Jahrbücher für Geschichte Osteuropas:  jgo.e-reviews 2 (2012), 1 Rezensionen online / Im Auftrag des Instituts für Ost- und Südosteuropastudien in Regensburg herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Dietmar Neutatz

Verfasst von: Martina Winkler

 

Rossijsko-Amerikanskaja Kompanija i izučenie tichookeanskogo severa 18411867. Sbornik dokumentov. [Die Russländisch-Amerikanische Kompanie und die Erforschung des den Nordpazifiks 18411867. Eine Quellensammlung.] Moskva. Nauka 2010. 483 S. = Issledovanija russkich na Tichom okeane v XVIII pervoj polovine XIX v., t. 5. ISBN: 978-5-02-037571-0.

Der fünfte und letzte Band der Editionsreihe zur russländischen Expansion und Exploration im Nordpazifik und auf dem nordamerikanischen Kontinent enthält Dokumente aus der Zeit von 1841 bis 1867. Diese Jahreszahlen beschreiben die letzte Phase der einzigen Überseekolonie des Russländischen Imperiums. Dass die Jahre Eckpunkte der Edition bilden, aber keine in Stein gemeißelten Grenzen, ist nur sinnvoll: Die ersten abgedruckten Dokumente stammen aus dem Jahre 1840, als der achte Gouverneur von Russisch-Amerika, Adolf Karlovič Etolin, seine Arbeit aufnahm. 1841 dann wurden die Privilegien für die Russländisch-Amerikanische Kompanie (RAK) ein zweites Mal für zwanzig Jahre verlängert; im selben Jahr aber wurde Fort Ross, der südlichste Stützpunkt der Kompanie in Kalifornien, wegen mangelnder Rentabilität verkauft. Die Nachklänge russländischer Herrschaft in Alaska, sowohl vor Ort als auch im Imperium selbst, hätten durchaus einen weiteren, sechsten Quellenband gerechtfertigt. Hier endet die Edition zumindest nicht mit dem Paukenschlag von Vertrag und Ratifikation, sondern liefert noch einige wenige Dokumente zu Abwicklung und Rezeption nach.

Die Situation der 1840er bis 1860er Jahre war geprägt von einer gewissen Stabilität und Routine einerseits – Etolin konnte auf eine ganz andere Tradition und Infrastruktur zurückblicken als die ersten, eher pionierartig agierenden Gouverneure der Kolonie – und gravierenden Problemen andererseits, die, zumindest im Rückblick, bereits klar als Vorgeschichte des Verkaufs Alaskas an die USA im Jahre 1867 gesehen werden können. In den strikt chronologisch geordneten Dokumenten spiegelt sich diese Ambivalenz sehr deutlich. Sie zeigen die Routinen und Probleme der Verwaltung, Versorgungsschwierigkeiten, wirtschaftliche Strategien und die Suche nach neuen Märkten. All dies stand häufig im Lichte eines Spannungsverhältnisses von Staat und Kompanie sowie der verschiedenen Standorte und Vertreter der RAK. Gleichzeitig zeigt sich der Alltag der Kolonie, der Umgang von kolonialer Verwaltung mit russischen Siedlern, der wachsenden kreolischen Bevölkerungsgruppe und der indigenen Bevölkerung sowie, nicht zu vergessen, dem orthodoxen Klerus. Diese Vielzahl der Akteure, deren Wahrnehmungen und Handeln in den Dokumenten gespiegelt wird, zeigt die Komplexität der kolonialen Struktur, die in der Forschung intensiv diskutiert wurde und wird (zuletzt von Ilya Vinkovetsky: Russian America. An Overseas Colony of a Continental Empire, 1804–1867. Oxford 2011). Darüber hinaus verdeutlichen die Dokumente die wachsende internationale Verflechtung der RAK, insbesondere in der Zeit vor und nach dem Krimkrieg. Russisch-Amerika war nie isoliert gewesen, sondern hatte seit dem späten 18. Jahrhundert, ob nun erzwungenermaßen oder freiwillig, an der internationalen Konkurrenz und Kommunikation im nordpazifischen und bald auch globalen Rahmen teilgenommen. Mit dem bereits seit den 1820ern immer deutlicher spürbaren Rückgang der Seeotterpopulation gingen die Einnahmen aus dem Pelzhandel zurück, und die RAK-Vertreter mussten ihre Wirtschaftsstrategien überdenken, neue Produkte in Betracht ziehen sowie andere Handelspartner und Märkte suchen.

Der letzte Band der Editionsreihe, der erst nach dem Tod des früheren Herausgebers Nikolaj Bolchovitinov im Jahre 2008 vollendet werden konnte, bildet somit einen integralen Bestandteil des Gesamtunternehmens und eine wertvolle Hilfe für die Forschung zu Russisch-Amerika im Besonderen, aber auch zur russländischen Imperialgeschichte allgemein. Der größte Teil der Quellen ist bisher unpubliziert und stammt aus Archiven in Moskau (z. B. dem Außenpolitikarchiv AVPRI), St. Petersburg (z.B. dem Archiv der Russländischen Geographischen Gesellschaft, ARGO) und aus der Library of Congress in Washington.

Die Editionsform ist angenehm unprätentiös; auf einen einleitenden Essay über das wissenschaftliche Werk Nikolaj Bolchovitinovs folgt ein Überblick zur letzten Phase der Geschichte Russisch-Amerikas mit konkreten Verweisen auf die folgenden Quellen. Insbesondere für die Lehre sowie für vergleichend arbeitende Forscher dürfte dieser Teil des Bandes nützlich sein. Die Quellen selbst werden ergänzt und erklärt durch einen Fußnotenapparat am Ende des Bandes, der gründlich, aber nicht allzu detailverliebt ist. Die Quelle steht im Vordergrund, nicht die spitzfindige Detektivarbeit der Herausgeber. Ein Glossar, Namens- und Ortsregister ergänzen diese nützliche und gut zusammengestellte Edition.

Martina Winkler, Münster

Zitierweise: Martina Winkler über: Rossijsko-Amerikanskaja Kompanija i izučenie tichookeanskogo severa 1841‒1867. Sbornik dokumentov. Moskva. Nauka 2010. 483 S. = Issledovanija russkich na Tichom okeane v XVIII ‒ pervoj polovine XIX v., t. 5. ISBN: 978-5-02-037571-0, http://www.dokumente.ios-regensburg.de/JGO/erev/Winkler_Rossijsko-Amerikanskaja_kompanija.html (Datum des Seitenbesuchs)

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