlich der unteren Donau im 10./12. Jahrhundert Slavic and Turkic peoples gewohnt hätten, dann auch the possibility that [] any serious Vlakhian settlement existed north of the Danube in this periodeinräumt, auch wenncompelling historical evidencedafür fehle (S. 135). Spinei bestreitet die drei Thesen, er geht auf die kontroversen Fragen jeweils ein und erläutert seine, meist von den Bodenfunden ausgehenden Standpunkte. Ein Vergleich zwischen seinen letzten, englischsprachigen Werken und den neuen Arbeiten etwa aus der Cambridge-Schule zeigt jedoch, dass sich hier einmittlerer Weg anzubahnen beginnt.

An diesem überaus anregenden Buch ist einzig die teilweise unachtsame Verwendung der englischen Sprache nach anfänglicher Korrektur zu rügen, offenbar hat es an einer Endredaktion gemangelt.

Krista Zach, München

Zitierweise: Krista Zach über: Victor Spinei: The Romanians and the Turkic Nomads North of the Danube Delta from the Tenth to the Mid-Thirteenth Century. Leiden etc.: Brill, 2009. XVII, 545 S., 60 Abb. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 6. ISBN: 978-90-04-17536-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Zach_Spinei_The_Romanians_and_the_Turkic_Nomads.html (Datum des Seitenbesuchs)

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