Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Krista Zach

 

Die Szekler in Siebenbürgen. Von der privilegierten Sondergemeinschaft zur ethnischen Gruppe. Hrsg. von Harald Roth unter Mitarbeit von Paul Niedermaier und Gabriella Olasz. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2009. 280 S., Abb. = Siebenbürgisches Archiv, 40. ISBN: 978-3-412-20240-8.

Die Herausgeber schicken einschränkend voraus, dieser vielfach über die „eigentümliche Vergangenheit“ der Szekler informierende Band sei kein „vollständiges Kompendium“, sondern ein erstmals deutschsprachig vorliegender „Überblick“ über neuere Forschungsergebnisse zur Geschichte der Szekler (S. VII), einer seit dem 11. / 12. Jahrhundert in Siebenbürgen ansässigen magyarischen Bevölkerungsgruppe. Dafür sei ihnen gedankt. 14 Studien und eine – für die des Magyarischen nicht kundigen Leser unverzichtbare – kurze historische Einführung von Sándor Pál-Antal (S. 1–10) tragen wesentlich zum Verständnis einer Regionalgeschichte bei, deren Mitglieder sich in ihrer Selbstwahrnehmung bis zum 20. Jahrhundert als „eigenständig“, „frei“ und „wehrhaft“ sahen; Teil der ungarischen Nation zu sein ist für sie dahingegen ein Attribut der Moderne. Die traditionsbewusste Sippengemeinschaft des „Soldatenvolks“ der Szekler begann sich im 16. Jahrhundert allmählich und wiederholt unter kämpferischen Protesthandlungen in eine ständestaatliche zu wandeln, doch erst im 19. Jahrhundert gingen beide in einer überwiegend agrarisch geprägten Zivilgesellschaft auf (S. 6–7). Über die Herkunft und Ansiedlungsphasen der Szekler im Karpatenraum wird bis heute kontrovers diskutiert und es gibt weiterhin noch offene Fragen.

Knappe, aber kompakte Informationen dazu geben Einzelstudien über die Szeklerstühle als Rechts- und Verwaltungsinstitution (S. Pál-Antal, S. 126–145), die Loslösung der Szekler Oberschicht aus der Kollektivprivilegierung des Mittelalters, die ab dem 16. / 17. Jahrhundert Teil des magyarischen Adels wird (Judit Balogh, S. 172–192). Damit zusammenhängend, enthält der Band weitere aufschlussreiche Beiträge: Ákos Egyed beleuchtet den gänzlichen „Verlust der Freiheitsrechte der Szekler Nation“ infolge einer Reihe von Modernisierungsmaßnahmen des ungarischen Staates ab dem Revolutionsjahr 1848/49, der eine zentrale „Voraussetzung für die bürgerliche Umgestaltung“ im Szeklerland war (S. 227–234), und Gusztáv Mihály Hermanns Beitrag rundet dieses Thema treffsicher ab: „Die Szekler zwischen privilegiertem Stand und moderner ungarischer Nation“, wobei er auch den dreifach changierenden Inhalt des ‚Nations‘-Begriffs – zwischen ständischer natio und moderner politischer Nation erhellt. Er erläutert dankenswerterweise, dass und warum der seit dem 18. Jahrhundert in den Gruppengeschichten der Ungarn, Rumänen und Siebenbürger Sachsen verwendete natio- bzw. Nations-Begriff immer wieder zu Missverständnissen, Verwechslungen und Streit Anlass gegeben habe (S. 258–269).

Sehr lesenswerte, auf umfangreichen Quellenstudien beruhende Spezialuntersuchungen zur „mehrfachen Gerichtsbarkeit“ mancher Szeklerorte im 15. bis 19. Jahrhundert sowie zur „ambivalenten Modernisierung“ des Szeklerlandes im 19. Jahrhundert, und das in Abweichung von stärker entwickelten Regionen Ungarns, legt Judit Pál vor (S. 195–224 und 236–255). Gabriella Olasz gibt einen instruktiven Überblick über die Siedlungstypologie des Szeklerlandes und ihren verzögerten Gestaltwandel vom 12. bis zum 19. Jahrhundert (S. 149–169 mit 16 Planskizzen).

Zwei Arbeiten zur Archäologie geben Anlass dazu, u. a. Migrationsbewegungen vor und nach der Ankunft der Szekler im Karpatenbogen zu klären: So stellt Elek Benkő etwa fest, dass die Funde aus dem 10. Jahrhundert nicht von Hunnen und Avaren, sondern von Slaven und Ungarn stammen, ethnische Zuschreibungen vor dem Mongolensturm (1241) jedoch „problematisch“ seien (S. 13–41). Adrian Ioniţă weist auf Interferenzen zwischen Szekler- und hospites-Siedlungen auf gleichem Raum im 11.–13. Jahrhundert hin (S. 44–58).

Drei Arbeiten zu den Szekler Quellenpublikationen über die beiden Serien des noch unvollendeten Urkundenbuches (Lajos Demény, S. 61–70), zu z. T. noch nicht veröffentlichten Quellen im Kronstädter Archiv der Honterusgemeinde (Gernot Nussbächer, S. 85–88) sowie zu den verstreut aufbewahrten Konskriptionen und Urbarien (Kinga Tüdős, S. 72–83) zur Geschichte der Szekler geben einen klaren Überblick auf ausstehende Forschung, die nach der Wende von 1990 wieder in Gang gekommen sei.

Zu den meistdiskutierten Themen zählen sicherlich die beiden hier abschließend besonders hervorzuhebenden Darstellungen zu Herkunft und Namen der Szekler (Zoltan Kordé, S. 90–104) und zur allzu häufig in moderner Literatur fehlverstandenen Gruppenautonomie (Privilegierung) im mittelalterlichen Ungarn (Konrad Gündisch, S. 108–123). Kordé legt zu der von zahlreichen Hypothesen überfrachteten Herkunftsfrage drei Thesen vor: 1. Der Volksname Szekler verweise auf einen wolgabulgarischen Stamm („szk.e“), und so auch die mündliche Tradition. 2. Die Hunnenabkunft sei eine Fiktion mittelalterlicher Chronisten wie Anonymus und Simon Kézai. 3. Die heute favorisierte „Anschlussthese“ besage, dass die Szekler sich den Magyaren im 9. Jahrhundert als Hilfsvolk anschlossen, das – wie üblich – mit militärischen Aufgaben in der Vorhut des Heeres betraut wurde und dann auch deren Sprache übernahm. Gündisch listet in einer Tabelle (S. 114) zehn zu verschiedenen Zeiten im Mittelalter von den ungarischen Königen mit Privilegien unterschiedlichen Inhalts ausgestattete Bevölkerungsgruppen nichtmagyarischer Herkunft auf und beschreibt diese knapp und übersichtlich. Die Bedeutung von „Privileg“ und Privilegierung für Gastsiedler durch die Krone als Institution wird vorab klar definiert (S. 111–112). In mittelalterlichen Ungarn entsprach sie einer von Stephan I. formulierten „staatlichen Aufgabe“ mit dem Ziel, „Gäste“ (in den Quellen oftmals hospites genannt) zum „Landesausbau“ und zur bleibenden Ansiedlung „einzuladen“ (S. 123). Darunter befanden sich nicht nur die am besten erforschten Szekler und Saxones, sonder auch Bergleute verschiedener Herkunft, Latini, Rumänen, Petschenegen, Kumanen. Nur Juden und Muslime beanspruchten „die Gastung“ nicht (S. 114). Diese weise Politik machte „Ungarn zum typischen Gastland“, wodurch „ein Modell multikultureller Wechselwirkung“ mit Langzeitwirkung geschaffen worden sei (S. 123). Das allein schon kontextualisiert zu haben, stellt den besonderen Wert dieses Archivbands aus dem Siebenbürgen-Institut dar.

Die Übersetzungen aus dem Magyarischen und Rumänischen von Eva-Maria Papp haben bestmögliches Niveau. Alle Beiträge sind mit zweisprachigen Abstracts versehen, ein dreisprachiges Ortsnamenregister ist beigefügt.

Krista Zach, München

Zitierweise: Krista Zach über: Die Szekler in Siebenbürgen. Von der privilegierten Sondergemeinschaft zur ethnischen Gruppe. Hrsg. von Harald Roth unter Mitarbeit von Paul Niedermaier und Gabriella Olasz. Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2009. 280 S., Abb. = Siebenbürgisches Archiv, 40. ISBN: 978-3-412-20240-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Zach_Roth_Szekler_in_Siebenbuergen.html (Datum des Seitenbesuchs)

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