Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 1 (2011), 3 Rezensionen online

Verfasst von: Krista Zach

 

Vom Faschismus zum Stalinismus. Deutsche und andere Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa 1941–1953. Hrsg. von Mariana Hausleitner. München: IKGS Verlag, 2008. 251 S. = Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 114. ISBN: 978-3-9811694-0-9.

Mit solch einem plakativen Buchtitel scheint ein abgenütztes Braun-Rot-Klischee wiederbelebt, welches linke Publizistik jahrzehntelang der rechten als den falschen Analyseansatz entgegengehalten hatte, besonders im westlichen Deutschland. Der Untertitel verweist zugleich auf einen gesellschaftsanalytischen Indikator, den viele aus der scientific community bis 1992 sorgsam gemieden und oftmals geschmäht hatten – ‚ethnische Minderheiten‘. Seit den Sezessions- und Homogenisierungskriegen im ehemaligen Jugoslawien, die unter dem Vorzeichen des ‚ethnischen Nationalismus‘ geführt wurden, ist dieser Indikator blitzartig ins Zentrum allgemeiner wissenschaftlicher Aufmerksamkeit gerückt.

Als bedauerlich kann daher angemerkt werden, dass der hier angezeigte Band diesen geschichtstheoretischen Hintergrund umgeht, die brisante Thematik also nicht etwa in einem einführenden Essay mit Bezug auf das östliche Europa ausleuchtet oder auch nur die aktuelle Forschungslage zu skizzieren versucht. Letzteres leistet nur der Leipziger Nachwuchswissenschaftler Carl Bethke einführend zu seiner Analyse „Von der ‚Umsiedlung‘ zur ‚Aussiedlung‘. Zur destruktiven Dynamik ‚ethnischer Flurbereinigung‘ am Beispiel der Deutschen in Bosnien und Kroatien 1941–1948“ (S. 23–39, bes. 23–24), die, von Begriffsstereotypen ausgehend, zu einer einsichtigen These gelangt. Fast alle anderen Beiträge gehen ex abrupto an ihr Thema heran, zitieren zum Teil reichlich aus neuem Archivmaterial, und belassen es meistens dabei.

Besonders fokussiert wird in diesem Sammelband, der zwei vom Münchner IKGS konzipierte und organisierte international besetzte Tagungen dokumentiert – die eine 2005 in Temeswar gemeinsam mit der Westuniversität, die andere 2006 an der Geschichtsfakultät in Pécs/Fünfkirchen abgehalten –, auf jene beiden größeren Minderheitengruppen, die während des Zweiten Weltkrieges im südöstlichen Europa eine „privilegierte Rolle“ (S. 8) gespielt haben, auf Deutsche und Ungarn. Die deutschen Minderheitengruppen werden in mehreren der Beiträge auf den bekannten Analysefolien von Mitläufern der Nationalsozialisten, (Mit-)Tätern und (frühesten) Opfern des Systemwandels behandelt. Norbert Spannenberger rückt in seinem Text „Systemtransformation und politische Säuberungen in Ungarn 1944–1946“ (S. 107–120) auch die Ungarn an das ‚Täter-Opfer‘-Schema heran. Dafür ruft er nicht nur den nationalistischen Schriftsteller Gyula Illyés auf, der 1932 den „Kreuzzug“ gegen den Geist „im judäo-germanischen Budapest“ predigte (S. 117), sondern auch den besonnenen Sozialdemokraten, Politiker und Soziologen István Bibó, der 1946 die Vertreibung Ungarndeutscher mit den Worten kommentierte: „Wir tun jetzt mit ihnen nichts anderes als vor einem Jahr mit unseren Juden“ (S. 116).

Der Band gibt trotz gemeinsamer Ausgangspunkte wie u.a. Integrations- und Assimilationsstrategien unter dem Diktat nationalistischer oder sozialistischer Ideologien sowie Techniken der Gleichschaltung und der ethnischen Säuberung keine gemeinsamen Strukturmerkmale zu erkennen, da nur immer exemplifiziert und das Beschriebene nur selten auf eine Metaebene der Reflexion und des Vergleichs (S. 23–24, 38–39) gehoben wird. Es sind meist nur die bekannten Rituale einer politischen Wahrnehmung des Anderen als ‚feindliche Fremde‘, die in den einzelnen Beiträgen hervortreten wie: Bestrafung und Belohnung (z.B. bei der Agrarreform in Rumänien, Ungarn und Jugoslawien; S. 177), Verschweigen (Roma existierten in der Politikwahrnehmung aller sozialistischer Gesellschaftsordnungen bis in die siebziger Jahre gar nicht, weil sie nicht in die sowjetmarxistische Nationalitätentheorie passten, und sie blieben bis 1989 außerhalb der kulturellen Förderungen; S. 205), Aus­wei­sung/Ver­trei­bung und (staatlich insgeheim gelenkte) Auswanderung der Juden und der Deutschen (S. 179–180, 189).

Zwei Beiträge heben sich auch thematisch von den anderen deutlich ab. Deninis De­le­tant beschreibt knapp und prägnant einige „Politische und soziale Rahmenbedingungen im Donauraum. Die Politik Großbritanniens in Südosteuropa vom Sommer 1944 bis Ende 1945: Ein Sichabfinden mit der Realität“ (S. 65–76). Hier wird die willentliche Preisgabe des östlichen Europa seitens der Westalliierten beleuchtet. Ar­min Heinen liefert mit drei Thesen zum Systemwechsel in Rumänien einen wirklich anregenden Beitrag: „Überwältigung – Verstrickung – Sprachlosigkeit. Die Stalinisie­rung Rumäniens, die Geschichte der nationalen Minderheiten 1944–1947 und die Logik der Argumente“ (S. 77–90). Seine Argumentation, dass diese drei Thesen auch für die Minderheiten gälten, scheint etwas zu kurz geraten (S. 90). Zwei weitere, nur einer Minderheitengruppe gewidmete Beiträge – Juden im Banat (Hildrun Glass) und Roma in Rumänien (Viorel Achim) – bringen wenig Neues; ihre Autoren sind durch viele ihrer Werke zu diesen Themen längst bestens ausgewiesenen.

Dass die Assoziationen, welche die wohl eher unbeabsichtigt klischeehafte Titelgebung erweckt, sich doch wieder zerstreuen, legt die Lektüre der meisten 16 Beiträge dieses Sammelbandes selbst nahe. Die Herausgeberin kommentiert den Titel in ihrem rein deskriptiven „Geleitwort“ nicht. Sie hebt die Erschließung neuer Quellen in vielen der Studien zu Recht hervor und beschreibt sodann die dreigliedrige Struktur, die dem heterogenen Material durch thematische Bündelung und die Chronologie gegeben wurde: 1. „Deutsche Minderheiten in den Jahren des Zweiten Weltkriegs“ (J.-M. Ca­lic, C. Bethke, M. Hausleitner); 2. „Gesellschaftliche Entwicklungen unmittelbar nach Kriegsende“ (D. Deletant, A. Heinen, P. Polian, N. Spannenberger, N. Rutsch, F. Eiler) und 3. die von „Misstrauen“ geprägte Nationalitätenpolitik „der staatlichen Behörden“, die erwarteten, dass Minderheiten durch „die neuen Gesellschaftsstrukturen obsolet werden“ würden (Z. Janjetović, L. Nastasă, H. Baier, H. Glass, V. Achim, J. Brandt, M. Portmann; S. 7–8).

Eine Reflexion der thematischen Schlüsselbegriffe ‚Ethnikum‘, ‚ethnische Minderheit‘, ‚Volksdeutsche‘ usw. findet sich erst im letzten Beitrag, „Die kommunistische Nationalitätenpolitik in Jugoslawien zwischen Anspruch und Wirklichkeit (1944–1953). Die multinationale Vojvodina auf dem Prüfstand“ (S. 223–242), den einer der jungen Referenten, Michael Portmann, liefert. Bei ihm wird vor allem deutlich, wie das in diesem Buch präsentierte Rohmaterial aus der vielfach zitierten Quellensprache in historiographische Parameter umgesetzt werden kann, damit es also nicht bloß ‚diffizil‘ und immer wieder ideologisch wie regional-national ‚kontrovers‘ zitierbar bleibt. Portmann hat sich an der konzeptionellen Durchdringung des Themas in mehreren Studien und in seiner Dissertation abgearbeitet (S. 240–241).

Wie immer bei solch komplexen Zusammenhängen hätte der Leser über manche Themen gerne mehr erfahren, z.B. über „ethnische Homogenisierungspläne“ der VoMi, den geheim gehaltenen „Ausverkauf der Landeskinder“ in Rumänien zwischen 1950/51 und 1989 oder die unterschiedlichen Pläne vieler staatlicher Institutionen zum Bevölkerungstausch zwischen Nachbarstaaten in der Zwischenkriegszeit – galt das doch nach dem Ersten Weltkrieg als probates Mittel, ethnische Minderheitenkonflikte zu begrenzen bzw. zu beenden. Die nun auch im IKGS seit einigen Jahren erkennbare Fokussierung auf diese Thematik zum südöstlichen Mitteleuropa lässt eine baldige Fortsetzung erwarten.

Das knappe, teilweise flüchtig bearbeitete Register erschließt diesen sehr materialreichen Sammelband nicht ausreichend, liegt doch gerade im vielfältigen Quellengut sein Schwergewicht. Sonderzeichenfehler im südosteuropäischen Satz hätten in mehreren Studien leicht vermieden werden können.

Krista Zach, München

Zitierweise: Krista Zach über: Vom Faschismus zum Stalinismus. Deutsche und andere Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa 1941–1953. Hrsg. von Mariana Hausleitner. IKGS Verlag München 2008. = Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 114. ISBN: 978-3-9811694-0-9, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Zach_Hausleitner_Vom_Faschismus.html (Datum des Seitenbesuchs)

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Zitierweise: Krista Zach über: Vom Faschismus zum Stalinismus. Deutsche und andere Minderheiten in Ostmittel- und Südosteuropa 1941–1953. Hrsg. von Mariana Hausleitner. IKGS Verlag München 2008. = Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 114. ISBN: 978-3-9811694-0-9, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. Neue Folge, jgo.e-reviews 1 (2011), 3, S. : http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/Rez/Zach_Hausleitner_Vom_Faschismus.html (Datum des Seitenbesuchs)