Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 6 (2016), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Krista Zach

 

Alexandru Madgearu: Byzantine Military Organization on the Danube, 10th–12th Centuries. Leiden: Brill, 2013. XII, 212 S., Ktn., Graph., Abb. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 22. ISBN: 978-90-04-21243-5.

Florin Curta (*1965 in Bukarest) lehrt seit 1999 Balkangeschichte an der Universität Florida. Publikationen wie The Making of the Slavs. History and Archaeology of the Lower Danube Region, c. 500–700 A.D. (Cambridge 2001); Southeastern Europe in the Middle Ages, c. 500–1250 (Cambridge 2006); The Edinburgh History of the Greeks, c. 500 to 1050. The Early Middle Ages (Edinburgh 2011) weisen ihn als Kenner der mittelalterlichen Geschichte Südosteuropas aus. Als General Editor betreut er die englischsprachige Reihe East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, die es heute auch den des Rumänischen, Ungarischen, Polnischen usw. nicht Kundigen ermöglicht, wichtige, teils bahnbrechende, aus diesen Räumen kommende Forschungsergebnisse der letzten beiden Jahrzehnte binnen kurzer Frist wahrzunehmen. Denn nach der Wende sind im östlichen Europa so manche der altbekannten nationalistischen wie systembedingten Scheuklappen abgelegt worden, jüngere Forscher konfrontieren die altbekannten Quellen und frühesten Chroniken einzelner Völker mit den neuesten archäologischen Grabungsergebnissen und kommen zu teils aufsehenerregenden Ergebnissen. Archäologie, Ethnographie und Anthropologie erhalten jetzt neben der Philologie und der Historie ihre je spezifischen Daseinsnischen.

In der Geschichte Rumäniens sind dies vor allem die ‚dunklen‘ und zugleich für die Ethnogenese der Rumänen entscheidenden Jahrhunderte vom 9./10. bis zum 13. Jahrhundert, mit Schauplätzen u.a. an der Unteren Donau und deren Delta, im Haemus, in Syrmien und dem (späteren) Banat – dunkel vor allem wegen des Mangels an Schriftquellen. Hier verlief im 10.–12. Jahrhundert wieder eine Grenze, die durch kontinuierliche Einfälle von Awaren (584–626), Slaven (6./7. Jahrhundert), Warägern der Kiever Rus (860, 971), Petschenegen und Magyaren (ab 839, 1027, 1059, 1080) sowie Kumanen (ab 1095, 1122), um nur die wichtigsten zu nennen (S. 7–84 passim), die während rund 600 Jahren stets gefährdete und mehrmals aufgelassene Nordostgrenze des Byzantinischen Reiches. Die längst bekannten und ausgewerteten byzantinischen Schriftquellen und lokalen Chroniken (u.a. der Magyaren, der Russen) sowie archäologische Grabungsergebnisse, vor allem in der Scythia Minor und entlang der Unteren Donau, aber auch in Preslav, hatten für einige Zeit ein Bild dieser für zahlreiche Migrationen der „mixtobarbaroi/“semi-barbarians“ (wie sie Anna Komnena in ihrer Alexiade nennt; dazu siehe Madgearu, S. 87–88) durchlässigen Räume entstehen lassen, das nicht zuletzt auch die (gefühlte) neuzeitliche ‚Nationalgeschichte‘ der Rumänen und Bulgaren bediente und noch bedient. Was aus jüngsten Funden an Erkenntnissen seit 1990 nunmehr vorliegt – aus weiteren Grabungen an den römisch-byzantinischen Donauforts, aus der massenhaften Auswertung von Siegelumschriften der Stadt- (stratiotai), Themen- (strategoi) und Provinzkommandanten (katepanoi) in diesem Raum, von Münzfunden, Artefakten usw. – hat dieses Bild in Teilen erheblich verändert. Das macht den Wert von Madgearus aktueller Zusammenschau aus, doch geht es auch hierbei immer noch um ein work in progress.

Die neue Reihe des in Leiden beheimateten Brill Verlags East Central and Eastern Europe in the Middle Ages umfasst inzwischen fast 30 gut ausgestattete Bände, die auch als E-Books verfügbar sind. Kürzlich erschienen hier mehrere Arbeiten von rumänischen Autoren, so beispielsweise von Victor Spinei über das Habitat der einzelnen Gruppen, Migranten wie Sesshafte (The Romanians and the Turkic Nomads North of the Danube Delta from the Tenth to the Mid-Thirteenth Century, 2009) sowie Virgil Ciocîltan über die Wege des Ost-, Nord- und Westhandels (The Mongols and the Black Sea Trade in the Thirteenth and Fourteenth Centuries, 2012), und nun liegt als Band 22 Alexandru Madgearus Buch vor. Alle drei Bände rekurrieren auf ältere rumänischsprachige Publikationen, die für die englische Ausgabe mehr oder weniger intensiv aktualisiert wurden. Im Falle Madgearus ist dies nicht allein eine bibliographische Ergänzung seiner 2007 rumänisch publizierten Studie; die kontinuierliche Einarbeitung neuer Fundsituationen sowie die Revision älterer, mitunter auch eigener Ansichten des Autors, sind an der nun vorliegenden englischen Fassung von 2013 besonders hervorzuheben.

Eine knappe Übersicht der Forschungsgeschichte seit den siebziger Jahren bringt Madgearu in der Einleitung (S. 1–5). Hervorgehoben wird, dass die byzantinische Militär- und Verwaltungsgeschichte, insbesondere aber die Organisation der Donaugrenze in ihrem letzten Abschnitt durch zahlreiche neue archäologische und sigillographische Forschungsberichte südosteuropäischer Archäologen und Historiker, in wesentlichen zu Einzelfragen wie Datierungen, Ortsnamen, Bevölkerungsbewegungen, als eine oft kaum überschaubare, komplexe Geschichte dieser Räume, erheblich erhellt werden konnte. Auch westliche Byzantinisten trugen neue Zusammenfassungen zur Militärgeschichte des Reiches bei (Haldon 1999, Kühn 1991, Shepard 1999, Treadgold 1995, Stephenson 2000, 2003 werden genannt). Zurecht betont Madgearu: „A new synthesis is now possible and necessary. Madgearu verweist auf den Überblick von V. Tăpkova-Zaimova und D. Stoimenov Otnovo za Dolni Dunav (kraj na X–XI v.). Varna 2004, S. 341–348. Und die geforderte Synthese legt er selbst nun hiermit vor.

Das Buch bietet in drei Kapiteln eine stupende Fülle von Einzeldaten, deren gelegentliche, abschnittweise Zusammenfassung die Lektüre erheblich hätte erleichtern können. Die Kapitel ergeben zugleich eine Chronologie der militärischen Entwicklungen an der Donau im Abschnitt von Belgrad/Braničevo/Vidin bis Garvăn/Isaccea/Tulcea/Nufăru (heutige Orte entlang der Donau ab dem letzten Knie und dem südlichen Deltaarm Chilia, siehe Karten 3, 4 und 8):

Im 1. Kapitel, Wiedererlangung der byzantinischen Donaugrenze im 10. Jahrhundert, wird dargelegt, wie die bulgarisch besetzten Donauforts nach dem Sieg über die Bulgaren 944/45 bzw. nach den Friedens- und Bündnisverträgen mit der Rus (971, 986) abermals mit byzantinischen Grenzwächtern belegt wurden (S. 23–24, 30–46). In diesem Kapitel gibt es auch kompakte, kurze Überblicke zur Migrations-, Ansiedlungs- bzw. Überfallgeschichte der verschiedenen ‚Halb-Barbaren‘ in den byzantinischen Donauprovinzen Bulgaria, Moesia, Scythia Minor (auch „Western Mesopotamia“, S. 86 passim).

Im 2. Kapitel, Militärische Organisation der Donauregion, wird vor allem das Thema Dristra (später Paradunavon – 1095) wie auch die befestigungs- und bevölkerungsmäßige Ausdünnung dieser Provinz im 11. Jahrhundert beleuchtet. Es gelingt Madgearu, eine (wenn auch nicht vollständige) Liste der dortigen Stadt- und Provinzkommandanten samt deren Funktionen für den Zeitraum 971–1095 nach Siegelumschriften zu erstellen (S. 86–87).

Im 3. Kapitel, Die Donaugrenze von Byzanz (1000–1204): Funktion und Entwicklung wird zunächst das Ziel dieser Reorganisation nach 971genannt: sie sollte die Rus fernhalten, nachdem der Plan des Kiever Fürsten Svjatoslav I. in jenem Jahr gescheitert war, seinen Herrschaftssitz vom Dnjepr  an die Donaudeltagrenze nach „Presthlavitza“, rum. Nufăru am Chiliaarm im Süden) zu verlegen. Das Interesse der Rus an dieser Position dürfte vor allem am Ost-West-Fernhandel gelegen haben. Mehr als 20 Forts entlang der Unteren Donau, manche auf römischen Ruinen gelegen, werden reorganisiert (S. 102–113) und hier z.T. auch mittels Planskizzen, beschrieben. Weitere Attacken und Raubüberfälle turischer Reiternomaden, vor allem der Petschenegen und schließlich der Kumanen (so 1122), veranlassen Byzanz im 11./12. Jahrhundert, die Grenzbefestigung von der Unteren Donau auf den Haemuskamm zurückzunehmen, denn an der Unteren Donau gab es ab etwa 1046 zwischen Byzantinern und barbaroi keine feste Grenze mehr (S. 125, 129). Den Raubzüglern von jenseits der Grenze sollten durch die Rücknahme auch der Bevölkerung die Ressourcen weggenommen werden, wie Madgearu betont. Zurück blieben sog. deserta, in denen bald foederati angesiedelt wurden. Diese Taktik der Byzantiner erinnere an die Auflassung anderer Regionen des Reiches, schon zu Zeiten der Römer, z. B. in Dazien oder an die Ansiedlung der Goten 376 (S. 124).

Zudem verschärfen sich seit der Besetzung Kroatiens durch Ungarn (1091) die Spannungen auch zu diesem Staat an der mittleren Donaugrenze im Raum Belgrad/Vidin. Trotz Friedensverträgen (1155, 1167), Gebietstausches und Heiratsverbindungen ist und bleibt dieser Teil der Donau gefährdet (S. 148–150); hier entsteht ein neuer, als viel wichtiger erachteter Konfliktbereich für Byzanz. Soldat zu werden sei daher als häufige Option aufgefallen.

Ab 1199 ziehen die Byzantiner sich endgültig von der Unteren Donau zurück. Militärhistoriker hätten, so referiert Madgearu, auch die Neuorganisierung der Armee hervorgehoben: Statt der byzantinischen Söldnertruppen sei im 12. Jahrhundert eine Feudalarmee („feudal army“, S. 160), ähnlich westeuropäischen Heeren, entstanden, bestehend aus lokalen bäuerlichen Kräften, darunter Vlachen, aber auch foederati, die u.a. kleine Landgüter erhalten hätten (S. 160).

Unter den zahlreichen Richtigstellungen ragen einige heraus, so die Geschichte der Provinz Paradunavon (S. 64–65, 87–88), die sich über Gebiete südlich der Donau bis nach dem ‚Westlichen Mesopotamien‘, der (rum.) Dobrudscha, erstreckt habe. Dies sei nach den Petschenegeneinfällen von 1047/1053) bewusst ein halboffener Raum („half-open space“, S. 168), eine Region mit verlassenen Orten („deserted places“, S. 170) gewesen, da es die turischen Reiter inzwischen verstanden hätten, Donaufestungen zu umgehen.

Hervorzuheben sind ferner Klärungen zu einigen Quellennamen, die das herkömmliche Geschichtsbild verändern: Eine plausible Hypothese zur Lokalisierung von „Vicina“ sei, so Madgearu, eine gesunkene Insel bei Garvăn bzw. Isaccea (S. 129). Wichtig erscheint folgende Präzisierung Madgearus: „Presthlavitza“ ist (rum.) Nufăru am Chiliaarm des Deltas (und nicht Preslav/Bulgaria, S. 89–90). Daher habe der Kiever Fürst Svjatoslav I. seine Residenz nicht in Bulgarien, wie bislang angenommen (So u.a. Günther Stöckl: Russische Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart. 2. Aufl. Stuttgart 1965,  S. 44–45), sondern am südlichen Donauarm errichten wollen – was dem ersten russischen Vorstoß ins Donau‑/Schwarzmeergebiet – in nachfolgenden Jahrhunderten ein stetes Trauma der Rumänen – gleichkäme.

Zu erwähnen sind auch einige eingestreute Hinweise auf Bevölkerungsbewegungen, so die Ansiedlung Gefangener aus Adrianopel und Thrazien, belegt durch byzantinische Artefakte und Schriftquellen, in einem langen Streifen nördlich der Unteren Donau, als die Bulgaren nach der Teilung Thraziens (813/816) in diese Räume expandierten (S. 13, 33). Madgearu vermeidet es, heilige Kühe der rumänischen Forschung vergangener Jahrzehnte wie die Kontinuität romanischer Siedlungen in Dazien etc. zu erwähnen. Das sind aber sehr wohl Themen, die diesen Autor beschäftigen und worüber er mehrfach publiziert hat, z.B. The Romanians in the Anonymous Gesta Hungarorum: Truth and Fiction (Cluj-Napoca 2005; rumänische Erstausgabe Cluj-Napoca 2001). Verwiesen wird aber öfter auf die Vlachen, die „aus den Bergen Thraziens“, gemeint ist der Haemus, kämen (S. 140, 143, 159). Anna Komnena bezeichnet sie in ihrer Alexiade als „full of warlike frenzy (possessed by the god Ares)und, dass sie selbst sich „Armâni“ genannt hätten (S. 140).

Aber, wie Madgearu betont, „this book is not concerned with the state created by the Assenids [but with] the events, that caused the end of the Byzantine military organization along the Danube.“ (S. 159) Für den endgültigen Rückzug der Byzantiner von der Unteren Donau aber war die Rebellion der Asseniden-Brüder Asen und Peter (Theodor) zusammen mit den Vlachen aus dem Haemus bzw. die Gründung des Zweiten Bulgarisch-Vlachischen Staates Anfang des 13. Jahrhunderts sehr wohl das entscheidende Ereignis.

Der wissenschaftliche Apparat vorliegenden Werkes ist umfangreich: Neben dem Abkürzungs- und Kartenverzeichnis liegen eine Bibliographie auf 25 Seiten sowie Indizes zu Personen- und Ortsnamen, Quellen und modernen Autoren vor. Beim Ortsnamenverzeichnis wäre eine Konkordanz hilfreich gewesen, um manche Verwirrung zu vermeiden. Die Übersichtlichkeit des Kartenteils leidet zudem an der bunten Vielfalt historischer, moderner, rumänisch- und englischsprachiger Beschriftung und dem Fehlen von Legenden auf den Karten zu Zeichen und Grenzziehungen (bes. auf Karte 1). All dieses schmälert jedoch den außerordentlichen inhaltlichen Wert dieses Werkes nur wenig.

Krista Zach, München

Zitierweise: Krista Zach über: Alexandru Madgearu: Byzantine Military Organization on the Danube, 10th–12th Centuries. Leiden: Brill, 2013. XII, 212 S., Ktn., Graph., Abb. = East Central and Eastern Europe in the Middle Ages, 450–1450, 22. ISBN: 978-90-04-21243-5, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Zach_Madgearu_Byzantine_Military_Organization.html (Datum des Seitenbesuchs)

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