Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 6 (2016), 2 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Krista Zach

 

Gail Kligman / Katharine Verdery: Peasants under Siege. The Collectivization of Romanian Agriculture, 1949–1962. Princeton, NJ, Oxford: Princeton University Press, 2011. XXI, 508 S., Abb., Tab. ISBN: 978-0-691-14973-8.

Die im 20. Jahrhundert ‚erfundene‘ neue Form der Unterdrückung bäuerlicher Bevölkerungen weltweit eine seit Jahrtausenden geübte Praxis war die Kollektivierung der Landwirtschaft. Sie bestand aus der Enteignung von Land (Boden), Nutztieren wie Gerätschaften aus bäuerlichem Besitz und umfasste zunächst die Sowjetunion, nach dem Zweiten Weltkrieg dann auch große Teile Osteuropas, China und weitere Gebiete.

In Feld- und Archivarbeit aus der Zeit der SR Rumänien erfahren, setzen sich die beiden Autorinnen ein recht anspruchsvolles Ziel, das sie mittels zweier Hauptthemen zu erreichen anstreben. Das erste betrifft „Kommunismus und Eigentum in Rumänien“ und „to illuminate a policy experienced by millions of peasants worldwide“ (S. XIII) nach der politischen Wende seit 1990.

Das übergeordnete (zweite) Hauptthema, aus dessen Analyse auch neue Erkenntnisse erwartet werden könnten, bilden jedoch Fragen nach der Wechselbeziehung zwischen Eigentums- wie Personenveränderung und Staat als Folge der Kollektivierung in Rumänien – „Collectivization [] Transforming Property, Persons, and State“ (S. XIII). Diesen Fragen widmete sich im Zeitraum von 1998/99 bis 2005/06 ein aus 19 Personen bestehendes multidisziplinäres Forscherteam mit Mitarbeitern aus den USA, Rumänien und Großbritannien, die vier verschiedenen Generationen angehörten. Sie befragten Quellen aus so unterschiedlichen Disziplinen wie u.a. Geschichte, Soziologie, Anthropologie, Ethnographie, Recht, Literaturkritik. In Rumänien stützte sich ihre Forschung folglich nicht nur auf Schriftquellen, sondern auch auf die Ethnographie, vornehmlich aber auf die Eruierung so genannter hidden histories, die sie mit Methoden der oral history zu dechiffrieren suchten.

Die Kollektivierung der Landwirtschaft folgte zwar auch in Rumänien, einem von kleinbäuerlichen Wirtschaften geprägten Land, den vom sowjetischen Blue-print vorgegebenen Zielvorstellungen, wies jedoch auch Elemente auf, die sich von der Stalinschen Praxis der Enteignung dörflichen Kommunalbesitzes unterschieden. Diese auszuloten und zu analysieren war ebenso eine Arbeitshypothese der beiden Autorinnen. Vier ihrer Unterscheidungskriterien seien hier vorweggenommen: (1.) war die rumänische KPR in diesen Jahren (1949–1962) schwach, weswegen (2.) die Kollektivierung auf 13 bzw. 17 Jahre in die Länge gezogen wurde – sie begann bereits im März 1945 mit der vollständigen Enteignung der deutschen Bauern in Rumänien, die hier nur kurz berücksichtigt wird (siehe S. 106; dazu siehe auch Dumitru Şandru: Reforma agrară din 1945 în România. Bucureşti 2005 [1. Auflage 2000], auch Bibliographie S. 492) , (3.) teils weniger brutal verlief und (4.) auch Formen des Aushandelns von Bedingungen aufwies. Dem Nachweis und der Dokumentation dieser vier Sonderheiten für den Beispielfall der Kollektivierung mittels der genannten Vielzahl von Quellen ist das zweite Hauptthema der Autorinnen zuzuordnen. Denn sie betonen, dass die Kollektivierungsvorgänge für die ehemalige Sowjetunion besser erforscht seien als z.B. für Rumänien (S. 5). Dieser Feststellung folgen zunächst vergleichende Angaben für ganz Osteuropa (S. 49–87).

In Rumänien waren schließlich (bis 1962) etwa 77 % der Bevölkerung betroffen – rund 12 von 16 Millionen (laut Statistik von 1948) „collectivization was the major trauma of the socialist period in Romania“ (S. 3). Während in der ersten „Agrarreform“ von 1945 nur Landlose Bodenparzellen erhielten (die vornehmlich aus der Enteignung der deutschen Minderheit hervorgingen) – es wurden damals 154.500 deutsche Familien enteignet –, erklärten die Parteiorgane die Kollektivierung 1962  für abgeschlossen. Diese Vorgänge untersuchen die Mitarbeiter am Forschungsprojekt Transforming Property … anhand von mehreren Rastern: Region, Fruchtbarkeit der Böden, Ethnie, Religion/Konfession der Betroffenen, sozialer Status nach der Enteignung. Dabei wird die durch Ungleichheit und Armut gekennzeichnete Agrarstruktur Vorkriegsrumäniens zwar als „nicht ideal“ erwähnt (S. 9), nähere Angaben dazu fehlen aber (siehe zum Beispiel Henry L. Roberts Romania. New Haven 1951; besser, da mit sehr detaillierten Statistiken und anderen Angaben bis 1939 versehen, ist die fast verschollene Studie von Marius Gormsen Short Introduction to he Principal Structural Problems of the Agriculture in Roumania. Bukarest 1945. Diese ist jetzt als Nachdruck verfügbar in: Modernisierung auf Raten in Rumänien. Anspruch, Umsetzung, Wirkung. Hrsg. von Krista Zach und Cornelius R. Zach. München 2004, S. 238–232).

Das übergeordnete Ziel der Kollektivierung war die Zerschlagung der traditionellen Dorfgemeinschaft mit ihren Verwandtschafts- und Statusbeziehungen (bei allen Ethnien), teilweise auch durch intensive Propagandamethoden. Die damit angestrebte ‚Umerziehung‘ gelang nur teilweise, sie fand Grenzen an Starrsinn und Sturheit vieler Bauern (S. 41). Doch auch die positiven Folgen dieser grandiosen Umstrukturierung werden genannt, z.B.: Das bäuerliche Leben sei durch Technologietransfers modernisiert und „bürokratisiert“ worden (S. 41), neue Jobs in Landwirtschaft und Industrie seien entstanden, Frauenarbeit auch dadurch aufgewertet, Weiterbildung ermöglicht worden (S. 41–42).

Die Conclusions, ausgehend von Präsident Traian Băsescus öffentlicher Verdammung des kommunistischen Regimes in Rumänien in beiden Kammern des Parlaments (18.12.2006), nehmen nochmals die wichtigsten Themen – samt Grundlagen und Ergebnissen – dieses Forschungsprojektes auf und betonen die Notwendigkeit weiterer Forschung (S. 444–459).

In drei Appendices werden neun Projektteilnehmer (I.), die Methoden (II.) und eine Liste der Interviewer wie der Interviewten (III., nach Alter, Geschlecht, Beruf, S. 472–-479) genannt. Schwierigkeiten haben – den Angaben im Anhang II. Methoden zufolge – der nach 1990 immer noch erschwerte Archivzugang, die Sprachen (z. B. Parteijargon, regionale Ausdrucksweisen), der Umgang mit den teils verunsicherten, teils endlich frei reden könnenden Interviewpartnern, die Memoiren-Bewertung von „Helden und Opfern“ (S. 466–467) usw. bereitet. Betont wird immer wieder die Notwendigkeit weiterer Forschung, so auf den Seiten 444–459. Eine umfangreiche (fast nur rumänisch- und englischsprachige) Bibliographie sowie ein kombiniertes Personen-, Orts- und Sachregister beschließen diesen interessanten Band.

Krista Zach, München

Zitierweise: Krista Zach über: Gail Kligman / Katharine Verdery: Peasants under Siege. The Collectivization of Romanian Agriculture, 1949–1962. Princeton, NJ, Oxford: Princeton University Press, 2011. XXI, 508 S., Abb., Tab. ISBN: 978-0-691-14973-8, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Zach_Kligman_Peasants_under_Siege.html (Datum des Seitenbesuchs)

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