Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 3 (2013), 4 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Krista Zach

 

Laurenţiu Rădvan: At Europes Borders. Medieval Towns in the Romanian Principalities. Translated by Valentin Cîrdei. Leiden, Boston, MA: Brill, 2010. XXIX, 613 S., 9 Ktn., 1 Abb. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 7. ISBN: 978-90-04-18010-9.

Am Schluss dieser umfassenden und beachtenswerten Arbeit stehen die drei Sätze, deretwegen interessierte Leser die Mühe nicht scheuen sollten, sich mit einem wesentlichen Aspekt der komplexen mittelalterlichen rumänischen Geschichte in ihren Anfangsphasen vertraut zu machender Stadtgeschichte.

We hope that this work has contributed to changing [the view] how the Romanian Principalities have been perceived. Despite being on the borders of Europe, the towns and the townspeople here were entirely a part of it. The path followed by urbanization, the town institutions, society at large and its pursuits prove this beyond any doubt. (S. 556) Diese Schlussworte richten sich nicht so sehr an die kleine internationale Städteforschergemeinschaft, sondern vor allem an die rumänische Historiographie, die seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts den Dialog mit und den Anschluss an die europäische Stadtgeschichtsforschung offensichtlich mied, übrigens darin teilweise vergleichbar mit der Situation im benachbarten Polen und Ungarn. Auch wenn die Hoffnung Laurenţiu Rădvans wohl noch eine Weile auf ihren breiten Niederschlag in der rumänischsprachigen historiographischen Praxis wird warten müssen, ist anzumerken, dass sich der Autor in diesem Buch den qualvollen Spagat zwischen kulturpolitischemProtochronismus (Protochronismus meint in nationalistisch-rumänischer Sehweise die Unart, wichtige historische Ereignisse und Tatbestände zugunsten der Rumänen vorzudatieren, ohne dafür eindeutige Quellen benennen zu können; er ist älter als die sozialistische Ära, es wurde davon damals aber besonders unkontrolliert Gebrauch gemacht) und nüchterner wissenschaftlicher Faktendarstellung weitgehend ersparte. Sein Verdienst ist es nämlich, die inzwischen international und ebenso auch national  erarbeiteten Forschungsstände zum Thema (siehe die ausführliche bibliographische Liste hierzu, in der deutsch- und rumänischsprachige Titel auffallen, magyarische allerdings weitgehend fehlen, sofern sie nicht in anderen Sprachen veröffentlicht wurden; erstaunlicherweise werden diese nationalen Forschungsstände im Werk selbst kaum jemals zitiert) systematisiert, gelegentlich mit eigenen Folgerungen versehen und in einen (südost)europäischen Gesamtkontext eingeordnet zu haben.ohne dabei die Arbeiten aus rumänischer Feder und die zahlreichen Kontroversen zu übersehen.

Der Verfasser kommt von der A.-I.-Cuza-Universität zu Jassy/Iaşi und ist Mitglied der vor wenigen Jahren von Paul Niedermaier (Sozialgeschichtliches Forschungszentrum Hermannstadt/Sibiu) ins Leben gerufenen Stadtgeschichtskommission Rumäniens, der ersten übrigens im südöstlichen Europa. Diese Kommission gibt seit 2005 in loser Folge Städteatlanten (rumänisch- und deutschsprachig, mit topographischen, kulturhistorischen und archäologischen Daten, Zeittafeln, Skizzen, Bibliographie) heraus, die den neuesten Forschungsstand bündeln. Sie sind bereits zu einem unverzichtbaren Arbeitsinstrument geworden, darunter je ein Atlasband (DIN A3 Format) zu Suceava (2005), Târgovişte (2006), Câmpulung (2008), Siret (2010). (Atlas istoric al oraşelor din Româ­nia/Städte­geschichteatlas Rumäniens. Bucureşti, in drei Reihen: A. Transilvania/Siebenbürgen, B. Ţara Românească/Walachei, C. Moldova/Moldau.) Rădvan ist auch wissenschaftlicher Ko-Referent des Atlasprojekts der Kommission.

„At Europes Borders“ umspannt den Zeitraum vom Ende des 13. bis zum ausgehenden 15. Jh., also die Frühgeschichte der beiden rumänischen Fürstentümer. Es gliedert sich in drei große Kapitel: Medieval Towns in Central and Eastern Europe“,Towns in Wallachia“,Towns in Moldavia“. Zu jedem der drei Kapitel gibt es Fallstudien, so u. a. in Kap. 1 zu Breslau, Krakau; Buda, Pest, Szeged; Zagreb undrecht pauschalden slowakischen Bergstädten und den siebenbürgisch-sächsischen Städten nachDeutschem Recht (dazu Dirk Moldt: Deutsche Stadtrechte [siehe die Rezension in dieser Zeitschrift].). Es kann als geschickter Kunstgriff gegenüber den einheimischen Vorbehalten zu Rădvans Themenbehandlung gelten, dass die städtische Siedlungsgeschichte der rumänischen Spätankömmlinge unter Europas Staaten (S. 115 f.) hier in den Kontext der westlichen, östlichen und südlichen Nachbarländer Ungarn, Polen, Kiewer Rus’, Bulgarien und Serbien eingebettet und mit diesen parallelisiert wird. Doch das Buch Rădvans ist nicht polemisch angelegt.

Erörterungen der Topographie und Toponymik wie in Kap. 1 fehlen leider in Kap. 2 und 3. Dafür wird dort in je einem UnterkapitelBackground“ die Staatsbildungsgeschichte in den beiden Fürstentümernnicht ohne die bekannten Brüche und offenen Fragendurchgezogen, um dann zur Hauptsache,The Emergence of Towns“, zu kommen.

Einführend wird die altbekannte Frage gestellt,How do we define a town?(S. 1), und die äußerst dünne Quellenlage (an Urkunden, aber auch fehlenden bzw. unsystematisch erarbeiteten archäologischen Befunden) festgestellt. An einer Idealdefinition von Stadt als a community of free, privileged citizens for whom trade and the manufactur[ing] of common or luxury items were a way of life(S. 1) die Marktflecken und Städte der Walachei und Moldau im 13./15. Jh. vergleichend zu messen, ist oft nicht möglich. Eindeutige stadtrechtliche Urkunden (Stadtrechte) sind nicht überliefert, aber aus Hinweisen zu städtischen Institutionen und Erzählquellen des 16./17. Jh.s folgert der Autor auf deren zumindest teilweises Vorhandensein. Auch die Rolle des Landesfürsten als Initiator, der (wie andernorts in den Nachbargebieten) Kolonisten zur Förderung des Handels und wohl auch zur Städtegründunggerufen habe, wird immer wieder betont, auch wenn dies nur selten eindeutig zu belegen ist. DasDeutsche Rechthabe in den rumänischen Fürstentümern zumindest partiell Geltung genossen. Die Argumentation folgt in den beiden Kapiteln 2 und 3 einleitend anhand von Beschreibungen des Territoriums, der sozialen wie ethnischen Verhältnisse und des Wirtschaftsaufkommens in eigenen Unterkapiteln und ausführlichen Fallstudien.

Die Städtegeschichte der Walachei war bereits das Thema der Dissertation von L. Rădvan. Wahrscheinlich ist es recht wenig verändert in das vorliegende Buch eingegangen. Denn in dem entsprechenden 2. Kapitel fällt eine immer wieder nur sehr zögerliche Loslösung von althergebrachten historiographischen Standards auf, vergleicht man es mit dem anschließenden, neu geschriebenen Moldau-Kapitel. Letzteres kann sich auch auf einen besseren Quellen- und Forschungsstand stützen (Spinei, Gorovei u.a.).

Abschließend seien nur einige problematisch erscheinende Aspekte herausgegriffenzunächst die Terminologie: Der angelsächsische Begriff urbanisation (auch dt. für das 19. Jh., die Modernisierungsgeschichte) erscheint wenig passend für das 13.15. Jh., alslaut dem Verfasserim 14. Jh. allmählich in den rumänischen Fürstentümern, wie auch in den Nachbargebieten, aus pre-urban so genannte urban settlements entstanden seien (S. 5, 115 f.), dietowns (oppidatrgvaros/oraş). Ausgegangen wird sowohl von den Bezeichnungen städtischer Siedlungen als auch von lateinischen Schriftquellen. Die topographischen Belege fehlen bis auf vier summarische Kartenskizzen für Câmpulung, Cetatea Albă, Kilia und Iaşi.

Mangels zeitnaher Quellen wird oft ex post argumentiert, z.B. nach Orts- und Bestandsbeschreibungen der katholischen Missionare aus dem 17. Jh., wie Marco Bandini, Luca Deodati u. a.

Der Fürstenhof als power center des Handels und Wandels im 14./15. Jh. (S. 134, 142) angesichts des Vorhandenseins urbaner Marktstädte der Kolonisten (hospites) wie Câmpulung, Suceava oder Târgovişte erscheint wenig plausibel, dies bleibt eher Theorie als mit Quellen belegbar.

Graew(im Glossar, 557) ist eine engl. Erfindung für Gräf/grev. Wenn Hussiten alsMagyarenund Csangonen als Rumänen bezeichnet werden, sind das Versatzstücke aus der nationalen Historiographie (230, 351).

Einiges hat wohl das Lektorat übersehen, z.B. die durchwegs uneinheitliche Schreibung der Ortsnamen,old German(S. 11) gab es im Mittelalter nicht; stattHospitallersoll es für das Jahr 1211Teutonic Knights(S. 552) heißen. Die englische Übersetzung ist erfreulich ordentlich.

Sehr lesenswert sind dieConclusions“ (S. 551–556), in denen tatsächlich durchwegs wissenschaftlich argumentierte Stadtgeschichte für die Frühzeit der rumänischen Fürstentümer kompakt und übersichtlich zusammengefasst aufscheint. Diese Schlussfolgerungen widersprechen klar und deutlich den noch des Öfteren an überholten Hypothesen orientierten Darstellungen auf manchen Seiten des Werkes, vor allem in Kapitel 2 zur Walachei.

Ein Glossar, eine sehr ausführliche Bibliographie auf 32 S. und ein Register ergänzen das Pionierwerk Larenţiu Rădvans.

Krista Zach, München

Zitierweise: Krista Zach über: Laurenţiu Rădvan: At Europe’s Borders. Medieval Towns in the Romanian Principalities. Translated by Valentin Cîrdei. Leiden, Boston, MA: Brill, 2010. XXIX, 613 S., 9 Ktn., 1 Abb. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 7. ISBN: 978-90-04-18010-9, http://www.oei-dokumente.de/JGO/erev/Zach_Radvan_At_Europes_Borders.html (Datum des Seitenbesuchs)

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